Vom Fotomodell zur Frontreporterin: Lee Miller bebilderte den Holocaust. Ein Biopic mit und von Kate Winslet erzählt ihre Geschichte.
Vom Fotomodell zur Frontreporterin: Lee Miller bebilderte den Holocaust. Ein Biopic mit und von Kate Winslet erzählt ihre Geschichte.
Text: Von Patrick Torma. Bildmaterial: Studiocanal.
Ihr berühmtestes Bild zeigt sie selbst. Lee Miller oben ohne in des Führers Badewanne. Das Schaffen der Fotografin auf diese künstlerische Dekonstruktion des Nazireichs zu verdichten, würde ihrer Arbeit jedoch nicht gerecht. Als Chronistin der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau hinterließ sie der Welt wichtige Dokumente, die vom ungeheuren Ausmaß der deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg zeugen.
1907 im US-amerikanischen Poughkeepsie geboren, führt Elizabeth „Lee“ Miller ein bewegtes Leben. Oder „viele verschiedene Leben“, wie die Kunsthistorikerin Kathrin Baumstark anlässlich der Ausstellung Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour im Jahre 2023 festhielt. Dabei verliert sie es beinahe früh. 1926 wird die 19-jährige Studentin Miller in New York von einem Passanten davor bewahrt, auf der Straße angefahren zu werden. Der Mann, der sie im letzten Moment festhält, ist Condé Nast, Verleger der berühmten Modezeitschriften Vanity Fair und Vogue. Von ihrer Schönheit angetan, nimmt er Miller als Fotomodell unter Vertrag.
Herzenprojekt von Hauptdarstellerin Kate Winslet
Als solches kommt sie mit der Foto- und Kunstszene in Kontakt, sie selbst schließt sich dem surrealistischen Lager an. Zwischenzeitlich ist sie mit dem Künstler Man Ray liiert, mit dem sie einige Fotoprojekte realisiert. Nach der Trennung macht sie sich selbstständig, ist immer wieder – aber nicht nur – als Modefotografin tätig, ohne ihre Vorliebe fürs Surreale abzulegen. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zieht sie mit ihrem zweiten Ehemann Roland Penrose nach London, wo sie für die britische Dependance der Vogue arbeitet. Als London ab September 1940 bombardiert wird, hält Miller die Folgen von „The Blitz“, wie die massiven Angriffe der Luftwaffe im englischen Sprachgebrauch genannt werden, mit der Kamera fest. Fortan will sie einen Beitrag leisten und geht als Kriegsberichterstatterin an die Front.
Millers Wirken in dieser Rolle steht im Mittelpunkt des Spielfilms Lee, der in Deutschland unter dem Titel Die Fotografin erschien. Das Biopic ist ein Herzensprojekt von Kate Winslet (Das Leben des David Gale): Die Schauspielerin schlüpfte nicht nur in die Hauptrolle, sondern kämpfte als Mit-Produzentin lange dafür, dass der Film überhaupt finanziert wurde. Lee ist das Regiedebüt der langjährigen Kamerafrau Ellen Kuras. Sie und Kate Winslet arbeiteten bereits im Zuge von Michael Gondrys äußerst sehenswerter Sci-Fi-Romanze Vergiss mein nicht! (2004) zusammen.
Lee Millers Beitrag wurde erst posthum richtig geehrt
Die Vorlage liefert die Biographie The Lives of Lee Miller, die Antony Penrose 1988 veröffentlichte. Der Sohn von Lee Miller hatte erst Jahre nach deren Tod im Jahre 1977 von ihrer Vergangenheit als Kriegsreporterin erfahren. Warum, versucht der Film anhand der Kriegserlebnisse der Protagonistin zu ergründen. Wir folgen Lee Miller, nachdem sie in den zerbombten Straßen Londons ihre journalistische Berufung entdeckt, auf den europäischen Kontinent, wo sie an der Seite des befreundeten Fotografen David E- Scherman (Andy Samberg, Palm Springs) die Schrecken des Zweiten Weltkriegs hautnah miterlebt – angefangen bei den erbarmungslosen Kampfhandlungen, kulminierend in der schockierenden Entdeckung der Gräuel, die als Holocaust in die Geschichte eingehen.
Mindestens genauso prägend sind die persönlichen Geschichten, denen sie begegnet: von ihrer Freundin und Widerstandskämpferin Solange d’Ayen (Marion Cotillard, Inception), die sie ausgemergelt und gezeichnet von Repressalien in den befreiten Trümmern von Paris wiederfindet; von einer blutjungen, durch Vergewaltigung traumatisierten KZ-Überlebenden; von französischen Frauen, die in ihrer Verzweiflung mit deutschen Soldaten ins Bett gingen oder gar gewaltsam zum Sex genötigt wurden und nun auf offener Straße als „Kollaborateurinnen“ erniedrigt werden.
Ein weiblicher Blick auf die Schrecken des Krieges
Lee richtet den Blick auf die sexualisierte Gewalt, die im Krieg beiläufig passiert, weil sich Täter in den Wirren sicher wähnen. In diesen Schicksalen spiegelt sich das der jungen Lee Miller wider, die als siebenjähriges Mädchen missbraucht wurde. Gleichzeitig weist sie eine Opferrolle von sich, indem sie als erwachsene Berichterstatterin die Deutungshoheit über diese Taten erlangt.
Umso begreiflicher wird ihre Verbitterung, die sie in der erzählerischen Klammer zeigt. Dort findet sich die gealterte Miller in einer fiktiven Interviewsituation wieder. Sie sei nicht in den Krieg gezogen, damit die Leute ihren Namen kennen, gibt sie zu Protokoll. Die Enttäuschung darüber, dass die meisten ihrer Aufnahmen, insbesondere jene aus den Konzentrationslagern, keinerlei Berücksichtigung in den Redaktionen ihrer Auftraggeber fanden, ist wohl ein Grund, weshalb sich die echte Lee Miller aus dem aktiven Fotojournalismus zurückzog.
Lee: Starke Einzelszenen, flüchtiger Film
Kate Winslet jedenfalls gibt eine mutige wie ruppige Reporterin ab, die zunehmend in die Desillusionierung schlittert. Der Film erinnert daran, dass Wegsehen keine Option sein darf, die Erfüllung der Chronistenpflicht jedoch für den einzelnen Menschen eine schwer zu schulternde Bürde ist. Trotz starker Szenen bleibt Lee allerdings erzählerisch konventionell. Die klassischen Storybeats eines Biopics und die episodenhafte Aneinanderreihung schwerer Themen wie Krieg, Holocaust und Misogynie lassen den Film formal flüchtig wirken.
Das gilt auch für die Genese des berühmten Badewannenbildes in Hitlers Münchener Wohnung. Im Film wirkt das bis ins kleinste Detail durchkomponierte Foto eher wie ein spontaner Akt. „Tatsächlich visualisiert sie aber durch das Eindringen in den Privatraum einen radikalen Akt der Machtumkehrung“, sagte der Kurator Walter Moser gegenüber dem Deutschlandfunk. Weitere berühmte Fotomotive werden innerhalb der Handlung reskonstruiert. Eine tiefergehende Beschäftigung mit dem künstlerischen Schaffen bleibt jedoch aus. Das filmische Zitat ist im Grunde nicht mehr als ein ehrendes Negativ ihrer Arbeit.
Fazit & Filmempfehlung: A Private War
Das – und die Anknüpfung an ein erschreckend aktuelles Thema: Gewalt gegenüber Frauen – sind jedoch Daseinsberechtigung genug. Wenn man durch Lee erfährt, wer Lee Miller war, muss der Film das cineastische Rad nicht neu erfinden. Wichtig ist, dass die Erinnerung an das, was wirklich war, lebendig bleibt. Dahingehend macht Lee dann doch einen guten Job – Kate Winslet sei Dank. Wer das Wesen der Kriegsberichterstattung in einem biographischen Kontext klarer vermessen und auch in einem medialen Spannungsfeld aktueller verortet sehen möchte, dem sei der ähnlich gelagerte A Private War über die amerikanische Journalistin Marie Colvin (1956 bis 2012, getötet im syrischen Bürgerkrieg) ans Herz gelegt.
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Als Biopic konventionell geraten, erzählt Die Fotografin dennoch die bewahrenswerte Geschichte einer mutigen Frau. Wenn dich der Film interessiert, findest du über den folgenden Link eine Bezugsquelle beim großen Online-Kaufhaus mit A. Kommt nicht für jeden in Frage, ich weiß – allerdings unterstützt du mit einem Kauf über diesen Affiliate Link den Betrieb dieser Homepage, indem ein kleiner Beitrag (du zahlst keinen Cent mehr als sonst!) als Provision für mich abfällt.
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