The Dissident rollt den Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi auf. Der Regimekritiker verschwand in einem Konsulat seines Heimatlandes.
The Dissident rollt den Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi auf. Der Regimekritiker verschwand in einem Konsulat seines Heimatlandes.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Briarcliff Entertainment.
Am 2. Oktober 2018 wollte Khashoggi, der nach einer Reihe von kritischen Aussagen über den Herrschaftsstil des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman im US-Exil lebte, Unterlagen für die geplante Hochzeit mit der türkischen Publizistin Hatice Cengiz abholen. Cengiz harrte stundenlang vor der saudischen Vertretung in Istanbul aus, um ihren Verlobten in Empfang nehmen zu können. Doch Jamal Khashoggi blieb vermisst. Die Hoffnung, dass er „nur“ entführt worden sein könnte, zerschlug sich am 11. Oktober, als die türkischen Behörden unter Berufung auf Ton- und Filmmaterial verlautbarten, der Journalist sei noch im Konsulat getötet worden.
Die grausigen Beweise bilden das beklemmende Gerüst von Bryan Fogels Dokumentarfilm The Dissident. Der Oscar-Preisträger (Ikarus) lässt hochrangige Ermittler*innen wie den türkischen Oberstaatsanwalt Irfan Fidan oder damalige UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard aus den Abschriften der Tonbänder zitieren. Ein Protokoll des Schreckens, das sowohl die Absprachen eines kaltblütig-witzelnden Killerkommandos als auch den fast achtminütigen Todeskampf Khashoggis dokumentiert, und in dem der Einsatz einer Knochensäge eine grausige Rolle spielt. Das vor allem aber eines belegt: dass der Mord am Journalisten eine staatliche Dimension birgt.
Ein Journalistenmord, angeordnet von höchster Stelle?
Diese Beweislast ist so absurd wie erdrückend, dass die Vorstellung, das saudische Königshaus könne sich aus dem diesem Mordfall herauswinden, abwegig scheint. Tatsächlich muss man konstatieren: Es ist ihm gelungen. Zwar räumten saudi-arabische Stellen ein, dass Khashoggi in dem Konsulat zu Tode gekommen sei, eine Mitwisserschaft Mohammed bin Salmans stritten sie allerdings ab. Interne Untersuchungen mündeten in der Verurteilung von Tätern, deren Namen unveröffentlicht blieben, während international Tatverdächtige, darunter hochrangige Diplomaten und Sicherheitsbeamte, von allen Vorwürfen freigesprochen wurden.
Der allgemeine Aufschrei und Rufe nach Sanktionen verhallten vielerorts im business as usual: Während die deutsche Regierung die Rüstungsexporte stoppte, ließ sich der damalige US-Präsident Donald Trump trotz eines Kongressbeschlusses nicht davon abbringen, einen milliardenschweren Waffendeal mit Saudi-Arabien einzufädeln. Er habe nicht der Dummkopf sein wollen, der das Königshaus verprellt. 2020 erschienen die Teilnehmernationen artig zum G-20-Gipfel in der saudischen Hauptstadt Riad. Und auch die Türkei, die um Einfluss im Nahen Osten ringt, selbst nicht gerade für einen einwandfreien Umgang mit Kritiker*innen bekannt ist, aber im Fall Khashoggi als vehemente „Kronzeugin“ auftritt – nicht zuletzt in The Dissident –, nähert sich außenpolitisch wieder an Saudi-Arabien an. Die Welt dreht sich weiter.
The Dissident: Zwischen True Crime und Aufklärung
Umso mehr versteht sich The Dissident als ein Film wider das Vergessen. Bryan Fogel rollt den Fall Khashoggi auf, wobei sich sein Film weniger durch neue Erkenntnisse, sondern vielmehr durch die Verdichtung dieses Verbrechens auszeichnet. Die Chronologie des Mordfalls wird in „bester“ True Crime-Manier aufbereitet: Unbestritten steckt in The Dissident eine Menge Recherche, die Fülle an Quellen und namhaften Gesprächspartner*innen, die der Filmemacher mit zahlreichen Archivbildern, Fernsehschnipseln und Aufnahmen aus Überwachungskameras verwebt, ist beeindruckend.
Gleichwohl lässt sich der genretypische Hang zur Über-Emotionalisierung nicht leugnen. Was allerdings nicht so sehr an den bewegenden Erinnerungen von Hatice Cengiz liegt, dass The Dissident auf dem schmalen Grat zwischen Aufklärung und Effekthascherei balanciert. Anstatt auf die Wirkung von Bildern und Interviews zu vertrauen, kleistert Fogel die Tonspur mit drohend-wummernden Samples zu.
Erzählerische Unschärfe und unnötige Dramatisierungen
Weil es Fogel jedoch gelingt, den Menschen Khashoggi und dessen Wirken in große Sinnzusammenhänge einzubetten, entgeht der Film eins um andere Mal der Gefahr, im Betroffenheitskino zu versumpfen. The Dissident müht sich, die Hintergründe dieser Tat einzuordnen und erzählt dabei auch, wie Khashoggi, dessen Insiderwissen aus einer einstigen Nähe zu den saudischen Führungseliten resultierte, zum Staatsfeind wurde. Enttäuschte Hoffnungen aus dem Arabischen Frühling spielen eine Rolle, niedergedrückt durch autokratische Machtversessenheit, die eine Graswurzelrevolution in den Sozialen Medien mithilfe einer staatlichen Troll-Armee bekämpft. „Eine Meinung in Saudi-Arabien zu haben, ist ein Problem. Ein großes Publikum zu haben, ein Verbrechen“, bringt Omar Abdulaziz auf den Punkt.
Der in Kanada lebende YouTube-Aktivist ist Gewährsmann und Erzähler gleichermaßen. Seine Flucht ins Exil, das bewegende Schicksal seiner Familie und Freunde, die er in Saudi-Arabien zurückließ, und sein ständiges Leben in Angst nehmen einen nicht unerheblichen Anteil der Laufzeit ein und dienen als Beleg für das systematische Bestreben des Regimes, Kritiker*innen über Staatsgrenzen hinweg mundtot zu machen. In welcher Beziehung Abdulaziz eigentlich zu Khashoggi stand, bleibt zunächst unklar.
Dennoch: The Dissident ist ein eindrucksvoller, wichtiger Film
Was der Film eingangs verrät: Die beiden arbeiteten zusammen, wie Chatverläufe nahelegen. Das Wie? und Warum? sind schließlich Teil des Storytellings von The Dissident. Die Auflösung über ständige Umwege macht es jedoch nicht einfach, den Überblick zu behalten. Zumal sich der Verdacht aufdrängt, dass sich dieser Vlogger etwas zu sehr als ideeller Fackelträger inszeniert, der die Arbeit des ermordeten Journalisten Khashoggi mit moderneren Mittel fortsetzt.
Abgesehen von erzählerischen Unschärfen und unnötigen Dramatisierungen ist The Dissident ein eindrucksvoller wie verstörender Film, der anhand des persönlichen Schicksals Jamal Khashoggis einen gefährlichen Trend nachzeichnet. Angriffe auf die Pressefreiheit sind keine Seltenheit, und sie finden immer unverhohlener statt, weit über verbale Attacken und gezielte Desinformationen hinaus. „Vergeltung“, wie sie der Online-Aktivist Omar Abdulaziz zu Beginn des Films einfordert, kann keine Lösung sein. Dass ein Journalistenmord unaufgeklärt und ohne Folgen bleibt, ist aber eben sowenig tolerierbar.
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Etwas zu effekthascherisch inszeniert, ist The Dissident dennoch ein wichtiger Film. Selbst wer den Fall Khashoggi verfolgt hat, den wird diese Dokumentation nicht kaltlassen. Wer den Film streamen oder erwerben möchte: Hier kommt der Bezugslink zu einem großen Online-Warenhaus. Ein verifizierter Verkauf darüber spült eine kleine Provision in meine Kasse, die ich in den Betrieb dieser Seite investiere. Natürlich zahlst Du keinen Cent mehr. Danke für die Unterstützung!
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