„Was wäre, wenn Du die Nachrichten kontrollierst?“ Mit diesem Gedankenexperiment lädt das Indie Game Headliner an den virtuellen News Desk.
„Was wäre, wenn Du die Nachrichten kontrollierst?“ Mit diesem Gedankenexperiment lädt das Indie Game Headliner an den virtuellen News Desk.
In einer Welt, in der Menschen zunehmend genetisch modifiziert werden, steuern wir in leitender Position den Output eines Nachrichtenmediums. Ein Praktikumsbericht.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Unbound Creations.
Willkommen im neuen Job! Eine freundliche Dame empfängt mich im Namen der Geschäftsführung und erklärt mir, was ich künftig zu tun habe: Als Lokalchef (oder Lokalcheffin, Headliner gibt uns die Wahl) obliegt es meiner Verantwortung, welche News über den Ticker von GalMedia flimmern. Tue ich mich besonders quotenbringend hervor, dann winkt in nur sieben Tagen die Beförderung ins Überregionale. Das nenne ich mal ein Sprungbrett. Mein Noch-Vorgänger wird sicher hocherfreut sein, sollte er binnen einer Woche durch einen Frischling ersetzt werden.
Aber hey, ich bin ja nicht hier, um mir Freunde zu machen. Sondern guten Journalismus. Es herrscht ausgelassene Stimmung, die Stadt bereitet sich auf das alljährliche Prestige-Festival vor. Pflichtschuldig winke ich den ersten Vorbericht zu den Feierlichkeiten ins Blatt. Maximales Sedierungspotenzial, I know. Den Party-Crasher kann ich auch noch später spielen. Außerdem gibt es ja noch eine vermaledeite Weltlage. Die folgenden zwei Artikel sind da schon trächtiger: Ein Beitrag über wissenschaftlich belegte Wirtschaftsbelastungen durch nicht-modifizierte Arbeitnehmer sowie eine Nachricht über die Bemühungen eines Ministers, der Ehen zwischen sogenannten Puritanern verbieten lassen will.
Überall Demarkationslinien – Neutralität ist zwecklos
Die erste moralische Demarkationslinie ist gezogen. Die Vorteile der Gentechnik vs. das Recht auf freie Entfaltung. Gattaca lässt grüßen. Ich nehme beide News mit. Schließlich will ich ausgewogen sein. Nichts verschweigen, verschiedene Sichtweisen zulassen. Alles richtig machen. Aber schon am ersten Arbeitstag ahne ich – die Beförderung kann ich mir abschminken.
Die redaktionelle Arbeit in Headliner ist schnell erledigt. Wie in der Grenzer-Simulation Papers, Please stempeln wir – diesmal jedoch keine Pässe, sondern die Artikel-Drafts unserer Redaktionskolleg*innen. Abgesegnete News laufen unmittelbar über den Ticker, abgelehnte Beiträge landen im Orkus. Das ist spielerisch wenig anspruchsvoll, zumal es keinen Zeitdruck gibt (später aber kleinere Vorgaben, etwa was die Mindestanzahl der publizierten Nachrichten betrifft). Nachdem ich den Daumen über ein halbes Dutzend Artikel gehoben habe, ist der Arbeitstag schon wieder beendet. Den Job möchte ich haben. Oder lieber doch nicht?
Sozialer Frieden oder Chaostage? Du am News Desk entscheidest!
Headliner will das Bewusstsein für die Wirkmechanismen der Medien schärfen. Jede Berichterstattung hat einen Effekt, zumindest hier im Spiel. Nach getanem Tagewerk wechselt das Programm aus dem Stempelmodus in eine kurze Walking-Stage über – mit den Pfeiltasten steuern wir unsere Spielfigur durch einen Pixel-Straßenzug. Auf dem Weg nach Hause werden wir mit den Konsequenzen der von uns kuratierten Nachrichtenlage konfrontiert. Passanten kommentieren die Berichte, mal mehr, mal weniger wohlwollend. Vor der Polizeiwache haben sich einige Demonstranten versammelt, die das Recht auf Puritaner-Ehen verteidigen. Well, that escalated quickly.
Zuhause wartet meine Familie bereits auf mich, am Essenstisch werden meine Entscheidung reflektiert. Ich habe Glück. Noch attestiert mir das Spiel mir einen einwandfrei funktionierenden Kompass: Meine Frau findet meine Ausgewogenheit gut. In den Augen meiner Tochter könnten die Nachrichten mehr Wumms vertragen. Aber immerhin erkennt sie an, dass ich mit unterschiedlichen Perspektiven zum kritischen Denken anrege. Der Applaus meiner Liebsten tut gut, ich weiß aber: In der Redaktion warten keine Klatschpappen auf mich. Tatsächlich: Die Sprecherin des Vorstands macht mir am nächsten Morgen klar, dass mein erster Tag ja ganz passabel verlaufen sei. Man erwarte jedoch eine deutliche Steigerung der Abrufzahlen – gerne unter Zuhilfenahme „kleiner Kontroversen“ …
Eine Willkommenskultur hat Folgen, eine Abschottung ebenso
Damit ist auch die Dialektik Quote vs. journalistische Sorgfalt etabliert. An dieser Stelle stoppe ich den „Praktikumsbericht“, um Euch das eigene Spielerlebnis nicht zu verderben. Nur so viel: Nochmal derart neutral lässt mich Headliner nicht „davonkommen“. Das Spiel arbeitet mit Entweder-oder-Entscheidungen, um uns zu einer Haltung zu zwingen. Die Nachrichten überschlagen sich, das Grundthema des Genetic Engineering spitzt sich zu und gefährdet den sozialen Frieden. Zu allem „Überfluss“ bricht ein Bürgerkrieg in der Nachbarschaft aus, weshalb man sich auch noch mit einer Flüchtlingsfrage beschäftigen muss: Willkommenskultur oder Abschottung? Und es kommt, wie es kommen muss: Meine Arbeit nimmt Einfluss auf das Familienleben.
In dieser Gemengelage gerate ich zwangsläufig unter Druck. Jeder Standpunkt ruft den Protest einer Gegenseite hervor. Ich kann scheinbar nichts richtig machen. Darum geht’s in Headliner auch nicht – auch wenn das Spiel durchaus signalisiert, welche Entscheidungen „moralisch richtiger“ sind. Es möchte mich anregen, über die angebotenen Themen nachzudenken. Gleichzeitig zielt Headliner darauf ab, dass ich meine Rezeption von Medien hinterfrage. Nachrichten sind – so die Botschaft – immer selektiv. Was berichtet wird, hängt immer von unterschiedlichen Auswahlkriterien ab – und die können in letzter Instanz sehr subjektiv sein.
Lügenpresse? Kann man spielen. Ist aber scheiße.
Wer fürchtet, das Spiel könnte mit dieser „Denke“ ein allzu kritisches Medienbild zeichnen, vielleicht sogar als Aufruf zur Nutzung zweifelhafter „alternativer Medien“ verstanden werden: Zwar darf ich ausprobieren, was passiert, wenn ich bestimmte Nachrichten unter den Tisch fallen lasse. Aber es macht die Gesamtsituation nicht besser. Headliner endet auf einer positiv-fatalistischen Note: Egal, welche Prioritäten ich auch setze, am Ende hat immer jemand „was zu meckern“. Das muss verantwortungsvoller Journalismus aushalten können.
Headliner ist ein kurzes Vergnügen, ein Durchgang ist in 30 bis 45 Minuten bewältigt. Spielerisch ist das, wie gesagt, überhaupt nicht anspruchsvoll, auch die Auswirkungen der Entscheidungen sind ziemlich vorhersehbar, weil mit der Brechstange vorgetragen. Dennoch ist Headliner ein kleiner, interessanter Denkanstoß, den ich für den Kurs empfehlen kann: Das Spiel ist für drei Euro auf Steam erhältlich, mit Headliner: NoviNews gibt es bereits einen etwas umfangreicheren Nachfolger.
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