Skandalreporter Sid Hudgens aus L.A. Confidential ist ein Meister seines Fachs – und die perfekte Karikatur eines schmierigen Tabloidjournalisten
Skandalreporter Sid Hudgens aus L.A. Confidential ist ein Meister seines Fachs – und die perfekte Karikatur eines schmierigen Tabloidjournalisten.
Auch, weil sich mehr Bezüge zur Realität herstellen lassen, als uns lieb ist. Er weiß, was sich gut verkauft: „Gib mir lieber ein paar Kokser, ich will etwas über die Prominenz bringen.“
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Warner.
„Hush-Hush Magazine, offen für Gerüchte und streng vertraulich“, so meldet sich Sid Hudgens (Danny DeVito) am Telefon. Der umtriebige Sensationsjournalist kungelt mit den Einflussreichen, um die kleinen und großen Sauereien hinter der glamourösen Fassade Hollywoods in sein Blatt zu hieven. Eine besonders einträgliche Geschäftsbeziehung unterhält er zum Promi-Polizisten Jack Vanciennes (Kevin Spacey, House of Cards). Gegen einen kleinen Obolus für die „Pensionskasse“ orchestriert Vanciennes seine Verhaftungen exklusiv für Hudgens reichweitenstarkes Schmierblatt.
Eines Abends ist es wieder so weit: Vanciennes räumt eine Drogenhöhle unweit des Hollywood Boulevard. Die Razzia fällt zeitlich „rein zufällig“ mit einer Filmgala zusammen. Die perfekte Kulisse fürs Titelfoto: Der Detective sonnt sich im Glanz der Traumfabrik. „Rauschgiftorgie während Filmpremiere […] Der König der Verbrechensbekämpfung schlägt wieder zu“, fabuliert Reporter Hudgens ganz erregt. Eine „leckere Geschichte“ ist im Kasten. „Wie gefällt Dir das Jackie Boy?“ Vanciennes kann nicht klagen. So viel Publicity bekommt nicht jeder, der mal eben zwei müde Junkies aus dem Bett gezerrt hat.
Ein Journalist als unzuverlässiger Erzähler – wer will das schon?
Curtis Hansons Neo-Noir L.A. Confidential basiert auf dem gleichnamigen Roman von James Ellroy. Der Autor ist für seine pessimistischen Sittengemälde bekannt, in seiner L.A.-Tetralogie (u.a. auch The Black Dahlia) zeichnet er ein düsteres Bild von der Stadt der Engel. Glanz und Glamour werden zu Lug und Trug. Ob hoffnungsvolles Starlett, eitler Politiker oder ambitionierter Ordnungshüter – jeder, der es zu etwas in Los Angeles bringen möchte, sehnt sich nach einem Spotlight, das ihn vorteilhaft ausleuchtet. Und wer das Licht der Öffentlichkeit scheut, hat ganz bestimmt seine (Ab-)Gründe. Diese geltungssüchtige Stadt ist das gefundene Fressen für Klatschreporter wie Sid Hudgens.
Der Herausgeber des Hush-Hush Magazines weiß, wie die Spirale aus Aufmerksam- und Abhängigkeit funktioniert. Einer wie er böte sich als narrative Instanz an, wäre er daran interessiert, dieses Geflecht zu entwirren. Zwar führt uns Hudgens als Off-Erzähler in das Moloch von L.A. Confidential ein. Allerdings wird früh deutlich, wie ungeeignet der Reporter als Quelle ist. Nicht, weil er uninformiert wäre. Der Mann hat seine Augen und Ohren überall. Sondern, weil sein Begriff von Wahrheit ein äußerst dehnbarer ist. Wahr ist, was einen Nutzen hat, und dieser Nutzen lässt sich in erster Linie an der Auflage seines Magazins messen. Schon jetzt liegt die Stückzahl seiner Veröffentlichungen bei 36.000, Tendenz rasant steigend. „Hat man einmal Appetit auf die Wahrheit bekommen, gibt es keine Grenzen mehr“, lässt Hudgens im Zwiegespräch mit Vanciennes sein Verständnis von Journalismus durchblicken.
Hörensagen und Gerüchte sind die Spezialität von Sid Hudgens
Hudgens besitzt keinerlei Interesse daran, die bestehenden Verhältnisse zu hinterfragen. Denn das hieße ja, er säge den Ast ab, auf dem er es sich so gemütlich gemacht hat. Hudgens ist ein Nutznießer, ein Profiteur, der Öl ins Feuer gießt und den anschließenden Flächenbrand vermarktet. „Es kursieren Gerüchte“, meldet sich der Erzähler Hudgens zurück, als es darum geht, die Exposition zusammenzufassen. Wie alles ineinandergreift, da ist der Reporter so ahnungslos wie wir. Aber: „Sobald ich es weiß, verrate ich es Ihnen, liebe Leser“, flötet er in seiner direkten Rede ans Publikum. Deutlicher kann sich ein Erzähler nicht von seiner Glaubwürdigkeit verabschieden: Denn wer will schon vom Wohlwollen eines Aasgeiers abhängig sein?
Es ist sein letzter Auftritt als Erzähler, auch zur Lösung des Falls trägt der Journalist nichts mehr bei. Hudgens wird selbst zum Spielball in einem Spiel, das er zu beherrschen glaubt. Ohne den Plot in seinen Einzelheiten zu verraten: Solange er sich an Schwächere vergreift, indem er etwa hoffnungsvolle Schauspielerinnen als „Lesben“ outet, oder Günstlingsberichterstattung fürs LAPD betreibt, mag er mit seinen Methoden durchkommen. Das zentrale Geheimnis in L.A. Confidential ist jedoch eine Nummer zu groß für ihn. Was an dieser Stelle keine Anspielung auf Danny DeVitos Körpergröße sein soll. Gleichwohl kontrastiert bzw. unterstreicht die Statur des Darstellers die Figurenzeichnung: Anfangs ist Hudgens Einfluss größer als es zunächst den Anschein hat, später schrumpft seine Wirkungsmacht auf die eines unseriösen Wadenbeißers zusammen.
Confidential: Das echte Vorbild für Hudgens Hush-Hush Magazine
Wem das alles ohne weitere Erklärungen zu vage ist, der sollte L.A. Confidential unbedingt nachholen. Der Film lohnt sich. Die wendungsreiche Handlung, die dichte Inszenierung und die grandiosen Schauspielleistungen (neben den genannten sind unter anderem Guy Pearce, Russell Crowe, Kim Basinger und James Cromwell zu bestaunen) machen L.A. Confidental zu einem Klassiker des 90er-Kinos.
Der porträtierte Medienklüngel stellt im Film einen Randaspekt dar, der das verdorbene Bild eines nepotistischen Molochs komplettiert. Letztlich gehört die Presse zu Hollywood wie der berühmte Schriftzug in den Hills. Denn: In der Welt der Stars begründet sich der Ruhm auf einem Publikumsinteresse, das von entsprechenden Publikationen bedient wird. Sid Hudgens betreibt Infotainment der plakativ-schlüpfrigen Sorte, das auf realen Vorbildern fußt. Das fiktive Hush-Hush Magazine ist inspiriert vom Confidential Magazine, das als Vorreiter des Skandal- und Gossip-Journalismus gilt und auch Namenspatron für Ellroys L.A. Confidential sein soll.
Uncensored and off the record: Die Geschichte von Confidential
Das erste Heft erschien 1952 mit der Tagline „Uncensored and off the record“. Quartalsweise machte es mit Bettgeschichten und geheimen Kriminalakten der Stars auf. Schon bald erfolgte die Veröffentlichung im 14-tägigen Rhythmus. Besonders die Berichte über das vermeintliche Beziehungsaus zwischen Schaulspiel-Ikone Marilyn Monroe und Star-Baseballer Joe DiMaggio im Sommer 1953 brachten dem Medium überregionale Beachtung ein. Dass beide im Sommer darauf, 1954, doch noch vor den Traualtar traten, tat dem Interesse der Leser*innen keinen Abbruch. Zwischenzeitlich gehörte Confidential zu den meistgelesenen Printmedien der USA. Auf dem Höhepunkt im Jahre 1955 erreichte das Magazin angeblich eine Auflage von fünf Millionen Exemplaren!
Herausgeber Robert Harrison versicherte stets, die Geschichten in seinem Heft seien „klagensicher“. Im Jahre 1957 stand dieses Urteil vor Gericht auf dem Prüfstand. Vorangegangen waren exzessive Enthüllungsberichte über die sexuellen Präferenzen und – wir befinden uns in der McCarthy-Ära – politischen Weltanschauungen prominenter Persönlichkeiten. Betroffene – darunter Liberace, Errol Flynn und Maureen O’Hara – schlossen sich einer großangelegten Klage des Staates Kalifornien an, die gleich mehrere Klatschmagazine ins Visier nahm.
Das Erbe der Klatschmagazine: Eine Medienwelt voller Clickbait
Zu den Kronzeugen gehörte ein ehemaliger Mitarbeiter Harrisons: Howard Rushmore. Der Journalist, zwischenzeitlich sogar Chefredakteur des Confidential Magazines, hatte sich mit einer besonders aggressiven, antikommunistischen Berichterstattung hervorgetan. Sein Unmut über die liberalere Ausrichtung des Blattes sowie persönliche, private Enttäuschungen führten ihn in den Zeugenstand, wo er die von Harrison beteuerte Praxis, alle Artikel würden auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, dementierte. Das Verfahren The People of the State of California v. Robert Harrison et al. endete ohne die angestrebte Verurteilung Harrisons. Um jedoch weiteren juristischen Auseinandersetzungen zu entgehen, ließ sich der Verleger auf außergerichtliche Einigungen ein. Dennoch hatte es sich schon bald ausgeklatscht. Sein Netz aus Informanten lag brach, die Auflage war in Folge des Prozesses auf 200.000 Stück abgerauscht. Nachdem es ihn zum Multimillionär gemacht hatte, veräußerte er sein Magazin im Jahre 1958. Die nachfolgenden Eigentümer schlugen gemäßigte(re) Töne an.
Harrison publizierte noch einige Jahre im kleineren Stil weiter, das Confidential Magazine berichtete noch bis 1978 aus der Welt der Schönen, Reichen und Mächtigen. Heute stehen internationale (Online-)Magazine wie Intouch, OK! oder TMZ in der Tradition des einstigen Revolverblattes. Hierzulande sind es Boulevardmedien und Illustrierte, die nach dem Prinzip „offen für Gerüchte und streng vertraulich“ funktionieren. Auch wenn Sid Hudgens eine Karikatur dieser Auswüchse ist: Eine Medienwelt, die Clickbait und Reichweitenstärke zu ihren Grundsätzen erhoben hat, wäre sicher nach seinem Geschmack.
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