Inside WikiLeaks sprintet durch die Gründerjahre der Enthüllungsplattform und nimmt dabei den umstrittenen Gründer Julian Assange ins Visier.
Inside WikiLeaks sprintet durch die Gründerjahre der Enthüllungsplattform und nimmt dabei den umstrittenen Gründer Julian Assange ins Visier.
WikiLeaks. Für die einen der Hort einer neuen Informationsfreiheit, für die anderen eine unberechenbare Geheimnisschleuder. Egal, welcher Perspektive man folgte, 2010/2011 waren sich Kommentator*innen einig: Mit der Whistleblower-Plattform bahnte sich eine informationelle Revolution an, ja sogar eine Wachablösung der vierten Gewalt. Zehn Jahre später liegt WikiLeaks mehr oder minder brach, die Begeisterung ist erkaltet. Dass es so kommen würde, das wollen rückblickend ebenso viele vorausgesagt haben. Die Handlungsfähigkeit des Projekts sei zu eng mit dem Verbleib des Gründers Julian Assange verknüpft gewesen, heißt es. Im Nachhinein lässt sich sowas natürlich leicht attestieren.
Das heutige Ansehen von Julian Assange und WikiLeaks
2012 floh Julian Assange ins politische Asyl der ecuadorianischen Botschaft in London, um seiner Verhaftung durch schwedische, britische und US-amerikanische Behörden zu entgehen. Mit dem eingeschränkten Aktionsradius des Online-Aktivisten schien auch der Einfluss von WikiLeaks zu schrumpfen. Zumindest verengte sich der öffentliche Blick. Zwar machte die Plattform weiterhin mit Enthüllungen von sich reden, die Schlagzeilen allerdings bestimmten die Kontroversen um Assanges Person. Mit seiner Auslieferung im Jahr 2019 galt WikiLeaks zwischenzeitlich als versiegt. Bis heute bemühen sich Mitstreiter*innen darum, der Website neue Relevanz einzuhauchen.
Ihr Erfolg hält sich in Grenzen, das öffentliche Interesse ebenso. WikiLeaks ist wie eine aufregende Luxuskarosse, die nach einem Totalschaden ramponiert auf dem Seitenstreifen stehengelassen wurde. Der ideelle Wert ist unbestritten, man ahnt, dass unter der Haube noch etliche PS schlummern. Der Glaube daran, dass dieses Schmuckstück noch einmal kraftvoll aufheult, ist gering. Die Manövrierunfähigkeit hat der prominente Fahrzeughalter selbst zu verantworten. WikiLeaks ist Assange und umgekehrt. Nach außen hin hatte der Australier die Plattform als sicheren Datenhafen einer basisdemokratischen Freiheitsbewegung verkauft, intern jedoch im Stile eines egomanischen Frontmannes orchestriert und somit wichtige Köpfe, die WikiLeaks hätten in seiner Abwesenheit weiterführen können, vergrault. So geht jedenfalls das Narrativ, das viele mediale Darstellungen bemühen.
Inside WikiLeaks stützt sich auf Assange-kritische Vorlagen
Zu diesen Darstellungen gehört, neben zahlreichen Dokumentationen (u. a. von Alex Gibney: We Steal Secrets: The Story of WikiLeaks), der Spielfilm Inside WikiLeaks. Dass der WikiLeaks-Erfinder dieser Verfilmung ablehnend gegenüberstehen würde, galt im Vorfeld als ausgemacht. Das Drehbuch stützt sich auf Berichte ehemaliger Gefährten, die sich von Julian Assange distanzierten. Weswegen der eine von Hollywood mitgetragene Desinformationskampagne witterte. Assange versuchte Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch von der Niederträchtigkeit des Filmprojekts zu überzeugen. Als ihm dies nicht gelang, bezeichnete er den Mimen als eine „hired gun“ der Filmindustrie.
Das Skript von Josh Singer (Spotlight, Die Verlegerin) basiert zu großen Teilen auf dem gleichnamigen Buch von Daniel Domscheit-Berg. Domscheit-Berg gehörte von 2007 bis 2010 zu den wenigen öffentlichen Gesichtern von WikiLeaks, bis er sich mit Assange überwarf und das Projekt verließ. Wie sehr sich seine Haltung zur Plattform gewandelt hat, unterstreicht der Untertitel seines autobiografischen Enthüllungsberichts: „Meine Zeit bei der gefährlichsten Webseite der Welt“. Im letzten Drittel beruft sich der Film zudem auf Schilderungen der Journalisten David Leigh und Luke Harding. Die Investigativ-Redakteure der britischen Zeitung The Guardian berichten in ihrem Buch WikiLeaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy von ihrer brüchigen Kooperation mit Assange – beide gehörten einem trilateralen Recherche-Bündnis renommierter Medienhäuser an, das auf dem Zenit von WikiLeaks exklusiv mit der Plattform zusammenarbeitete.
Inside WikiLeaks hetzt durch die Gründerjahre der Website
Wer den Film sieht, kann sich ausmalen, wie Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London die Faust in der Tasche geballt haben dürfte: Inside Wikileaks ist das Porträt eines rastlosen Visionärs (Cumberbatch), der mit guten Absichten antritt, jedoch unfähig ist, sein Ego zum Wohle einer höheren Idee zurückzustellen. In der ersten Hälfte konzentriert sich der Film auf die Beziehung zu Domscheit-Berg (Daniel Brühl). Der Informatiker lernt Julian Assange auf einer Konferenz des Chaos Computer Clubs in Berlin kennen. Er erliegt der geheimnisvollen Aura des Gastsprechers und beginnt, die gute Sache zu unterstützen. Anfangs noch aus der Vorratskammer seines Arbeitgebers heraus, später Vollzeit.
Der Film hetzt durch die Gründerjahre, die Großes verheißen, getrieben von vielen Szenenwechseln, pulsierenden Beats und optischen Cyberspace-Spielereien, die schon wieder leicht verwittert daherkommen – virtuelle Welten altern im Kino häufig schlecht. Es gibt aber auch nicht sonderlich viel zu zeigen. Server werden angezapft, potenzielle Quellen eingeschworen, Datensätze transferiert. Wie WikiLeaks arbeitet, welche Veröffentlichungen der Plattform ihren Ruf einbringen, wird im Sog der Bilder beiläufig verhandelt. Genaueren Bezug nimmt der Film etwa auf die Enttarnung eines Steuerbetrugs der Schweizer Privatbank Julius Bär, eine der ersten prominenten Datenveröffentlichung durch WikiLeaks.
Der Bruch zwischen Assange und Domscheit-Berg
Ansonsten sind Assange und Domscheit-Berg wie die Meisterdiebin Carmen Sandiego aus der gleichnamigen Kindersendung: überall und nirgendwo. Das geht so lange, bis die Blase groß genug ist, um sie zum Platzen zu bringen. Plötzlich hat WikiLeaks in drei Jahren mehr Scoops in die Welt getragen als die ehrwürdige Washington Post in drei Jahrzehnten, wie der filmische Assange stolz reüssiert. Da bis hierhin jedoch kaum über Inhalte gesprochen wurde, fällt dem fleißigen Domscheit-Berg bald auf, dass er wenig über seinen Geschäftspartner weiß. Der Mann, der nach außen hin totale Transparenz predigt, betreibt im Privaten strengste Geheimniskrämerei. Woher kommt Assange? Was treibt ihn an? Woher bezieht er seine finanziellen Mittel? Domscheit-Berg hakt nach, doch Assange beantwortet sowohl bohrende Nachfragen als auch dessen zunehmende Emanzipation als Sprecher von WikiLeaks mit Liebesentzug. Der einstige Kronprinz ahnt, dass er ausgebootet werden soll.
Das gegenseitige Misstrauen mündet in jenem Streit, der zum endgültigen Bruch zwischen den beiden Männern führt. Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen sensible Daten, die über den Whistleblower Bradley Manning (heute Chelsea Manning) in den Besitz von WikiLeaks gelangten. Darunter das berüchtigte Collateral Murder-Video , das zeigt, wie irakische Zivilisten aus einem US-amerikanischen Flugzeug heraus erschossen werden, sowie über 100.000 diplomatische Depeschen aus US-amerikanischen Botschaften, die entlarvende Notizen über politische Akteure anderer Nationen enthalten. Während Assange beabsichtigt, sämtliche Informationen ungefiltert zu veröffentlichen, besteht Domscheit-Berg darauf, das Material zu sichten und Textpassagen, die mögliche Informant*innen enttarnen und in Gefahr bringen könnten, zu schwärzen.
Redigieren heißt verändern: Der journalistische Konflikt
Der persönliche Konflikt wird journalistisch aufgeladen. Zu diesem Zeitpunkt arbeitet WikiLeaks exklusiv mit den Nachrichtenhäusern der New York Times, der britischen Zeitung The Guardian und des SPIEGEL zusammen. Um die Wucht der Enthüllungen zu verstärken, wird eine gemeinsame Veröffentlichungsstrategie entwickelt. Doch Assange mag seinem Teil der Vereinbarung nicht nachkommen. „Redigieren heißt verändern“, blockt der WikiLeaks-Betreiber ab und pocht auf das Recht auf freie Informationen. Domscheit-Berg protestiert. Er verweist auf die Verantwortung, über die Assange geflissentlich hinwegsehe: „Wir sind Journalisten. Wir müssen alles prüfen.“
Aber sind sie das? Journalisten? Inside WikiLeaks zieht eine doppelte Demarkationslinie. Der filmische Assange ist weder willens noch organisatorisch in der Lage, die Daten zu sichten, die Seriosität der Quellen zu überprüfen und die Informationen für ein breites Publikum aufzubereiten. So gesehen kann WikiLeaks nur ein Zulieferer für den investigativen Journalismus sein. Dieser Schluss kommt mit Blick auf die Vorlage von David Leigh und Luke Harding wenig überraschend. Mit dem Buch der Guardian-Reporter fließt schließlich eine dezidiert journalistische Perspektive in den Film mit ein. Zugespitzt gesagt: Der Journalismus behält hier die Deutungshoheit über Frage, inwiefern die vierte Gewalt tatsächlich von einer neuen, fünften abgelöst wird.
Der Zusatz Die fünfte Gewalt ist nur eine Höflichkeitsfloskel
Der deutsche Titelzusatz Die fünfte Gewalt suggeriert eine Machtverschiebung. Doch in Wirklichkeit ist er nicht mehr als anerkennendes Nicken. Hinter seiner technokratischen Fassade ist InsideWikiLeaks ein Plädoyer für den etablierten Journalismus, der Enthüllungen die notwendige Glaubwürdigkeit verleiht. Eine Sichtweise, die – bezogen auf die Causa WikiLeaks – legitim ist. Um die uferlosen Datensätze auswerten, braucht es weitaus mehr als Idealismus. Nämlich Expertenwissen, personelle Kapazitäten und technische Ressourcen sowie publizistisches Know-how. Nicht umsonst schließen sich investigative Redaktionen heutzutage zu international vernetzten Recherche-Kollektiven zusammen, um bedeutsame Recherchen stemmen zu können. Man denke etwa an die Enthüllung der Panama Papers.
Doch bei allem Pragmatismus, der für den institutionellen Journalismus spricht: In Inside WikiLeaks schwingt auch der Überlegenheitsanspruch der althergebrachten Medien mit. Die im Film gezeigten Journalisten argumentieren nicht nur mit einer redaktionellen Notwendigkeit, sondern mit einer verlegerischen Alternativlosigkeit. Ohne konzertierte Veröffentlichungen durch internationale Leitmedien laufe WikiLeaks Gefahr, in den luftleeren Raum hinein zu publizieren. Wenig überraschend reagiert Julian Assange auf derartige Einlassungen allergisch, weil er sie als persönliche Angriffe auf die eigene Wirkmächtigkeit wertet. So wird es zumindest im Film dargestellt.
Inside WikiLeaks skizziert die Kritik nur oberflächlich
Dass hinter WikiLeaks die Absicht steht, eine Gegenöffentlichkeit zu erzeugen, die sich bewusst von den Gatekeeping-Mechanismen der Massenmedien emanzipiert; dass diese Plattform ein Weg sein kann, öffentliche Räume zu erreichen, in denen es längst keine freie Presse mehr gibt; dass auch honorige Redaktionen wie die der New York Times ihre Veröffentlichungen nach selektiven (sprich: ökonomischen) Kriterien planen – das sind Spannungsfelder, die Inside WikiLeaks offensichtlich nur ungern betritt. Er lässt es dabei, Julian Assange als einen uneinsichtigen Charakter zu porträtieren.
Nun ist Inside WikiLeaks ein Unterhaltungsprodukt mit überschaubarer Laufzeit. Eines, das auf der dramaturgischen Ebene nur mittelmäßig funktioniert. Inhaltlich liefert der Film den skizzenhaften Abriss einer (Vor-)Geschichte, die mehr über Eitelkeiten im Geschäft mit der Wahrheit aussagt als über den Prozess der Wahrheitsfindung an sich. Inside WikiLeaks beschwört die Zusammenarbeit zwischen Whistlerblower*innen und Journalist*innen, die es zweifelsohne braucht, um Korruption und Machtmissbrauch aufzudecken, plädiert gleichzeitig für eine klare Verteilung dieser Rollen. Doch Julian Assange passt nicht in die klassischen Kategorien. Er ist ein Informations-Broker, versteht sich selbst als Journalist und verfolgt einen radikalen Ansatz der Informationsfreiheit. In diesem Kontext muss Assange zwangsläufig scheitern.
Gute Idee, schlecht umgesetzt – ist es wirklich so einfach?
Über (Transparenz-)Probleme von WikiLeaks zu diskutieren ist richtig und wichtig – allerdings arbeitet Inside WikiLeaks diese Probleme nur soweit auf, wie es der Sichtweise des Films dient. Dass auch auf anderer Seite Vereinbarungen nicht eingehalten wurden, sich ausgerechnet der Guardian mit einer tendenziösen, von Fake News durchzogenen Berichterstattung über Julian Assange und WikiLeaks hervortat, bleibt (zum Teil zeitlich bedingt) unerwähnt. Am Ende wird das Scheitern dieser Zusammenarbeit unter einen Fußvorleger mit der Aufschrift „Shit happens“ gekehrt. Als wäre die Idee von WikiLeaks genial, aber mangelhaft ausgeführt gewesen. Irgendwann kommt schon jemand, der es besser macht. Ein scheinheiliges Fazit.
Selbst wer die Berichterstattung der vergangenen Jahre nur überfliegt, der stellt schnell fest: Die Meinungen über WikiLeaks und seinen umstrittenen Gründer gehen weit auseinander. Vom modernen Robin Hood bis hin zum gefährlichen Netz-Terroristen – Assange erfährt das komplette Spektrum medialer Zuschreibungen. Freilich spielen die vielen Kontroversen um seine Person eine Rolle, die Komplexität des Themas, politische Interessen und lancierte Falschmeldungen erschweren die Einordnung zusätzlich.
Gute Whistleblower, schlechte Whistleblower
Gleichwohl ist die Berichterstattung über WikiLeaks von einer Grundskepsis beseelt, die auf Gegenseitigkeit beruht. Sie fällt insbesondere dann ins Auge, wenn man das öffentliche Ansehen eines Julian Assanges mit dem eines Edward Snowden vergleicht. Die beiden Symbolfiguren der modernen Whistleblower-Bewegung verkörpern beinahe Antonyme: hier der strahlende Held (Snowden), dort der zwielichtige Hacker (Assange). Was auch auf ihre (vermeintlich) konträren Auffassungen über das Verhältnis zur Presse zurückzuführen ist. Während Snowden den Journalismus als wichtiges gesellschaftliches Regulativ versteht und immer wieder gezielt den Kontakt zu Reporter*innen sucht, schlägt Assange eigene Schneisen durchs Dickicht der Desinformation, um sich von der Abhängigkeit der arrivierten Medien zu lösen.
Assanges scharf formulierte Medienkritik provoziert Trotzreaktionen und schürt Konkurrenzängste, die wiederum – teils bewusst, teils unbewusst – die Tonalität der Berichterstattung beeinflussen. Man muss nicht gleich eine global gesteuerte Kampagne im Sinne der Assange’schen Gegenwehr konstruieren: Neue Medienangebote publizistisch zu zerpflücken, das ist der internalisierte Reflex einer Branche, die seit jeher Verdrängungseffekte fürchtet. Print und Fernsehen, Offline vs. Online, Journalisten vs. Blogger – das sind nur einige bekannte Grabenkämpfe. Häufig zielt das Trommelfeuer paradigmatischer Debatten am Kern vorbei. Auch Inside WikiLeaks geht einem Scheingefecht auf den Leim. Assange hat es gewagt, an der Säule der vierten Gewalt rütteln. Sie ist nicht umgefallen. Das Aufatmen darüber fällt in diesem Film viel zu laut aus.
Weitere Lesetipps:
Die Bundeszentrale für politische Bildung über WikiLeaks
Filmkritik von Dobrila Kontic auf fachjournalist.de
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Lust, Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt, in die Sammlung aufzunehmen? Für eine Zusammenfassung in Spielfilmform kann man sich den Film gut geben. Aber der Film stößt bei der Komplexität des Themas schon früh an seine Grenzen.
Inside Wikileaks – Die fünfte Macht (Affliate-Links!)
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