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Loretta McLaughlin und der Boston Strangler (2023)

Loretta McLaughlin coverte einen der berühmtesten Kriminalfälle in der US-Geschichte. 13 Frauen soll der Boston Strangler ermordet haben.

journalistenfilme.de – der Podcast #41: Journalistinnen im Film
Das Bild von Journalistinnen in der Geschichte des Kinos
Kurz(-film) notiert: Weathering (2023)

Loretta McLaughlin coverte einen der berühmtesten Kriminalfälle in der US-Geschichte. 13 Frauen soll der Boston Strangler ermordet haben.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Disney+.

Boston, im Jahre 1962: Loretta McLaughlin (Keira Knightley, Official Secrets), Reporterin der bei Bostoner Zeitung Record American, wird auf den Mord an einer älteren Dame aufmerksam. Ihre Redaktion nimmt die Polizeimeldung nur beiläufig zu Kenntnis. „Sie können wohl keinen Fall ignorieren“, kommentiert ein Kollege amüsiert. „Wenn er mich aus dem Life Style-Ressort bringt, dann nicht“, kontert McLaughlin. Denn Haushalt und Mode, Klatsch und Tratsch, das sind die Themen, mit denen sich die weibliche Belegschaft in diesem Hause befassen „darf“.

Dabei ist das abscheuliche Verbrechen für die Journalistin mehr als nur eine Ausbruchsgelegenheit aus den patriarchalischen Hierarchien ihrer Redaktion. Es sind nicht die ersten Morde ihrer Art, McLaughlin sieht Parallelen zu weiteren Taten, die sich unlängst in der Stadt ereigneten. Parallelen, die den Ermittlungsbehörden merkwürdigerweise nicht auffallen. Sie überzeugt ihren grantigen Chefredakteur (Chris Cooper, Die wunderbare Welt des Mr. Rogers), der Spur zur folgen – in ihrer Freizeit, versteht sich, damit die eigentliche „Frauen-Berichterstattung“ nicht hinten rüber fällt …

Die wahre Geschichte des Boston Strangler

Boston Strangler ist inspiriert von wahren Begebenheiten. In den 1960er-Jahren versetzt eine Mordserie die geschichtsträchtige Hauptstadt des US-Bundesstaates Massachusetts in Aufruhr. Bis zu 13 Opfer werden einem Mann zugeschrieben, der als „Würger von Boston“ in die Kriminalgeschichte eingeht. Geprägt haben diesen Spitznamen die Reporterinnen Loreatta McLaughlin und Jean Cole (im Film gespielt Carrie Coon, Die Verlegerin), die im Jahre 1963 ausführlich über den Fall berichten – und ihm eine gewisse Dringlichkeit verleihen. Erst danach kommt Bewegung in die Sache. Viele der damaligen Ermittlungsdetails rollt der Film recht akkurat auf. Gleichzeitig erlaubt sich Boston Strangler, wenig überraschend, Verdichtungen und Freiheiten, um eine möglichst dichte Geschichte zu erzählen.

Der von Star-Regisseur Ridley Scott (Alien, Blade Runner) produzierte Film ist nicht die erste Adaption dieser Mordserie. Bereits 1968, keine drei Jahre nachdem das letzte Opfer getötet worden war, erschien The Boston Strangler mit Tony Curtis in der Hauptrolle, der eine beängstigende Performance als Frauenmörder hinlegte. Weitere Adaptionen folgten. Der Fall fasziniert True Crime-Fans bis heute, nicht zuletzt, weil er offiziell nicht gelöst wurde. Zwar wurden die Morde dem Gewalttäter Albert DeSalvo zugeschrieben, der diese auch gestand, letztlich jedoch „nur“ für eine Reihe von Vergewaltigungen verurteilt wurde, da die Staatsanwaltschaft keine stichhaltigen Beweise vorlegen konnte. DeSalvo wurde 1973 von einem Mithäftling erstochen. Erst 40 Jahre später gelang es Ermittlern, dank neuer technologischer Möglichkeiten, Samenspuren der DNA DeSalvos zuzuordnen – jedoch nur in einem einzigen Mordfall. Die ausführliche Geschichte lässt sich übrigens hier nachlesen.

Loretta McLaughlin (Keira Knightley) hat genug vom Life Style-Ressort. Denn es gibt gewiss wichtigere Themen ...
Loretta McLaughlin (Keira Knightley) hat genug vom Life Style-Ressort. Denn es gibt gewiss wichtigere Themen …

David Finchers Zodiac als (übergroßes) Vorbild

Ein legendärer Serienkiller, eine offenes Ende, dazu Reporterinnen in den Hauptrollen – in ihren Bestandteilen erinnert die Prämisse von Boston Strangler an Zodiac, und tatsächlich fällt dieser Vergleich in Rezensionen und Kommentaren zum Film immer wieder. Womöglich ist Regisseur Matt Ruskin nicht ganz unschuldig an diesem Vergleich, räumte er doch in Interviews ein, von Finchers meisterhaftem Thriller beeinflusst gewesen zu sein. Der kühle Look und die düstere Grundstimmung wecken durchaus Erinnerungen, wobei Boston Strangler visuell deutlich gewöhnlicher daherkommt als das Vorbild, das durch eine detailversessene Kameraführung besticht. (dringender Hörtipp an dieser Stelle: In Folge #27 von journalistenfilme.de – der Podcast hält Thomas von SchönerDenken ein mitreißende Lobrede auf den Film).

Umgekehrt wird man Boston Strangler nicht gerecht, betrachtet man ihn als ein bloßes Imitat. Zumindest findet er einen eigenen Zugang, wenn es darum geht, eine Uralt-Mordserie im Hier und Jetzt zu verankern. In Zodiac ist der wahnsinnige Killer ein Hype, in Boston Strangler eine willkommen-bequeme Erklärung für ein häufig heruntergespieltes Phänomen: Männer töten Frauen. DeSalvo ist lediglich ein Symbol, der personifizierte Frauenhass, ja unter Umständen sogar nur ein Sündenbock, denkt man einige Fragwürdigkeiten in dem Fall zu Ende. Vor allem aber ein Extrem, hinter dem sich die allgemeine Geringschätzung von Frauen verstecken kann.

Chris Cooper spielt den Chefredakteur der Zeitung Record American. Als solcher ist er zunächst wenig begeistert, dass sich Loretta McLaughlin für eine Kriminalgeschichte erwärmt - denn es warten ja die "Frauen-Themen" in der Life Style-Redaktion ...
Chris Cooper spielt den Chefredakteur der Zeitung Record American. Als solcher ist er zunächst wenig begeistert, dass sich Loretta McLaughlin für eine Kriminalgeschichte erwärmt – denn es warten ja die “Frauen-Themen” in der Life Style-Redaktion …

Der Würger von Boston als allzu bequeme Erklärung

Insofern stimmt Boston Strangler in den selbstbewusst-feministischen Zeitgeist unserer Gegenwart ein, der zunehmend auch des Subgenre des Journalist(innen)films erfasst: Man denke etwa an Maria Schraders She Said über die Harvey Weinstein-Enthüllungen oder an den schonungslos gefilmten Thriller Holy Spider des iranischen Filmemachers Ali Abbasi. Auch in diesen Filmen recherchieren die Film-Reporterinnen den schlagzeilenträchtigen Monstren hinterher, um schließlich gesellschaftlich verankerte Strukturen der Misogynie offenzulegen.

Dass dies in Boston Strangler ebenfalls funktioniert, obwohl der Film seine Kritik an den Gepflogenheiten der konservativen Prä-1968er aufzieht, ist das Perfide. Man(n) kann es „aus der Zeit gefallen“ nennen, wenn Reporterinnen permanent an einem beruflichen Vorankommen und/oder einer freien Entfaltung gehindert werden. Wenn der Polizeichef wutschnaubend in das Büro des Chefredakteurs stürmt und einer gewissenhaft recherchierenden Loretta McLaughlin haltlose Unterstellungen macht, weil er glaubt, sein männliches Wort habe in dieser Welt mehr Gewicht. Wenn der vermeintlich fortschrittliche Ehemann die generös ausgesprochene Unterstützung einkassiert, weil er das berufliche Engagement seiner Frau bloß für einen vorübergehenden Eifer gehalten hat. Das alles wirkt im Kontext der frühen Sixties historisch „normal“. Oder liegt es daran, dass uns diese Muster nur allzu vertraut vorkommen?

Keira Knightley überzeugt als Reporterin Loretta McLaughlin

Anhand dieser und anderer Szenen wird klar: Boston Strangler spricht seine Botschaft überdeutlich aus – im wahrsten Sinne des Wortes: „Wie viele Frauen müssen sterben, bevor es eine Story wird?“ wirft Loretta McLaughlin ihrem Redaktionsleiter an den Kopf. Keira Knightley gibt eine sympathisch-renitente Vorstellung als Reporterin, die als Greenhorn antritt, um die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen. Die Polizei mag nicht daran interessiert sein, einen seriellen Femizid aufzuklären. Umso größer ist das Interesse der Leserinnen und das Bedürfnis nach harten Nachrichten. Mehr als es sich die Herren der Blattschöpfung in ihren Konferenzen ausmalen.

Bei ihrer Arbeit geht es Loretta rein um die Sache, nie um den eigenen Ruhm. Als ihre Zeitung beginnt, die Autorinnen ihrer Artikel mit Bildern vorzustellen, durchschaut sie das PR-Spiel ihrer Bosse. Zwar emanzipiert sich Loretta nach und nach, eine wirkliche Wandlung macht sie allerdings nicht durch – weder als Figur, noch als Journalistin. Ihr moralischer Kompass ist von Szene eins an richtig geeicht, sie muss nur noch lernen, was ihr durch die Abschiebehaft im Trivialjournalismus vorenthalten wurde. Dadurch fehlt etwas die Spannung, die es braucht, um mit der Figur zu wachsen.

Jean Cole (Carrie Coon) ist eine erfahrene Reporterin, die sich längst vom "Frauen-Ressort" emanzipiert hat. Sie fungiert als Mentorin.
Jean Cole (Carrie Coon) ist eine erfahrene Reporterin, die sich längst vom “Frauen-Ressort” emanzipiert hat. Sie fungiert als Mentorin.

Jean Cole recherchiert an der Seite von Loretta McLaughlin

Das Drehbuch versucht die Identifikation mit der Protagonistin durch Konflikte zu stärken, etwa in der erwähnten Beziehung zu ihrem Ehemann (Morgan Spector, Christine), der vom Vorzeige-Gatten mit einer latenten Schwäche für patriarchische Logik zum voll-toxischen Liebesentzieher mutiert, oder aber in der Zusammenarbeit mit ihrer Kollegin Jean Cole, die als erfahrene Konkurrentin die Recherchen von Loretta zu übernehmen scheint, um sich dann als emanzipierte Mentorin zu erweisen.

Sie ist es, die Loretta – und damit uns Zuschauerinnen und Zuschauern – deutlich macht, wie viel harte Arbeit Journalismus bedeutet. In einer Szene reicht sie Loretta den Telefonhörer wie einen Staffelstab. Wenn sie nicht riskieren wolle, dass sich ihre Geschichte kurz vor Drucklegung in Luft auflöst, müssten sie nun das halbe Telefonbuch abtelefonieren. Was folgt, ist eine kurze, stimmungsvolle Montage, die den Geist von Die Unbestechlichen atmet, jeder weiß: hier wird gerade etwas geknüpft, was alles ins Wanken bringen kann. Leider weiß der Film danach nicht mehr viel mit der Figur der Jean Cole anzufangen.

Boston Strangler ist bemüht, den Vergleichen mit den großen Klassikern des Genres aus dem Weg zu gehen, obwohl er sich ganz offensichtlich an sie anschmiegt. Das Ergebnis ist ein – etwas zu – routinierter Journalistenfilm, der den unterrepräsentierten Reigen weiblicher Protagonistinnen in diesem Genre weiter aufstockt.

Kurzbiographie Loretta McLaughlin

Loretta McLaughlin (1928 bis 2018) war Mitte 30, als sie sich an die Fersen des Boston Strangler heftete – und durchaus journalistisch erfahrener als es der Film zugibt. Mit Jean Cole hatte sie zum diesem Zeitpunkt bereits ein gutes Jahrzehnt zusammengearbeitet. Ihre journalistischen Meriten ermöglichten ihr renommierte Seitenwechsel. So war sie zwischenzeitlich für die Harvard Universität als Wissenschaftsautorin tätig, später als PR-Direktorin einer Spezialklinik. Als sie in den 1970er-Jahren in den Journalismus zurückkehrte, blieb sie Medizin-Themen treu. So widmete sie sich unter anderem der Ausbreitung von AIDS zu Beginn der 1980er-Jahre. Sie schrieb unter anderem für den Boston Globe (siehe auch Spotlight) und verantwortete ab 1992 das Editorial, als erst zweite Frau in der Geschichte der Zeitung.

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