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Lass mich ran, ich bin Journalist: The Escort – Sex sells (2015)

Kinder und Tiere gehen immer, besagt eine journalistische Bauernregeln. Sex sells, eine andere. Wenn der Journalismus doch mal so einfach wäre. 

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Kinder und Tiere gehen immer, besagt eine journalistische Bauernregeln. Sex sells, eine andere. Wenn der Journalismus doch mal so einfach wäre.                                                                                                                                                                       

Alles, was es für den Erfolg braucht, ist eine heiße Story. Also steigt Sex-Junkie Mitch der Stanford-Absolventin und Edel-Prostituierten Natalie hinterher. The Escort ist damit die Schmierlapp-Version von Pretty Woman – und erwartungsgemäß nicht die beste Werbung für den Berufsstand. Im Gegenteil: Trotz Happy End ist Journalist Mitch ein ziemlicher Loser.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: New KSM.

Mitch liebt es prickelnd. Der heutige Abend ist aber alles andere als das, denn sein Freund JP hat ihn zu einem piefigen Doppeldate verschleppt, bei dem sich die ihm zugedachte Flamme als ein spleeniges Mauerblümchen entpuppt. Vor wenigen Augenblicken noch sortierte sie ihre Lieblings-Oscar-Filme nach Genres, nun echauffiert sie sich über das versexte Hollywood. Das ist zu viel der Prüderie, Mitch schweift mit den Gedanken ab. Er entschuldigt sich und verzieht sich Pornos konsumierend aufs stille Örtchen.

So lernen wir unseren Protagonisten für die nächsten, erstaunlich langen, 90 Minuten kennen: onanierend auf der Restauranttoilette. The Escort macht einen auf skurrile Romantic Dramedy, ist aber bestenfalls vorhersehbare 08/15-Unterhaltung. Bestenfalls deshalb, weil sich mir partout nicht erschließt, wie man auch nur einen Funken Sympathie für die männliche Hauptrolle empfinden kann. Mitch ist ein (zugegeben, gut aussehender) sexbesessener Alkoholiker, der alle naselang aufs Smart Phone stiert, in der Hoffnung, dass ihm seine Dating-App die nächste Bettgespielin ausspuckt. Beim ersten Treffen mit Natalie kommt er derart verbal zur Sache, dass man ihm gehörig den Mund auswaschen möchte. Mitch ist eine impertinente Arschgeige. Jetzt ist es raus.

Die wenigen Episoden zum Zeitungswesen sind gespickt mit Seitenhieben und überzeichneten Beobachtungen: Mitch Lokalchef ist beispielsweise ein Inder. Die Globalisierung spart auch den lokalen Zeitungsmarkt nicht aus.

Die wenigen Episoden zum Zeitungswesen sind gespickt mit Seitenhieben und überzeichneten Beobachtungen: Mitch’ Lokalchef ist beispielsweise ein Inder. Die Globalisierung spart auch den lokalen Zeitungsmarkt nicht aus.

Impertinente Arschgeige und Journalist

Mitch ist aber auch Journalist. Und was für einer: Bei der Tageszeitung ist er vornehmlich für Nachrufe zuständig, es scheint, als schreibe er so viele Nekrologs, dass er sie auf Verdacht hin produziert. Jedenfalls holt Mitch unvermittelt einen Aktensammler hervor, als ihn sein Chef nach weiteren Texten zur verstorbenen Lokalprominenz befragt. (Beobachtung am Rande: Vom papierlosen Büro hält diese Zeitung offensichtlich wenig – allerdings lässt sich eine Datei auf dem Rechner nur schlecht kamerawirksam überreichen.)

Der Boss ist ob der Eigeninitiative seines Mitarbeiters entzückt und lädt Mitch zum Vieraugengespräch in sein Büro, statt Lob gibt es allerdings eine Hiobsbotschaft: der Blattmacher eröffnet ihm, dass er nicht mehr mit ihm plant. Mitch ist reichlich verdattert („Warum haben Sie mich nicht vorgewarnt?“ – „Dann wären Sie ja nicht in mein Büro gekommen!“), schließlich schrieb er seine Zeilen in dem Glauben, ein unverzichtbares Mitglied der Redaktion zu sein. Sein Rausschmiss habe auch nichts mit seinen Leistungen zu tun, beschwichtigt der Chef. Aber die Kollegin genieße nun mal Kündigungsschutz. Also trifft es eben Mitch. Solche fragwürdigen Personalentscheidungen kennt man ja aus dem echten Leben. Identifikation stellt sich dennoch nicht ein.

Humoristischer Lichtblick: Bruce Campbell (Tanz der Teufel) spielt den Vater von Journalist Mitch. Von dessen Berufswahl hält der einstige Erfolgssongwriter herzlich wenig.

Humoristischer Lichtblick: Bruce Campbell (Tanz der Teufel) spielt den Vater von Journalist Mitch. Von dessen Berufswahl hält der einstige Erfolgssongwriter herzlich wenig.

Ich mach’ irgendwas mit Wörtern…

Dafür weiß The Escort zu wenig mit Mitch anzufangen, sowohl mit seinem eigentlichen Charakter als auch mit seiner Profession. Der Journalismus in The Escort ist – Achtung, pun intended – nicht mehr als ein Vehikel, eher noch ein notwendiges Übel, damit die Geschichte überhaupt einen Sinn ergibt. Mitch hat seine Berufswahl rein aus handwerklichen Überlegungen heraus getroffen; weil er gerne mit Worten hantiert, wie er selbst einmal beiläufig festhält.

Mehr ist da nicht. Keine Ideale, keine Erweckungsmomente. Müsste Mitch statt eines Nachrufs ein Motivationsschreiben verfassen, es fände auf einem Bierdeckel Platz. So gesehen hätte Mitch auch professioneller Poetry Slammer werden können. Es hätte ihm womöglich eine Menge erspart, darunter die Enttäuschung seines Vaters (humoristischer Lichtblick: Bruce Campbell, Tanz der Teufel), der nie verkraftet hat, dass sich sein Sohn „einer aussterbenden Branche“ anschloss.

Nachrufe und Artikel über Darmfloren

Aber hey, einen triftigen Grund muss das Drehbuch ja auftischen, weshalb ein Sexsüchtiger einer Escort-Dame auf Schritt und Tritt folgt, ohne dass es gleich nach perversem Stalking aussieht. Also gaukelt das Skript ein berufliches Interesse vor: Nach seinem Rausschmiss beim Lokalblatt will es Mitch nämlich nochmal wissen. Die Zeitung hat er satt, stattdessen versucht er, bei einem Magazin unterzukommen. Dort wird schließlich noch hipper Journalismus betrieben.

Doch Nachrufe und Artikel über Darmfloren gehören ganz sicher nicht die spannendsten Referenzen, darüber hinaus geht es den Magazinen nicht besser als den Zeitungen. Alles ist knallhart kalkuliert. „Sie arbeiten doch umsonst?“, fragt eine Redakteurin in einem Unterton, der suggerieren soll, dass Schreiben für die Reputation der erste Schritt zu einem vollen Kühlschrank ist. Mitch lehnt dankend ab – um beim nächsten Job-Interview doch in Vorleistung zu gehen. Die verantwortliche Redakteurin hat Mitch aufgrund seiner mangelnden Qualifikation eigentlich schon hinaus komplimentiert, da geht der Bittsteller in die Vollen: „Was haben Sie zu verlieren? Ich bringe Ihnen etwas, das einschlägt.“ Es gelingt ihm nicht, die grundlegende Skepsis zu zerstreuen, doch in der Hoffnung, eine druckreife Textprobe abgreifen zu können, willigt die Redakteurin in den Deal ein.

Biederes Paar, biederer Film: Obwohl Sex im Untertitel und der einen oder anderen offenherzigen Szene im allgemeinen Leerlauf ist The Escort eher was fürs Sommerlochprogramm.

Biederes Paar, biederer Film: Trotz Sex im Untertitel und der einen oder anderen offenherzigen Szene im allgemeinen Leerlauf ist The Escort eher was fürs Sommerlochprogramm.

The Escort ist eher was fürs Sommerloch

Für Mitch bedeutet diese Gelegenheit der allerletzte Schuss beim Preisschießen um eine journalistische Anstellung. Wieso eigentlich, das erklärt der Film nicht, wir als Zuschauer haben doch gerade erst erfahren, dass Mitch’ Artikel, zumindest innerhalb des publizistischen Rahmens, in dem er sich bis zuletzt bewegte, ganz ordentlich waren. Anstatt auf diesen Widerspruch hinzuweisen und Mitch’ Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken, erhöhen Freunde und Familie den Druck.

In dieser Situation erinnert sich der Möchtegern-Rechercheur an den Untertitel des Films: Sex sells. Wie zum Beweis scheffelt Natalie aka Victoria mit ihren Liebesdiensten eine Menge Moneten. Diese Nachfrage muss sich doch aufs Printwesen übertragen lassen, denkt Mitch, und plant eine schlüpfrige Reportage über das Leben als Edel-Dirne. Ausgerechnet. Was uns The Escort als alternativlosen Türöffner und journalistische Innovation verkauft, füllt in Wahrheit das Sommerlochprogramm boulevardesker Formate.

Journalist ohne Schreibgerät

An diesem Punkt darf man getrost ausschalten. Aufregendes gibt es nicht mehr zu bestaunen, schon gar nicht unter Gesichtspunkten, die für diesen Blog von Interesse wären. So verzichtet der Film auf die Darstellung journalistischer Arbeit, nicht mal einen Schreibblock, neben einer Digicam DAS Erkennungsmerkmal einer jeden Journalistenfigur, bekommt Mitch spendiert. Was Natalie zu der berechtigten Frage veranlasst: „Willst Du nichts aufschreiben?“

Mitch antwortet irgendwas von wegen, er sei ein toller Beobachter und könne sich Dinge gut merken. Dass es fürs Stelzbocken kein Schreibgerät braucht, wäre die ehrlichere Antwort gewesen. Immerhin der Konter sorgt für einen Schmunzler: „Oh Gott, Du bist doch nicht wie einer dieser Kellner, die nichts aufschreiben und dann die Bestellung durcheinander bringen!“ Doch, ist er, liebe Natalie. Mitch ist  eine Luftpumpe. Umso falscher fühlt es sich an, wenn Mitch das Stanford-Mädchen für sich gewinnt (ups, Spoiler). Denn gleichzeitig ist das die größte Errungenschaft, die der Journalismus in diesem Film zustande bringt.


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