In Target kämpft ein Journalist gegen die Vorwürfe aus nationalistischen Kreisen, er habe Enthüllungsberichte über Trostfrauen gefälscht.
In Target kämpft ein Journalist gegen die Vorwürfe aus nationalistischen Kreisen, er habe Enthüllungsberichte über Trostfrauen gefälscht.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Document Asia.
1991 berichtet der japanische Journalist Takashi Uemura über das Schicksal der Südkoreanerin Kim Hak-sun. Die betagte Dame wurde als Jugendliche im Zweiten Weltkrieg von japanischen Militärs zwangsprostituiert und missbraucht. Sie ist eine von wohl zehn- bis hunderttausenden (offizielle Zahlen gibt es nicht, Schätzungen sind schwierig und bisweilen umstritten) Mädchen und Frauen, die ähnliches Leid erfuhren – und doch eine der ersten, die ihr Schweigen bricht. Über 45 Jahre nach Kriegsende zerren Uemura und seine Zeitung The Asahi Shimbun ein unaufgearbeitetes Kriegskapitel in die Öffentlichkeit.
Die beschönigende Bezeichnung für Frauen wie Kim Hak-sun deutet es an: „Trostfrauen“ leisteten aus Sicht des japanischen Militärs einen wichtigen Dienst. Mit anderen Wertevorstellungen als den unsrigen verhaftet, besitzt die Prostitution eine lange Tradition in Japan. Organisierte Kriegsbordelle sollten Truppen für eine bessere Moral unter den japanischen Truppen sorgen, „gesundheitlich unbedenklich“ und „kontrolliert“.
Trostfrauen – ein schwieriges Thema in Japan
Verteidigende Stimmen heben die „Vernunft“ hinter dieser Praxis hervor. Diese Form des Dienstes habe auf freiwilliger Basis beruht und gerade Zivilistinnen in den besetzten Gebieten vor Übergriffe durch Soldaten schützen sollen – dem widersprechen Tatsachenberichte über Verschleppungen, Vergewaltigungen und anderer Gewalt. Schätzungen zufolge haben nur 30 Prozent der „Trostfrauen“ den Krieg überlebt, die, die ihn überstanden, hüllten sich aus Scham und Angst vor Stigmatisierung in Schweigen. Seit 1956 ist Prostitution in Japan übrigens offiziell verboten – ein Verbot, das auch als ein Signal zu verstehen war, wollte man sich doch dem Westen ideell annähern.
Japans Ansehen in der Welt spielt in der Debatte um die (Nicht-)Aufarbeitung dieses Themas eine wichtige Rolle, mit dem Eingeständnis von Schuld an Kriegsverbrechen gehen außerdem Reparationszahlungen einher, die im Laufe der Jahrzehnte von japanischer Seite mal angekündigt, mal teilgeleistet, mal widerrufen wurden. Kurz: Es ist kompliziert, und nur wenige in Japan wollen sich mit diesem Thema auseinandersetzen.
Target erzählt vom Kampf des Journalisten Takashi Uemura
Das zumindest wird in der Dokumentation Target von Regisseur Shinji Nishijima deutlich, die im Jahre 2014 einsetzt. Leisteten Uemuras Artikel einen Beitrag, dass das Schicksal der „Trostfrauen“ Anfang der 1990er-Jahre öffentlich diskutiert und 1993 in einem Regierungsstatement sogar offiziell anerkannt wurde, hat sich der Wind zwei Jahrzehnte später gedreht. Die Administration unter Premier Shinzō Abe (2012 – 2020) müht sich, ein eben erst hinzugefügtes Kapitel aus den Geschichtsbüchern zu tilgen. Takashi Uemura, inzwischen Hochschullehrer in Südkorea, wird vorgeworfen, seine Berichte von damals gefälscht und damit unlauteren Einfluss auf die Geschichtsschreibung genommen zu haben.
Der Film steigt ein mit Schmähungen und Drohungen gegen Uemura, die der Betroffene selbst verliest. Er wird in diesen Nachrichten auf übelste als Vaterlandsverräter verunglimpft, seine jugendliche Tochter mit dem Tode bedroht. Seine ehemalige Zeitung wird schon bald 16 Berichte zum Thema „Trostfrauen“ aus dem Jahr 1991 widerrufen, die auf Berichten eines kaiserlichen Armeeoffiziers beruhten, der hunderte von Frauen verschleppt haben will. Ermittlungen bringen ans Licht, dass seine Memoiren fingiert sind. Ein Bärendienst für die Aufarbeitung dieses Themas. Angeführt von prominenten Kritiker*innen werden nun auch Uemuras Artikel medial zerlegt. Der ehemalige Journalist kämpft um seinen guten Ruf – auch mit juristischen Mitteln.
Eine wahre Geschichte, unsauber aufgearbeitet
Es ist ein Kampf gegen eine rechtsnationale Desinformationskampagne. Nishijima begleitet ihn dabei und lässt Historiker*innen, Menschenrechtaktivist*innen, Anwälte und sogar echte „Trostfrauen“ zu Wort kommen, die keinen Zweifel an den Kriegsverbrechen lassen. Allerdings stellt sich auch heraus: Die Arbeit von Uemura war handwerklich nicht ganz sauber. Es geht um die Frage, von wem und unter welchen Versprechungen die mittlerweile verstorbene Kim Hak-sun angeworben wurde, um ungenaue Formulierungen und missinterpretierte Übersetzungen.
Uemura müht sich, diese Fehler zu entkräften und mit erklärenden Fußnoten zu versehen. Seine Argumentation verliert sich in scheinbar zu vernachlässigenden Details, aber es sind gerade diese Details, die seine Kritiker*innen wie große Einfallstore nutzen, um seine Berichte als Fake News und schließlich den gesamten „Trostfrauen“-Komplex als japanfeindliche Mär abzutun. Ihnen spielt auch die Tatsache in die Karten, dass Uemura nie direkt mit Hak-sun sprach, sondern seinen Bericht auf Grundlage von Aufnahmen anfertigte.
Lesetipp: Kathrin Erdmann für den Deutschlandfunk mit einem Überblick über den Stand der Debattte: “Trostfrauen” im Zweiten Weltkrieg: “Japan sollte sich entschuldigen.”
Presse unter dem Druck rechtskonservativer Kräfte
Target springt Uemura zur Seite, indem die Doku Scheinargumente offenlegt, auf fragwürdige Verbindungen hinweist und den Blick auf das große Ganze – sprich: die revisionistischen Bemühungen der japanischen Regierung – lenkt. Wie stichhaltig einzelne Argumentationsketten sind, darüber will ich mir kein Urteil erlauben. Quellen in den Sprachräumen, die mir offenstehen, sind rar gesät und politisch gefärbt.
Hörtipp: Im Podcast von SchönerDenken, zu dem mich Thomas Laufersweiler im Zuge der Nippon Connection eingeladen hat, gibt es weitere Hintergründe zum Film.
Ohne vorherige Kenntnisse zum Stand der Debatte ist der Film sicher erschlagend. Ich jedenfalls hatte meine Probleme, den Darlegungen zu folgen, die minimalistische und wenig einordne Herangehensweise – so kommt Target ohne Erzählerstimme aus – tut ihr Übriges. Doch selbst wenn man droht, in diesem Wust verloren zu gehen, zeigt Target eines jedoch sehr deutlich: Wie schlecht es um den Zustand der Presse in Japan bestellt ist. Für Regisseur Shinji Nishijima steht der Fall Takashi Uemura exemplarisch für den Umgang mit unliebsamen Journalist*innen in seiner Heimat. „Auf sozialen Netzwerken schikanieren nationalistische Gruppen Medienschaffende, die regierungskritisch und „unpatriotisch“ über Themen wie die Nuklearkatastrophe in Fukushima oder die US-Militärpräsenz in Okinawa berichten“, hält auch Reporter ohne Grenzen fest.
Scharmützel spielen dem Revisionismus in den Karten
Eine Frage drängt sich besonders auf: Wie funktionsfähig kann der Journalismus sein, wenn er vorwiegend mit sich selbst beschäftigt oder – wie die Dokumentation in diesem Fall nahelegt – gezwungen ist, aus einer Position permanenter Rechtfertigung heraus zu agieren? Uemuras schärfste Kritikerin in der Dokumentation ist ausgerechnet eine regierungsnahe Journalistin. Uemura wiederum zieht nicht für andere, sondern für seine Rehabilitation vor Gericht. Ständig geht es darum: Wer hat welche Fehler gemacht? Wer von wem abschrieben? Wessen publizistisches Schaffen weist die meisten Widersprüche auf? Die eigentliche Wahrheit – das Schicksal der Trostfrauen – gerät in den Hintergrund. Entscheidend ist, wer die Deutungshoheit behält.
Target veranschaulicht, wie ein wichtiges Thema zugunsten einer Scheindebatte an den Rand gedrängt wird. Dadurch, dass sich die Doku sehr stark auf die Details der zermürbenden Auseinandersetzungen stützt, wirkt es phasenweise so, als ginge sie derselbigen auf den Leim. Wäre da nicht das deutlich vernehmbare Reiben der Hände jener Kräfte, die von diesen Ablenkungsmanövern profitieren.
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Etwas spröde inszeniert, erzählt Target vom Kampf eines Journalisten gegen nationalistische Hetze und geschichtsrevisionistische Bestrebungen. Dabei klettert die Dokumentation ihrer 90-minütigen Laufzeit in so manchen Kaninchenbau, in dem sich Seher*innen ohne Vorwissen sehr wahrscheinlich nur schwer zurechtfinden. Target war auf dem diesjährigen Nippon Connection Filmfestival zu sehen. Ich bedanke mich herzlich beim Festivalteam, das mir den Film für eine Besprechung auf journalistenfilme.de zugänglich gemacht hat.
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