The French Dispatch ist ein filmgewordenes Magazin. In Wes Andersons Film erweist eine Schar von Edelfedern ihrem Chefredakteur die letzte Ehre.
The French Dispatch ist ein filmgewordenes Magazin. In Wes Andersons Film erweist eine Schar von Edelfedern ihrem Chefredakteur die letzte Ehre.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Searchlight Pictures.
Geschichten ziehen uns in den Bann. Kommt zusätzlich noch Nostalgie ins Spiel, lösen sie wohlige Gefühle in uns aus. Als rückwärtsgewandter Episodenfilm konzipiert, legt es The French Dispatch geradezu darauf an, uns zu verzaubern. Freilich beruht der Zauber von Wes Andersons neuestem Werk nicht allein auf psychologischer Effekthascherei. In seinem inzwischen zehnten Spielfilm treibt der Regisseur seine kaskadenartige Kreativität auf die Spitze. Szene für Szene türmen sich immer neue Einfälle, narrative Kniffe und filmhistorische Anspielungen auf. Visuell ist The French Dispatch pure Kinomagie.
Was den Gehalt seines Films betrifft, lässt es sich – wie so oft bei Anderson – herrlich geteilter Meinung sein. Laut Regisseur ist The French Dispatch eine Liebeserklärung. Nicht an den Journalismus per se, wie in mancher Rezension überliefert. Sondern an jenen Reportage- und Magazinjournalismus, an den der jugendliche Anderson sein Herz verlor. Der Film reist zurück in eine Zeit, in der die Redaktionsbudgets noch üppig und die Auflagen stark sind. Man stelle sich vor: Eine Zeitung aus Kansas leistet sich eine Wochenendbeilage, die eigens in Frankreich produziert wird, textlich veredelt von den talentiertesten Federn ihrer Zunft.
The French Dispatch ist wie ein Magazin aufgebaut
Diese journalistische Luxussituation bildet die erzählerische Klammer von The French Dispatch. Chefredakteur Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray, Und täglich grüßt das Murmeltier) verantwortet den gleichnamigen Ableger der Liberty, Kansas Evening Sun, als sein Herz plötzlich zu schlagen aufhört. Gemäß seines Testaments soll das Magazin mit seinem Tode eingestellt werden. Seine Belegschaft, eine Ansammlung exzentrischer wie einzelgängerischer Autor*innen rauft sich zusammen, um dem Verblichenen mit Drucklegung der allerletzten Ausgabe die letzte Ehre zu erweisen.
The French Dispatch kommt selbst wie ein Magazin daher: Es gibt ein Editorial, in dem wir die Redaktion kennenlernen, eine Bilderstrecke zum Einstieg, die Ton und Setting – das kleine französische Städtchen Ennui-sur-Blasé – setzt, zu guter Letzt eine posthume Würdigung des verstorbenen Redaktionsleiters, die das filmische „Heft“ beschließt. Herzstücke sind drei Reportagen im „Mittelteil“. Wie in einer guten Publikation, die man gerne zum Blättern in die Hand nimmt, ist für jeden etwas dabei: Kultur, Politik, Action & Crime – vor allem aber Geschichten über Menschen, Anderson-typisch lakonisch erzählt, und doch mit Herz vorgetragen.
Eine Hommage an Reportage- und Human Interest-Fach
In The Concrete Masterpiece rekapituliert die Kunstkritikerin JKL Berensen (Tilda Swinton, Michael Clayton) die Genese eines Genies: Der inhaftierte Doppelmörder Moses Rosenthaler (Benicio Del Toro, Fear And Loathing in Las Vegas) erregt mit abstrakten Aktbildern seiner Aufseherin Simone (Léa Seydoux, Inglourious Basterds) die Aufmerksamkeit des Kunsthändlers Cadazio (Adrien Brody, Manhattan Nocturne). Die zweite Reportage Revisions to a Monifesto begleitet die Politjournalistin Lucinda Krementz (Frances McDormand, Almost Famous) durch eine Studentenrevolte und eine Liaison mit dem jungen Aufrührer Zeffirelli (Timothée Chalamet, Dune). Und was als Gastro-Kritik geplant war, entpuppt sich in The Private Dining Room of the Police Commissioner als True Crime-Report: Der Gourmet-Schreiber Roebuck Wright (Jeffrey Wright, The Ides of March) wird Zeuge einer spektakulären Kindesentführung.
Schon anhand dieser kurzen Beschreibung wird klar: Andersons Journalisten sind keine Woodwards und Bernsteins. Keine „klassischen“ Rechercheur*innen, keine Detektiv*innen, wie sie in Journalistenfilmen häufig ermitteln. Sondern vielmehr beobachtende Teilnehmer*innen und literarische Flaneur*innen, die ihre subjektiven Eindrücke und Haltungen zu Papier bringen. Das unmittelbare Miterleben ist ein wichtiges Merkmal der Reportage, die sich wie kein anderes journalistisches Genre für die Adaption auf großer Leinwand anbietet: Aus dem Kopfkino, das eine Reportage im besten Fall evoziert, wird echtes Kino. Nicht selten liefern Reportagen die direkte Vorlage für einen Film – beispielsweise basieren Der wunderbare Mr. Rogers und The Hunting Party auf Artikeln, die im amerikanischen Männer- und Lifestyle-Magazin Esquire erschienen sind.
Früher war mehr Reportage – oder etwa doch nicht?
Wes Anderson outet sich als Fan dieser journalistischen Gattung, die im Film wie aus einem Medienland vor unserer Zeit anmutet. Im ersten Gefühl mag das stimmen. Wo gibt es das noch, Journalimus, der sich nicht in die Förmchen von Aktualität und Aufmerksamkeitsökonomien pressen lässt? Autor*innen, die sich auslassen können, mit 40.000 Wörtern und mehr, rückengedeckt von einer Redaktionsleitung, die eher Werbebuchungen aus dem Seitenlaufplan pfeffert, bevor sie den Frevel begeht, Textpassagen zu kürzen.
Letzteres ist der feuchte Unabhängigkeitstraum jeder Redaktion. Darüber hinaus ist Andersons Journalismus gar nicht so abwesend, wie uns der in der fiktiven Vergangenheit verortete Film weismachen möchte. Dass sich Andersons Vorbild für The French Dispatch, das 1925 gegründete US-Magazin The New Yorker, bis heute recht erfolgreich am Markt hält, ist nur ein Beleg. Echte Reportagen mögen selten(er) geworden sein, vielleicht nehmen wir sie auch selten(er) wahr, weil uns Zeit und Muße dafür fehlt – tl;dr halt. Die Sehnsucht, und da ist The French Dispatch aktueller als er es zugibt, nach guten Reportagen ist ungebrochen.
The French Dispatch und das System Relotius
Geschichten erzählen liegt im Journalismus nach wie vor im Trend, der sich in digitalen Mischformen manifestiert – im sogenannten „Scrollytelling“ fließen Text und Bild, Video und Audio multimedial ineinander. Gerade das Internet bietet, abseits von Zeilen- und Seitenbegrenzungen, Raum für Longform-Journalismus. Und nicht zuletzt gelten Reportagen noch immer als journalistische Königsdisziplin, die Journalistenpreise gewinnt – eine Gesetzmäßigkeit, die in Deutschland nach dem Betrugsfall Relotius kontrovers diskutiert wurde: Schließlich funktionierten dessen Fake-Reportagen auch deswegen, weil sie wie Drehbücher komponiert waren – und daher in der Lage, sowohl Leser*innen als auch Expert*innen in Redaktionen und Jurys zu betören.
Als fiktives Werk ist The French Dispatch natürlich völlig unverdächtig, sich des Betrugs schuldig zu machen, und doch zeichnet der Film ein nicht unproblematisches Bild von der Reportage als Sonderfall des Journalismus. Dass die Reportage besondere Freiheiten gewährt, indem sie Autor*innen unter anderem gestattet, Distanz aufzulösen oder als Stimme in den Vordergrund zu treten, geht dem Lehrbuch nach in Ordnung. Doch in ihren Beiträgen bringen die Journalist*innen aus The French Dispatch mehr als nur Persönlichkeit ein. Sie treten wie auktoriale Erzähler auf, die über unmögliches Wissen verfügen.
Warum The French Dispatch keine Liebeserklärung an den Journalismus ist
Ihre Berichte umfassen auch Nicht-Erlebtes. Etwa kann Gastro-Kritiker Roebuck Wright nicht aus erster Hand darlegen, was sich im Versteck der Geiselnehmer zugetragen hat. Nun zeigt der Film keine Rechercheprozesse, die Erzählungen bilden das journalistische Endprodukt ab. Wir wissen nicht, welche Quellen die Autor*innen angezapft haben. Wir bekommen aber sehr wohl mit, wie Leerstellen mit Hörensagen und Vermutungen angereichert, Wahrheiten zugunsten der Dramaturgie zurechtgebogen werden. Da die Journalist*innen ihre Eingriffe zum Bestandteil ihrer Erzählung machen, ist das immerhin transparent, journalistisch jedoch unsauber. Howitzers Credo „Formuliere immer so, dass es wirkt, als hättest Du es absichtlich gemacht“, eigentlich ein Appell, der seinen Mitarbeiter*innen Haltung einimpfen soll, klingt vor diesem Hintergrund wie eine Einladung, Texte dramaturgisch aufzupimpen.
So war das natürlich nicht gedacht, als Anderson seine Hommage ans Reportage- und Human Interest-Fach formulierte. Auch wenn der Film einer ganz Reihe historischer Journalist*innen gewidmet ist: Weil seine Reporter*innen eben immer wieder Grenzen überschreiten, kann The French Dispatch unmöglich eine Liebeserklärung an irgendeinen Journalismus sein. Wes Andersons Film nutzt seinen Journalismus als Setting, um in Wirklichkeit eine Liebeserklärung ans Erzählen zu formulieren. Das schmälert nicht den Zauber des Films. Wohl aber seine Credibility als Journalistenfilm.
Lesetipps:
How Wes Anderson Turned The New Yorker Into “The French Dispatch”, Interview in The New Yorker
The French Dispatch: Was wir am Schreiben lieben, Redakteur*innen von Zeitjung.de packen aus
The French Dispatch: Über das Verfassen von Nachrufen, von Frank Schmidke auf brutstatt.de
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