Auf der Jagd nach den besten Bildern der Nacht: Howard, Zak und Scott sind sogenannte Stringer, freischaffende Videoreporter.
Auf der Jagd nach den besten Bildern der Nacht: Howard, Zak und Scott sind sogenannte Stringer, freischaffende Videoreporter.
Sie heizen nach Sonnenuntergang durch Los Angeles und versorgen die lokalen TV-Sender mit Crash ‘n’ Crime-Clips. Die Netflix Doku-Serie Shot in the Dark begleitet die Stringer bei ihrer Arbeit – eine Kurzkritik.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Netflix.
Keine Frage, Shot in the Dark ist ein moralisch zwiespältiges Vergnügen. Das mag mitunter daran liegen, dass Blaulichtreporter auch unseren Voyeurismus bedienen. Sie zeigen uns Bilder von Situationen, in die wir selbst hoffentlich nie geraten. Und doch fällt es uns schwer, bei einem Verkehrsunfall wegzuschauen.
Hinzu kommt, dass Shot in the Dark unglaublich aufregend inszeniert ist: Die Nachtaufnahmen unter schwierigen Lichtbedingungen sind beachtlich, die Präsentation erinnert stark an das Videospiel Grand Theft Auto V, insbesondere dann, wenn wir aus der Vogelperspektive Einsatzorte und Fahrtwege der Stringer nachverfolgen und wir von einem Fahrzeug in das nächste springen. Denn genau so funktioniert der Figurenwechsel in GTA 5 (das übrigens in einem fiktionalisierten Los Angeles spielt). Während der ersten Nachtfahrten fiebert man mit den rasenden Reportern: Was verbirgt sich hinter der Meldung im Polizeifunk? Lohnt es sich, dorthin zu fahren, oder läuft gleich noch etwas Besseres über den Äther? Was erwartet die Männer am Unfall- oder Tatort? Und wer sichert sich am Ende der Nacht die Top-Story?
Ein moralisch zwiespältiges Vergnügen
Andererseits wird schnell die schmutzige Seite des Geschäfts offenbar – diese Leute verdienen ihr Geld mit dem Leid anderer, halten die Kamera voll auf Verletzte und Tote drauf. Gerade wenn man den Film Nightcrawler* gesehen hat, in dem Jake Gyllenhaal als gruseliger Quereinsteiger buchstäblich über Leichen geht, um Quote und Kasse zu machen, wird einem flau im Magen. „I’d like to think if you’re seeing me you’re having the worst day of your life“, gibt Jake Gyllenhaal aka Louis Bloom unumwunden zu. Ganz so unheimlich wie der Protagonist aus Nightcrawler sind die Stringer in Shot in the Dark nicht – aber alle drei schmeißen Nacht für Nacht ihre Skrupel über Bord, um in diesem Ellenbogen-Business zu bestehen.
* Linktipp: Wer den Film kennt, der sollte hier reinhören: Die erste Folge von Journalistenfilme.de – der Podcast beschäftigt sich mit Nightcrawler. Gast ist der Journalist und Filmemacher Christian Genzel vom Lichtspielplatz-Podcast.
Ein Familienbetrieb im Sog der Konkurrenz
Da ist Howard, der mit seinen Brüdern verbissen um das Überleben des kleinen Familienbetriebes RMG News kämpft. Der windige wie geschäftstüchtige Zak hat Scott aus dessen Unternehmen herausgedrängt und zum Branchenführer in L.A. ausgebaut. Scott pflegt seitdem einen Kamikaze-Stil und überschwemmt den Markt mit seinen Paket-Preisen – drei Autounfälle, ein Häuserbrand und eine Messerstecherei zum Preis von einem. Das ist die Gemengelage auf den Straßen von L.A., und daran hängen sich die drei Nachtschwärmer acht Episoden lang auf. Konkurrenzkampf hier, Erster am Unfallort dort, und dazwischen immer wieder Scotts vermaledeiten Paket-Preise. Shot in the Dark hätte gut und gerne zwei bis drei Episoden weniger vertragen können, schon nach drei, vier Folgen durch die ständigen Wiederholungen treten Ermüdungserscheinungen auf; ob dramaturgische Struktur der Rahmenhandlung oder die schlussendlich wenig abwechslungsreichen Einsätze – früh stellt sich erzählerische Redundanz ein.
Shot in the Dark schürft an der Oberfläche
Ein weiteres Problem von Short in the Dark ist mangelnde Authentizität. Einige Wendepunkte in der Handlung wirken stark gescriptet. Etwa der zwischenzeitliche Ausstieg von Howards Bruder, der nach einem Horror-Highway-Crash einen Verletzten aus einem brennenden Wrack rettet, von der Stadt mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet wird und sich dann traumatisiert zurückzieht, nicht ohne vorher ein „Jetzt sieht die Welt mal, dass wir Stringer auch nur Menschen sind“ ins Mikro zu flöten. Oder aber die geschäftliche Annäherung der drei Konkurrenten, die in dem erwartbaren Cliffhanger für eine mögliche zweite Staffel mündet.
Etwas mehr (aufrichtige) Selbstreflexion hätte dem Ganzen gut getan. Alles, was die drei Stringer über ihren Job zu berichten wissen, schürft an der Oberfläche. Vorgeschobene Zweifel werden schnell beiseite gewischt. Schließlich verrichtet jeder von ihnen bedeutsame, journalistische Arbeit**, für die man sich berufen fühlen muss. Doch warum fühlen sie sich berufen? Wie kommt man an einen solchen Job? Und was macht er mit einem? Um die wirklich interessanten Fragen winden sich die Stringer herum. Am Ende bleibt der fade Nachgeschmack, einer acht Folgen währenden Dauerwerbesendung für die porträtierten Bilderlieferanten beigewohnt zu haben. So heißt einer der Produzenten von Shot in the Dark Howard und heizt in seinem Hauptberuf durch L.A. …
** Linktipp: Sind Blaulichtreporter bzw. Stringer überhaupt journalistisch tätig? Im Prinzip nehmen sie “nur” Bilder auf. Diese und andere Fragen werden in dem sehr empfehlenswerten Beitrag Der Nightcrawler aus der Sicht journalistischer Unternehmensberatung von Michael Hirschler (DJV für Freie) beantwortet.
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