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Under Fire (1983): Ein Kriegsreporter auf Abwegen

Ein Fotojournalist lässt die Objektivität seines Objektives hinter sich. Das ist nicht nur mit Blick aufs Berufsethos brisant.

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Ein Fotojournalist lässt die Objektivität seines Objektives hinter sich. Das ist nicht nur mit Blick aufs Berufsethos brisant.

Konfrontiert mit den Verbrechen des Somoza-Regimes schlägt sich Russell Price auf die Seite der sozialistischen Widerständler. Damit bricht er mit der offiziellen Haltung seines Heimatlandes. Mit Under Fire kritisierte Regisseur Roger Spottiswoode die Nicaragua-Politik der US-Regierung.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: MGM / 20th Century Fox.

Wo die Welt in Flammen steht, da ist Russell Price (Nick Nolte) nicht weit. Schweißgetränkt, Kippe im Mundwinkel, stets mit mehreren Fotoapparaten behangen, hetzt der Journalist wie ein Goldgräber im Rausch von Krisenherd zu Krisenherd. Durch den Sucher seines mechanisches Auges seziert er Kriege und Konflikte. Kein Gefecht ist ihm zu heftig, keine Lage zu unübersichtlich. Im Schlachtengetümmel der Dritten Welt fühlt sich der markige Adrenalin-Junkie zuhause.

Zu Beginn von Under Fire liegt der Mittelpunkt von Prices’ Welt im zentralafrikanischen Tschad. Für die anderen ist der Binnenstaat ein shithole country, wie es im Buche steht. Hier, in diesem Chaos, verlieren selbst die erfahrensten Profis wie Söldner Oates (Ed Harris) den Überblick. Nichts funktioniert, nichts lenkt ab. Das Pressezentrum versprüht den Charme eines abrissreifen Landschulheimes. Es droht der Lagerkoller. Nur Price spielt klaglos seinen Stiefel herunter. Für ihn ist die Kriegsfotografie ein Job wie jeder andere.

Ablenkung vom Alltag. Russell Price (Nick Nolte) und Claire (Joanna Cassidy) kommen sich näher.
Ablenkung vom Alltag. Russell Price (Nick Nolte) und Claire (Joanna Cassidy) kommen sich näher.

Ein Krieg zum Verlieben

Die Stimmung unter den Reportern hebt sich, als Moderator Alex Grazier (Gene Hackman) seinen Ausstand feiert. Auf ihn wartet ein lauschiges Plätzchen in einem Sendestudio in Washington. Auch für Price steht ein Tapetenwechsel an: In Nicaragua, im Vorgarten der Vereinigten Staaten, kocht der Bürgerkrieg hoch. Oder wie Grazier seinem Reporterkumpel vorschwärmt: „Dort gibt es einen hübschen, kleinen Krieg und ein schönes Hotel. […] Du wirst Dich in diesen Krieg verlieben. Es gibt die Guten, es gibt die Bösen. Und es gibt billiges Bier.“ Der Zuschauer ahnt: Ganz so einfach sind die Verhältnisse dann doch nicht.

Wir schreiben das Jahr 1979: In Nicaragua begehren Rebellen gegen den proamerikanischen Machthaber Anastasio Somoza Debayle auf. 50 Jahre lang sorgte die Familie Somoza für Stabilität und Wachstum in dem lateinamerikanischen Staat. Nun feilen die sozialistischen Sandinisten an der nicaraguanischen Revolution, was in den USA Anhänger der Domino-Theorie aufhorchen lässt. Kommunistische Bewegungen sind ihrer Weltanschauung ein No-Go, erst recht auf dem eigenen Kontinent. Dass die Familie Somoza für den Aufschwung jahrzehntelang das Land schröpfte und seine Leute drangsalierte, wird in dieser Betrachtungsweise gerne übersehen.

Presse unter Beschuss: Der Reportertross wird auf den Straßen Nicaraguas dingfest gemacht.
Presse unter Beschuss: Der Reportertross wird auf den Straßen Nicaraguas dingfest gemacht.

Under Fire: Die Neutralität des Reporters

Daher stellt sich nach anfänglichem Barcardi-Feeling schnell Ernüchterung bei Price und seiner Kollegin Claire (Joanna Cassidy) ein. Sie erleben eine Elite, die das Land nach Gutsherrenart verwaltet. Einen Diktator, der die Journaille am Rande von schmucken Banketten narrt, während seine Regierungstruppen auf den Straßen Widerständler hinrichten. Der Fotograf, der Unrecht und Grauen bislang von sich fernhielt, indem er sie durchs Objektiv betrachtete, muss seine Rolle hinterfragen. Er kam als neutraler Beobachter nach Nicaragua, um die Weltöffentlichkeit über die Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Aber kann es diese Neutralität überhaupt geben? Ist ein Bildausschnitt aus einem bestimmten Winkel, einer bestimmten Entfernung, nicht immer subjektiv?

So gestellt können diese Fragen nur rhetorischer Natur sein. Weil ein Film mit einer Figurenentwicklung aufwarten muss, die das Publikum emotional involviert, taut Eisklotz Price mit fortschreitender Spielzeit auf. Die ausgekochte Coolness schmilzt dahin, zum Vorschein kommen idealistische Wesenszüge. Lautet seine Antwort auf die Frage „Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?“ eingangs noch „Auf gar keiner. Ich mache nur Fotos“, verbrüdert er sich mehr und mehr mit den oppositionellen Sandinisten. Das geht soweit, dass Price mit den Rebellen kollaboriert.

Ein Bild, das alles verändert: Price "erweckt" den Rebellenanführer Raphael zum Leben. Das steigert die Moral im Lager der Widerständler.
Ein Bild, das alles verändert: Price “erweckt” den Rebellenanführer Raphael zum Leben. Das steigert die Moral im Lager der Widerständler.

Manipulation aus Überzeugung

Raphael, der Anführer der Revolutionäre, ist bei einem Angriff von Soldaten Somozas getötet worden. Während eines Recherchebesuchs im Hauptquartier der Sandinisten bitten die Widerständler Price um einen Gefallen: „Sie sind ein großer Fotograf. Machen Sie ihn [Raphael] wieder lebendig.“ Um die Kampfmoral unter den Revoluzzern aufrecht zu halten, soll die Welt glauben, die Nachricht vom Tode Raphaels sei nur eine Finte des Regimes – und Price soll den Beweis liefern, indem er den geistigen Führer der Revolte posthum in Szene setzt. Die Bandenmitglieder drapieren den Leichnam, drücken ihm eine aktuelle Tageszeitung in die Hand. Der Fotograf betätigt den Auslöser.

Das ist natürlich alles andere als journalistisch, sondern propagandistische Manipulation. Die berufsethische Grenzüberschreitung kostet den Fotografen reichlich Überwindung. Letztendlich aber überschreitet er diese Grenze aus Überzeugung. „Mit diesem Foto kannst Du viele Preise gewinnen“, lockt Claire ihren Partner, wohl wissend, dass dieser sich nichts aus dem Ruhm macht. „Ich habe genug Preise gewonnen“, entgegnet Price – eine Replik, die seine Freundin so oder so ähnlich erwartet hat: „Aber Du hast keinen Krieg gewonnen.“

Die Macht der Bilder lässt sich nicht immer kontrollieren. Mit Erschrecken stellt Russell Price fest, dass seine Bilder zweckentfremdet wurden.
Die Macht der Bilder lässt sich nicht immer kontrollieren. Mit Erschrecken stellt Russell Price fest, dass seine Bilder zweckentfremdet wurden.

Die Macht der Bilder

Als Medienprofis sind sich die beiden der Macht der Bilder bewusst. Auch deshalb zögert Price, der Aufforderung der Rebellen zu entsprechen – er weiß, er greift mit einer Fotofälschung aktiv in den Konflikt ein, er wird ihn höchstwahrscheinlich maßgeblich beeinflussen. So kommt es auch: Die Rebellen fassen neuen Mut für weitere Offensiven. Was der Fotograf nicht bedacht hat: Die Macht der Bilder lässt sich nicht immer kontrollieren. Mit Erschrecken stellt Price fest, dass die Gegenseite seine Aufnahmen missbraucht, um Revolutionäre zwecks „Säuberung“ zu identifizieren.

Es ist ein Schock, der den Krisenreporter einerseits ins Wanken bringt, ihn andererseits in seiner Entscheidung, sich auf die Seite der Sandinisten zu schlagen, bestätigt. Der Zweck heiligt die Mittel. Gleichwohl lässt Price die Fotomanipulation fortan bleiben. Dennoch er wird zum Widerholungstäter. Erneut schießt er ein Foto, das weitreichende Auswirkungen hat. Dieses Mal ist nichts inszeniert. Price ist mit seiner Kamera zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Oder am falschen Ort. Je nachdem, wie man es sieht.

Ein junger Ed Harris: Der Söldner Oates ist meist schon dort, wo Russell Price auftaucht. Oates moralische Kompassnadel ist freilich weniger idealistisch gepolt.
Ein junger Ed Harris: Der Söldner Oates ist meist schon dort, wo Russell Price auftaucht. Oates moralische Kompassnadel ist freilich weniger idealistisch gepolt.

Ein Krieg auf dem Kerbholz

Nachdem Grazier für ein Interview mit dem „auferstandenen“ Raphael nach Nicaragua angereist ist, sieht Price mit an, wie sein guter Freund von Regierungssoldaten erschossen wird. Diktator Somoza lässt verlautbaren, dass der Mord an dem Moderator eine Schandtat der Rebellen gewesen sei. Doch es gelingt Price, unter Einsatz seines Lebens, seine Aufnahmen außer Landes zu schmuggeln.

Die Beweisfotos gehen um die Welt, Somoza ist als Teufel entlarvt. Wenige Tage später flieht der Diktator ins Exil. Die Revolution hat gesiegt – und Price tatsächlich einen Krieg auf dem Kerbholz. Ein halbes Jahrhundert litt die nicaraguanische Bevölkerung unter Terror und Unterdrückung. Ein toter US-Journalist und das Regime ist über Nacht gestürzt. „Vielleicht hätten wir schon vor 50 Jahren einen amerikanischen Reporter umbringen sollen“, hält eine einheimische Krankenschwester in bitterer Ironie fest.

Street Credibility: Claire und Russell scheuen keine Gefahren und reisen auf eigene Faust durchs umkämpfte Land.
Street Credibility: Claire und Russell scheuen keine Gefahren und reisen auf eigene Faust durchs umkämpfte Land.

Kriegsreporter-Filme der 80er-Jahre

Under Fire gilt gemeinhin als einer der besten Filme in der Vita von Regisseur Roger Spottiswoode (u.a. James Bond 007 – Der Morgen stirbt nie) und ist gleichzeitig – neben Oliver Stones Salvador (1986) – wohl der bekannteste Kriegsreporterstreifen der 1980er-Jahre – ein Jahrzehnt, in dem der Berufsstand Hochkonjunktur im Kino feiert. Die Traumata Watergate und Vietnam sind noch nicht verarbeitet, da zieht mit Ronald Reagan 1981 ein US-Präsident ins weiße Haus, der wieder bereit ist, außenpolitische Stärke unter Beweis zu stellen. Aus ideologischer Sicht ist dieses Gebaren nachvollziehbar. El Salvador, Nicaragua, Grenada – wovor sich die USA in Südostasien fürchteten, grassiert jetzt vor der eigenen Haustür in Lateinamerika.

Wenn die amerikanischen Katastrophen der 1970er-Jahre eines gelehrt haben, dann das: Machthabern schaut man besser auf die Finger. Filmemacher wie Oliver Stone, Richard Joffé (The Killing Fields, 1984) oder eben Roger Spottiswoode greifen sich die militärischen Einmischungen der jüngeren US-Geschichte heraus und finden genügend Angriffsfläche vor – mit ihrer regierungs- wie gesellschaftskritischen Haltung setzen die Reporterfilme der 80er-Jahre die Tradition des New Hollywood fort, und das in einer Zeit, in der das Publikum verstärkt die Zerstreuung der Blockbusterkinos sucht. Ausnahmen bestätigen die Regel – Hall Bartletts Operation Comeback, der im selben Jahr wie Under Fire erscheint, atmet den Geist der Reagan-Ära.

Interview mit einem Despoten: Claire im Vier-Augen-Gespräch mit Somoza.
Interview mit einem Despoten: Claire im Vier-Augen-Gespräch mit Somoza.

Kritik an und in der Reagan-Ära

In der hat es ein Film wie Under Fire nicht leicht. Zwar sind Kritik und Publikum voll des Lobes – Erfolg erfährt der Film aber eher auf internationaler Ebene. Im antikommunistischen Klima der Vereinigten Staaten wird Under Fire für seine netzbeschmutzenden Tendenzen gerügt. Kritik an der US-Außenpolitik ist eine Sache. Sich auf die Seite einer sozialistischen Revoluzzer-Bande zu schlagen eine andere. Während Spottiswoode seinen Film dreht, sind die Vereinigten Staaten dabei, die Unterstützung für die nicaraguanischen Konterrevolutionäre auszuweiten: Über die CIA erhalten die Contras im Kampf gegen die Sandinisten Hilfe in Form von Waffen, Aufklärung und mehr (siehe hierzu auch: Kill The Messenger). Der Guerilla-Krieg wird das kleine Land in Mittelamerika beinahe ein volles Jahrzehnt im Griff haben, zehntausende Zivilisten werden durch die Kämpfe getötet.

Mit dem Wissen um das weitere Schicksal Nicaraguas wirkt die zeitgenössische US-Kritik an Under Fire reichlich bigott. Spottswoodes Bestandsaufnahme mag – für damalige Verhältnisse – reißerisch gewesen sein, Under Fire ist actionreicher, lauter, zynischer als beispielsweise die eben erwähnten The Killing Fields oder aber Peter Weirs Ein Jahr in der Hölle (1982). Sie basiert jedoch auf realen Ereignissen und verfolgt einen aufklärerischen Auftrag.

Ein Vorfall, der auf wahren Begebenheiten fußt. Der Erschießung von des bekannten Moderator Alex Grazier erinnert an die Ermordung des ABC-Reporters Bill Stewart.
Ein Vorfall, der auf wahren Begebenheiten fußt. Der Erschießung von des bekannten Moderator Alex Grazier erinnert an die Ermordung des ABC-Reporters Bill Stewart.

Die wahren Hintergründe

Angelehnt ist die Figur des Russell Price an Matthew Naythons. Der Fotojournalist dokumentiert in seiner aktiven Laufbahn unter anderem den Fall Saigons als endgültiges Ende des Vietnamkrieges, den Jom-Kippur-Krieg, aber auch die sandinistische Revolution in Nicaragua. Konfrontiert mit dem Leid der Menschen in Kriegs- und Krisengebieten setzt sich Naythons immer wieder für humanitäre Zwecke ein. In Kambodscha etwa gründet und leitet er ein mobiles medizinisches Einsatzteam. Ein Reporter, der aufhört die Welt nur durch das Objektiv seiner Kamera zu betrachten – damit wird Naythons zum Vorbild für Price. Ein Vorbild, das am Set zugegen ist: Naythons fungiert während der Dreharbeiten zu Under Fire als Berater.

Auch die Ermordung des von Gene Hackman gespielten Moderators Alex Grazier findet Entsprechung in der Realität. Am 20. Juni schiessen Somozas Nationalgardisten den ABC-Reporter Bill Stewart und dessen Dolmetscher Juan Espinozas. Der Kameramann Jack Clark hält die tödlichen Schüsse auf Film fest. Die Aufnahmen widerlegen die offiziellen Verlautbarungen. Wie im Film hatte Somozas Junta sandinistische Aufrührer verantwortlich gemacht. Das Regime ist entlarvt, die US-Regierung unter Jimmy Carter kann Anastasio Somoza nicht länger unterstützen. Einen Monat später seine Herrschaft in Nicaragua Geschichte.

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