Papierlöwe plustert ein sportjournalistisches Experiment des Mittendrin-Reporters George Plimpton zu einem Sportmärchen auf.
Papierlöwe plustert ein sportjournalistisches Experiment des Mittendrin-Reporters George Plimpton zu einem Sportmärchen auf.
George Plimpton ist nicht nur ein renommierter Schreiber für Sports Illustrated, sondern darüber hinaus ein ehrgeiziger Amateursportler. Für seine Artikel probiert sich der Journalist in verschiedenen Sportarten aus, und das möglichst prominent. Auf dem Höhepunkt seiner Baseball-„Karriere“ wirft er als Pitcher ein Allstar-Game an, für ein Sparring steigt er mit dem ehemaligen Boxweltmeister Sugar Ray Robinson in den Ring. Sein neuester Plan klingt noch eine Spur verrückter: Plimpton möchte als Quarterback bei einem Profi-Football-Club unterkommen.
Er bietet sich mehreren Teams für ein Tryout an. Die Geschichte scheint schon fast begraben, als sich mit den Detroit Lions doch noch ein Verein auf dieses Experiment einlässt. Der Neuzugang macht in den Vorgesprächen mit den Verantwortlichen deutlich, dass er keine Sonderbehandlung wünscht. Er will sportlich überzeugen. Am liebsten wäre es ihm, die Mitspieler wüssten nichts von seinem Job.
Der Feind in meinem Team: Ein Journalist frisst Gras
Was er nicht bedenkt: Bereits in den 1960er-Jahren ist das Scouting-Netz im Football kein löchriges mehr, ein No-Name aus dem Nichts wirft Fragen auf. Und so ist Plimptons wahre Profession teamintern bald kein Geheimnis mehr. Dessen Selbstversuch stößt unter den Spielern auf wenig Gegenliebe. Niemand will sich seinen Kaderplatz von einem dahergelaufenen Möchtegern streitig machen lassen. Für sie ist klar: Der Neue muss Gras fressen …
Papierlöwe – ein Kofferwort bzw. Wortspiel, das sich aus dem Papiertiger und dem Löwen im Namen des aufnehmenden Vereins zusammensetzt – beruht auf wahren Begebenheiten. 1961 heuert der echte George Plimpton beim viermaligen NFL Championship-Gewinner aus Detroit an. Seine Erfahrungen als Quarterback schreibt er in einem Buch nieder, das Vorlage und Titel für die 1968er-Verfilmung liefert: In der Hauptrolle spielt Alan Alda (Mad City) an der Seite realer Football- und Sportgrößen wie Joe Schmidt, Alex Karras, Vince Lombardi oder eben Sugar Ray Robinson.
Ein Sportmärchen, das es so nicht gegeben hat
Die komödiantisch angehauchte Adaption bietet vorhersehbare Sportfilmkost. Underdog Plimpton erkämpft sich nach etlichen Schikanen – die Saisonvorbereitung atmet den Geist eines Sommerferienlagers, nächtliche Streiche inklusive – den Respekt des Teams. Nach einem Touchdown in einem Trainingsspiel, den die Verteidigung über sich ergehen lässt, darf der Gastspieler sogar in einem Test gegen die St. Louis Cardinals ran.
Sein Auftritt in den Schlussminuten gerät zur Farce. Nach einer Reihe von Fehlern „krönt“ Plimpton seine Leistung, indem er sich selbst am Field Goal – dem eigenen, wohlgemerkt – ausknockt. Noch nie habe ein Quarterback innerhalb kürzester Zeit so viele Meter einbüßt, scherzen die Kollegen nach Spielende – und klopfen dem Debütanten anerkennend auf die Schulter. Zumindest der Artikel schreibt sich nach diesem sportlichen Schelmenstück von allein.
Papierlöwe: Die Unterschiede zwischen Buch und Film
In Wahrheit muss George Plimpton ohne das furiose Desaster vor voller Stadion-Kapelle auskommen. Das finale – immerhin sehr stimmungsvoll gefilmte – Testspiel hat er nie bestritten. Papierlöwe erlaubt sich große Freiheiten, um eine Heldenreise zu erzählen. Für den echten Plimpton ist ein internes Scrimmage das Höchste der Gefühle, nicht mal den geschenkten Touchdown gab es.
Sein Buch mit dem Untertitel Confessions of a Last-String Quarterback benötigt derlei „Wunder“ nicht. Plimptons Insiderbericht ist faszinierend genug und punktet mit feinfühligen Beobachtungen, der Liebe zum Spiel sowie einer gehörigen Portion Selbstironie. Denn im Kreise der Lions ist der Autor das Äquivalent eines Jungen, der auf dem Schulhof als Letzter in die Mannschaft gewählt wird. Ein identifikatorischer Ankerpunkt, den viele Leser zu schätzen zu wissen.
Faszinierender als jeder Film: Die weitere Biographie Plimptons
Rückblickend benennt George Plimptons Sohn Taylor Ames, was ihn an der Filmadaption von Papierlöwe so stört: Zwar habe sein Vater stets den gebotenen Ehrgeiz mitgebracht, um sich in fremden Umgebungen zu beweisen, nie aber seine freundliche, humorvolle Art aufgegeben, selbst wenn es wirklich peinlich wurde. Alda Aldas Porträt hingegen sei zu verbissen, zu verärgert, wie bei einem Charakter aus einem Woody Allen-Film. Während das Buch als eines der besten Sportbücher seiner Zeit gilt, ist der Film in Vergessenheit geraten. Ein Schicksal, das (nicht nur) der Filmkritiker Roger Ebert vorhersagte: Papierlöwe sei ganz sicher kein „unsterbliches“ Werk.
Umso mehr lohnt sich der Blick auf die weitere Biographie Plimptons, der seine partizipierende Berichterstattung über den Sport hinaus auf andere Schaffensbereiche ausweitet. Er probiert sich als Schauspieler, spielt schon 1962 in einer Kleinstrolle in Lawrence von Arabien mit und ist unter anderem auch in Gus Van Sants Drama Good Will Hunting als Psychologe zu sehen. Auch in Papierlöwe huscht er kurz an der Kamera vorbei, mit einem Cameo in einer Menschenmenge. In Las Vegas tritt er im legendären Ceasar’s Palace mit einem eigens geschrieben Comedy Act vor ein echtes Publikum. In New York musiziert er als Vollblut-Amateur mit dem Philharmonic Orchestra.
Die Simpsons setzen Plimpton ein humoristisches Denkmal
Sein lebenslanges Engagement gilt der Förderung junger Schriftsteller. Ausgerechnet die Simpsons setzen dem Journalisten ein humoriges Denkmal. In der Folge I’m Spelling as fast as I can erreicht Tochter Lisa das Finale der nationalen Buchstabier-Olympiade, die von George Plimpton moderiert wird. Um die Zukunft dieses Wettkampfs zu sichern, setzt Plimpton alles daran, seinem Vorzeige-Finalisten – jung, mit dicker Hornbrille und niedlichem Sprachfehler – den Sieg zu ermöglichen. Er stellt Lisa ein Stipendium an einem renommierten Frauencollege ihrer Wahl (die sogenannten Seven Sisters) in Aussicht und legt noch eine Kochheizplatte obendrauf – eine Anspielung auf seine ausgedehnten Werbetätigkeiten, vor allem in den 1980er-Jahren. Natürlich lässt es sich Plimpton nicht nehmen, sich selbst zu synchronisieren.
Die Epsiode wird im Februar 2003 ausgestrahlt, im September desselben Jahres erliegt Plimpton einem Herzinfarkt. Einen Einblick in das Leben des journalistischen Tausendsassa gibt eine Dokumentation aus dem Jahre 2013. Der Titel: Plimpton! Starring George Plimtpon as himself.
Lesetipp: Die Geschichte hinter Paper Lion auf The Pop History Dig.
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