Ein Killer messert in Whisper Kill Schreiberlinge nieder. Das Perfide: Der Täter kündigt seine Taten flüsternd durchs Telefon an.
Ein Killer messert in Whisper Kill Schreiberlinge nieder. Das Perfide: Der Täter kündigt seine Taten flüsternd durchs Telefon an.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: King Features.
Faircrest ist ein ruhiges Pflaster. Normalerweise passiert in dem Örtchen an der US-amerikanischen Westküste herzlich wenig. Journalistin und Verlegerin Liz Bartlett besitzt Zeit und Muße, den Kindergeburtstag der Enkelin des Bürgermeisters zu covern. So viel zur Nachrichtenlage in diesem Kaff. Doch eines Nachts wird Barletts Arbeitskollege Jerry Caper von einem Unbekannten erstochen. Ein Raubüberfall mit Todesfolge? Dan Walker, Typ beinharter Schnüffler, glaubt nicht dran. Eine Flüsterstimme hatte den Mord an Jerry angekündigt. Der Großstadt-Reporter steigt in den Vorort hinab, um die wahren Hintergründe aufzudecken. Die Zeit drängt: Der Assassine mit der heiseren Stimme hat schon sein nächstes Opfer im Blick.
Ein Serientäter, der flüstert – ein derart dämliches Gimmick kann nur Auffänger eines Fernsehfilmes sein. In der Tat: Whisper Kill a.k.a. A Whisper kills alias Silent Killing, hierzulande bekannt als Flüstern des Todes, atmet reinstes 80er-Jahre-TV-Niveau. Das fängt bei der Belegschaft an. Für die Regie zeichnet ein gewisser Christian I. NyBy II verantwortlich (inszenierte Episoden für Serien wie Walker, Texas Ranger und Der sechs Millionen Dollar Mann), in den Hauptrollen sind Loni Anderson (WKRP in Cincinatti) und Joe Penny (Ein Trio mit vier Fäusten) auf dem Zenit ihres Schaffens zu bewundern. Das kann nur gut werden, oder?
Whisper Kill ist ein Film gewordener Groschenroman
Um Euch nicht unnötig auf die Folter zu spannen – das ist nämlich die einzige Kunst, die Whisper Kill beherrscht: Nein, wird es nicht. 93 Minuten lang herrscht filmische Ödnis. Nicht mal bodenlos doof ist dieses Trauerspiel. Also so doof, dass es schon wieder lustig wäre. Denn mit szenischem Unsinn hält der Film beileibe nicht hinter dem Berg. Beispiel: Eine zweiminütige Parallelmontage, in der wir den beiden Protagonisten zusehen dürfen, wie sie sich für ein Date aufbretzeln. Liz Bartlett (Anderson) macht sich die Haare schön und beäugt verschiedene Outfits vor dem Spiegel, während Dan (Penny) seine Hemden bügelt und Fußnägel schneidet. Okay, das mit den Fußnägeln habe ich mir ausgedacht. Aber letztlich ist der Film wirklich so unsexy, wie es sich gerade liest – da kann auch der erwartbare wie unmotivierte Beischlaf im Hausflur (!) nichts retten. Im Gegenteil: Man fühlt sich hinterher richtig schmutzig.
Meint man es gut mit diesem Machwerk, dann könnte man in Whisper Kill Anleihen eines Film Noir erkennen. Redaktionsräume sind konsequent dunkel und verraucht. Dan Walker mimt den Anti-Helden und schaut dabei wie der junge Jack Nicholson aus, Liz Bartlett gibt so etwas wie eine Femme fatale. Ach, wem mache ich hier etwas vor? Die bittere Wahrheit ist: Es gibt keinen triftigen Grund, weshalb man diesen Film gewordenen Groschenroman aus den Untiefen des Streaming-Überflusses fischen sollte. Es sei denn, man betreibt einen Blog über die Darstellung von Journalismus und Reporterfiguren im Film. Dann allerdings ist man selbst schuld.
Der Regelbruch ist sein Geschäft: Outlaw-Reporter Dan Walker
Also hinein ins Glück. Fangen wir mit Dan Walker an. Der ist nämlich nicht mehr als die Schablone vom Dienst. Ein Outlaw-Reporter, der für den geregelten Redaktionsbetrieb nicht geschaffen ist, da er sich nicht an die Spielregeln halten mag. Trotzdem verkauft uns der Film diesen lonesome wolf als große Nummer. Walker kann noch so abgebrannt sein: Selbst eine räudige Nacht in seinem abwrackreifen Auto schmälert seinen Bekanntheitsgrad nicht. Auf einem Parkplatz wird er unsanft von einem Streifenpolizisten aus den Träumen gerissen; als sich der Wachmeister dessen gewahr wird, wen er da der Wegelagerei bezichtigt, entschuldigt er sich devot: „Ah, Dan Walker aus San Francisco! Verzeihen Sie die Störung!“
Die Untertänigkeit der Polente kommt nicht von ungefähr. Sie vermag es nicht, diesem bärbeißigen Haudegen das Wasser zu reichen. Dan Walker hält sich nicht mit Verlautbarungsjournalismus auf, er übernimmt lieber gleich die Ermittlungen. Damit verkörpert er den klassischen Filmjournalisten, der primär detektivische Funktionen erfüllt – erfolgreicher als die örtliche Law and Order-Fraktion, versteht sich. Weil Befugnisse für ihn unerheblich sind, besitzt er keine Skrupel, Grenzen zu überschreiten. Der Regelbruch ist sein Geschäft: Dan Walker gibt sich bei seinen Recherchen als Gesetzeshüter aus, schmuggelt sich in Leichenschauhäuser und hantiert mit Schmiergeldern (wobei sich die Frage stellt, woher der Schlucker die Penunzen eigentlich hat).
Lokaljournalistin und Verlegerin in Personalunion: Liz Bartlett
Diese Arbeitsweise gehört in 08/15-Thrillern zum Standardrepertoire eines ermittelnden Tricksters. Von der journalistisch-ethischen Warte betrachtet sind Amtsanmaßung, Hausfriedensbruch und Bestechung natürlich alles andere als Kavaliersdelikte. In der Art, wie er seine Informationen beschafft, ist Dan Walker gar nicht so weit von einem Freddy Lounds entfernt. Der war in der Thomas Harris-Verfilmung Roter Drache jedoch als Gegenspieler unterwegs und bekam einen Abgang als menschliche Fackel spendiert. Dan Walker hingegen darf mit seiner „Der Zweck heiligt die Mittel“-Attitüde den Tag retten. So weit, so vorhersehbar.
Weitaus „spannender“ ist die weibliche Hauptfigur. „Spannender“, weil auch Liz Bartlett ein Füllhorn journalistischer Klischees ansammelt und Whisper Kill sich als einer diese Filme entpuppt, in denen erfolgreiche, unabhängige Frauen nur darauf warten, dem erstbesten Bad Boy zu erliegen. Doch im Gegensatz zu ihrem abgehobenen Kollegen aus der Großstadt bewegt sie sich in einem Setting, das Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt realer Lokaljournalist*innen birgt. Als Vorort-Reporterin und Herausgeberin des Faircrest Falcon (ein fluffiger Name für eine Lokalzeitung, wie ich finde) ist sie Teil einer Community. Sie kennt nicht nur die örtlichen Gegebenheiten, sondern auch die Menschen persönlich. Ihre Identifikation mit ihrem Arbeitsumfeld versetzt sie in die Lage, mögliche Folgen von Walkers kompromisslosem Vorgehen zu überblicken – und ihn notfalls einzubremsen.
Spannungsfelder lokaljournalistischer Berichterstattung
Ihre meditative Kompetenz stellt die Journalistin beispielsweise in einem Konflikt mit dem örtlichen Sheriff unter Beweis. Dan Walker schickt sich an, den Polizeichef zu grillen, der in seinen Augen durch Dilettantismus glänzt. Bartlett interveniert, erinnert Walker an die Umstände. Eine Mordserie in Faircrest erlebe man nicht alle Tage, da sei es irgendwo auch verständlich, dass sich die Polizei überfordert zeige. Überhaupt: Ein paar Versäumnisse würden aus dem Sheriff keinen miesen Typen machen. Natürlich steckt in diesem Appell Kalkül. Schließlich ist der Polizeichef im Ort eine wichtige Quelle, die sie nicht versiegen lassen möchte.
Die Nähe von Lokaljournalist*innen zu den Objekten ihrer Berichterstattung ist ein kniffeliges Spannungsfeld, eine Stärke und Befangenheitsfalle zugleich. Dass Bartlett die Amtsträger persönlich kennt, diese vielleicht sogar schätzt, entbindet sie nicht von der ethischen Pflicht, kritisch nachzufassen, sollte sich der Verdacht einer fehlerhaften Ermittlungsarbeit erhärten. Gleichwohl sind ihre Überlegungen nur pragmatisch. Sollte sie das gesamte Departement gegen sich aufbringen, würde dies ganz sicher ihre künftige Arbeit erschweren. In ihrem Fall kommt noch verkomplizierend hinzu, dass Bartlett Journalistin und Herausgeberin in Personalunion ist, sie muss also redaktionellen und geschäftliche Interessen wahren und diese gleichzeitig voneinander trennen. So sieht es das Lehrbuch vor. Was gerade in der Realität von selbstständigen Journalist*innen eine Gratwanderung bedeutet.
Verschenktes Setting: Wo ist die Dorfgemeinschaft?
Als journalistische Gegenentwürfe betrachtet, ergänzen sich Liz Bartlett und Dan Walker gar nicht mal so übel. Überraschenderweise ist es ausgerechnet Walker, der in einem Moment der publizistischen Verlockung an die journalistische Sorgfaltspflicht erinnert. Als der Sheriff doch mal etwas Täterwissen durchsteckt – er verrät Details über den Zustand einer Leiche, die im „Intimbereich zerstückelt“ wurde (was für den Fall keine weitere Relevanz besitzt, sondern lediglich darauf abzielt, den Killer mit dem hirnrissigen Flüster-Merkmal doch noch irgendwie grausam erscheinen zu lassen) – zweifelt der Reporter den Nachrichtenwert dieser Information an. Kurzzeitig entbrennt sogar eine Diskussion darüber, inwieweit man einem wahnsinnigen Killer eine Plattform geben darf und ob man der Bevölkerung von Faircrest derart grausige Schilderungen zumuten sollte. Die konkurrierende Zeitung hat indes weniger Skrupel und weidet die Einzelheiten genüsslich aus.
Dieser helle Moment in einem ansonsten dünnen Krimi wird dadurch zunichtegemacht, dass die journalistische Entgleisung der Konkurrenz im luftleeren Raum verhallt. Offensichtlich liest niemand die Zeitung in Faircrest. Zumindest bleiben öffentliche Reaktionen aus. Anstatt an dieser Stelle die Frage aufzuwerfen, wie eine geschlossene Gemeinschaft mit einer solchen Mordserie umgeht, und die Stärken seines Settings im kalifornischen Hinterland auszuspielen, verlegt sich der Film darauf, eine abstruse Auflösung aus dem Hut zu zaubern. Ich sehe aber auch ein: Was anderes war nicht zu erwarten.
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