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Sportreporter und Wendehals: Jack Rose in An jedem verdammten Sonntag (1999)

American Football ist ein Zirkus für die Massen, und Reporter wie Jack Rose sorgen nur allzu bereitwillig für die Publicity.

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American Football ist ein Zirkus für die Massen, und Reporter wie Jack Rose sorgen nur allzu bereitwillig für die Publicity.

An jedem verdammten Sonntag ist Oliver Stones Bestandsaufnahme des Sports an der Schwelle des neuen Jahrtausends. Kommentator Jack Rose sonnt sich im Schein des Stadionflutlichts. Dabei ist er selbst nicht die hellste Leuchte. Sondern ein eitler Opportunist.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Warner Bros.

Zur Person: In An jedem verdammten Sonntag läuft Sportreporter Jack Rose (John C. McGinley) zur Hochform auf. Auf dem hohen Ross in seiner Kommentatoren-Box thronend, schreibt er wahlweise Nachwuchstalente in den Olymp oder Trainer aus dem Amt. Seine Spielberichte fallen wortreich aus, sind inhaltlich aber ziemlich dünn. Er kennt nur Sieg oder Niederlage, Erfolg oder Versagen. Kurz: Rose ist kein guter Journalist. Aber ein guter Verkäufer. Seine Defizite in den Bereichen der Recherche und der Analyse fallen nicht weiter auf. Die Leute hängen ihm auch so an den Lippen. Hinzu kommt: Spätestens am kommenden Wochenende ist sein Senf aus der Vorwoche sowieso schon wieder überholt und vergessen. Das System Football lebt schließlich davon, dass sich das Blatt An jedem verdammten Sonntag wendet.

Jack Rose ist der geborene Wendehals, der die systemrelevanten Narrative mit schlafwandlerischer Sicherheit bedient. Diese „Kunst“ hat ihm einen gewissen Status eingebracht, der Reporter pflegt und genießt die Nähe zu den Stars der Branche. Abseits seiner Spielberichte, die er im Eifer des Gefechts abliefert, windet sich der Reporter mit dem geleckten Seitenscheitel aalglatt durch seinen Job. Als Interviewer biedert er sich seinen Gesprächspartnern geradezu an, knallharte Nachfragen kommen ihm nicht über die Lippen.

Geiler Typ - sagt Jack Rose (John C. McGinley, wirklich ein Guter) zu Willie Beamen (Jamie Foxx). Damit will der Sportreporter den Shootingstar einlullen.
Geiler Typ – sagt Jack Rose (John C. McGinley, wirklich ein Guter) zu Willie Beamen (Jamie Foxx). Damit will der Sportreporter den Shootingstar einlullen.

Jack Rose biedert sich an – bis zum Fist Bump

In einer zentralen Szene interviewt Jack Rose Willie Beamen (Jamie Foxx), eine Verletzungsmisere hat den talentierten, aber lange erfolglosen Quarterback in die Mannschaft gespült. Nach anfänglicher Skepsis aller, schwingt sich der Notnagel zum echten Leistungsträger auf. Doch der Hype um seine Person steigt Beamen zu Kopf, wie das Gespräch mit Rose beweist. Auf dem Spielfeld kann der Shootingstar seinen Mageninhalt vor lauter Nervosität nicht einbehalten. Vor dem Mikrofon jedoch dampfplaudert er wie ein Großer.

Er kritisiert – teilweise berechtigt, teilweise überzogen – das System, von dem er gerade profitiert. Anstatt kritisch nachzuhaken, heuchelt Rose Bewunderung, adelt Beamen als duften Typen – dabei ist offensichtlich, dass er dem Newcomer lediglich den Raum gibt, sich um Kopf und Kragen zu reden. Beamen durchschaut dieses Spiel auf den letzten Metern und lässt einen Fist Bump von Rose vor laufender Kamera ins Leere laufen.

Störfeuer und Angriff auf Coach D’Amato

Jack Rose kann allerdings auch biestig sein, wenn er eine Situation zu seinen Gunsten wittert. Am Rande einer Trainingseinheit der Miami Sharks stößt ihn Coach Tony D’Amato (Al Pacino, Insider) zur Seite. Kein persönlicher Angriff, Rose steht nur rein zufällig im Weg. Der Journalist schlägt mit dem Kopf auf der Spielerbank auf, eine Platzwunde klafft an seinen Stirn. Dachschaden zum Trotz schaltet er sofort: „Oh that’s great! That’s just F***ING great! Did you get that?“, nimmt Rose, noch auf seinen Knien rutschend, den Kameramann in die Pflicht.

Der Möchtegern-Zampano sieht in diesem Unfall die Gelegenheit, dem ungeliebten Trainer einen Strick zu drehen. Allerdings ist das Momentum nicht auf Jack Roses Seite: D’Amato und seine Sharks haben die sportliche Talfahrt des Klubs gestoppt und befinden sich wieder auf Play off-Kurs. Der Trainer überlebt die Affäre, die öffentliche Entschuldigung ist Rose zumindest eine kleine Genugtuung.

Coach D'Amato (Al Pacino) und sein bestes Pferd im Stall. Willie Beamen ist eigentlich nur dritter Quarterback, wird durch eine Verletzungsmisere ins Teams gespült. Rechts im Bild: Ein angesäuerter Denis Quaid.
Coach D’Amato (Al Pacino) und sein bestes Pferd im Stall. Willie Beamen ist eigentlich nur dritter Quarterback, wird durch eine Verletzungsmisere ins Teams gespült. Rechts im Bild: Ein angesäuerter Denis Quaid.

Oliver Stones Football-Film soll Flops vergessen machen

Der Film: Hoffen auf einen Touchdown an den Kinokassen: Oliver Stones Nixon-Film Der Untergang eines Präsidenten (1995) und der Thriller U-Turn (1997) waren ausgewiesene Flops, mit einem Epos über den Lieblingssport der Amerikaner drängte der Kultfilmer (Platoon, JFK- Tatort Dallas, Natural Born Killers) zurück in die Erfolgsspur. Sportfan Stone hatte schon lange mit der Verfilmung eines Football-Sujets geliebäugelt, ein Skript aus Stones Feder mit dem Titel The Linebacker blieb in den 1980er-Jahren jedoch unverfilmt. Dieses Versäumnis holte er mit An jedem verdammten Sonntag nach, allerdings auf Grundlage eines neuen Drehbuches. So basieren Titel und Teile der Handlung auf der Novelle On Any Given Sunday des ehemaligen NFL-Defenders Patrick Jay Toomay.

An jedem verdammten Sonntag ist eine Bestandsaufnahme des American Footballs an der Schwelle des neuen Jahrtausends. Typisch für den politischen Filmermacher, zeigt Stone auf, was in diesem gewaltigen Mikrokosmos schief läuft. Zu den Problemlagen gehören die Kommerzialisierung des Profi-Footballs, der sich zunehmend vom Zuschauer entfremdet (der einfache Fan ist in An jedem verdammten Sonntag lediglich Statist), die Ausbeutung afroamerikanischer Athleten, die im Laufe ihrer verhältnismäßig kurzen Sportlerkarrieren verheizt werden, eine Sportmedizin, die sich wirtschaftlichen Interessen unterordnet (Stichwort: Chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE)), aber auch die Einflussnahme der Medien.

 Pausenansprachen sind in An jedem verdammten Sonntag Pflichtprogramm. Al Pacino hat es aber auch drauf mit den Monologen. Man schaue nach in Michael Manns Medienthriller Insider. Dort spielt Mr. Pacino einen Superjournalisten.
Pausenansprachen sind in An jedem verdammten Sonntag Pflichtprogramm. Al Pacino hat es aber auch drauf mit den Monologen. Man schaue nach in Michael Manns Medienthriller Insider. Dort spielt Mr. Pacino einen Superjournalisten.

Die Probleme von 2000 sind heute in der NFL immer noch akut

Ein Saisonausschnitt des fiktiven Teams Miami Sharks bildet den Rahmen dieser Bestandsaufnahme. Der Klub, dessen Erfolge allmählich verblassen (dass der letzte Trtiumph gerade mal vier Jahre her ist, zeigt, in welchen Zeiträumen gedacht wird), ist mit hohen Erwartungen in die Spielzeit gestartet und droht nun, die Entscheidungsspiele zu verpassen. Bei der Inszenierung der Football-Matches verlässt sich Oliver Stone auf seine aus Natural Born Killers bekannte Videoclip-Ästhetik, untermalt von treibenden Rock-, Hip-Hop- und Elektro-Beats. Formal mag der Film, über zwanzig Jahre nach Veröffentlichung, Staub angesetzt haben. Die Themen, die er verhandelt, sind nach wie vor aktuell – was kein gutes Licht auf die NFL (die ihre Unterstützung an dem Film verweigerte, weswegen der Ligabetrieb in An jedem verdammten Sonntag vollständig fiktionalisiert werden musste), aber auch auf die amerikanische Gesellschaft wirft.

Funktion: Die Medien sind ein Teil der Show-Maschinerie, Jack Rose ist ihr Stellvertreter. Der Reporter steht für eine schnelllebige, hyperaktive Berichterstattung, die weder Teams und Spielern, noch Fans Luft zum Verschnaufen gibt. Wer gestern noch ein Held war, ist morgen schon wieder der Sündenbock und umgekehrt. Diese Spielart des Sportjournalismus hat es allein darauf abgesehen, Hypes zu erzeugen und diese anschließend so lange wie möglich zu melken. Neben Jack Rose sind noch weitere Medienmenschen in Form von Kommentatoren sichtbar, meist sind es betagte, graue Herrschaften, die so alt wie die Football-Liga selbst sind – eine Zusammensetzung, die viel über die nicht vorhandene Diversität in diesem Umfeld aussagt.

Jack Rose steht für eine schnelllebige, hyperaktive Berichterstattung, die weder Teams und Spielern, noch den Fans Luft zum Verschnaufen gibt. Kennen wir doch von irgendwo her, oder?
Jack Rose steht für eine schnelllebige, hyperaktive Berichterstattung, die weder Teams und Spielern, noch den Fans Luft zum Verschnaufen gibt. Kennen wir doch von irgendwo her, oder?

Jack Rose ist das Zerrbild einer sportjournalistischen Wahrheit

Meditative Elemente sucht man in den Reihen der Presse vergebens, Kritiker tadelten die Darstellung des Reporters Jack Rose deswegen als überzogen und karikaturistisch. Aber so tickt nun mal Oliver Stone. Er bedient sich der Stilmittel derer, die er kritisiert und hält ihnen so den Spiegel vor – um die Schwarz-Weiß-Malerei der Sportberichterstattung zu kontrastieren, verzichtet er auf jegliche Schattierungen. Ähnlich war der Regisseur fünf Jahre zuvor verfahren: In Natural Born Killers konterte Oliver Stone die (nicht nur) in den US-Medien kolportierte Anschuldigung, Film und Kino würden Menschen zu Gewalttätern erziehen, mit übertriebenen, comic-artigen Gewaltdarstellungen. Dabei wird das Killer-Pärchen Mallory und Micks, so suggeriert es der Film, erst durch die morbide wie sensationsgierige Berichterstattung der Nachrichtenmedien zu immer heftigeren Exzessen angestachelt.

Jack Rose ist das Zerrbild einer sportjournalistischen Wahrheit, die wir hierzulande wohl am stärksten nach dem Suizid des Fußball- und Nationaltorhüters Robert Enke im Jahr 2009 wahrgenommen haben. Der Berichterstattung über diesen Fall schloss sich eine Debatte darüber an, inwieweit Leistungsbewertungen (in Form von „Spielernoten“ etwa) medialen Druck ausüben und welche Verantwortung Sportmedien bei der Beurteilung sportlicher Misserfolge tragen.

Hier ein Lesetipp: Matthis Jungblut zur medialen Situation zehn Jahre nach Robert Enke.

Trivia: John C. McGinley (den meisten bekannt als Dr. Cox in Scrubs) lehnte seine Darstellung an den Sportmoderator Jim Rome an. Rome ist für sein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein bekannt. Eine Show von und mit ihm trug den Titel Rome is Burning.

Jack Rose ist nicht die erste Journalistenfigur, die John C. McGinley spielte. In Der stumme Schrei der Angst, einem Vehikel für die gehörlose Schauspielerin und jüngste Oscar-Gewinnerin aller Zeiten, Marlee Matlin, war McGinley in der Rolle des Reporters Mickey O’Malley zu sehen. Wenn auch nur kurz: O’Malley ist der wortwörtliche wie personifizierte Brandbeschleuniger in einem ansonsten sehr lauen Krimi.

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Stilistisch inzwischen angestaubt, sind die Themen, die An jedem verdammten Sonntag anreißt, noch immer aktuell. Wenn Du Lust hast, den Film zu werben: Hier kannst Du den Film bestellen (Affiliate Link).

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