Journalist Gary Webb erhebt schwere Vorwürfe. Billigte die CIA nicaraguanische Drogengeschäfte? Plötzlich wird er selbst zur Zielscheibe.
Journalist Gary Webb erhebt schwere Vorwürfe. Billigte die CIA nicaraguanische Drogengeschäfte? Plötzlich wird er selbst zur Zielscheibe.
Treffen sich zwei Männer. Konspirativ, versteht sich. „Manche Geschichten sind zu wahr, um sie zu verbreiten“, unkt der Insider verschwörerisch. Dessen Gesprächspartner zeigt sich unbeeindruckt. Noch. Bald jedoch gerät das Leben von Gary Webb aus den Fugen. Kaum sind seine brisanten Recherchen veröffentlicht, wird er in die Mangel genommen – vom eigenen Berufsstand. Sieht so eine von höchster Stelle gesteuerte Schmutzkampangne aus? Oder ist der Pulitzer-Preisträger sehenden Auges in sein publizistisches Verderben gerannt? So wie der Film Kill The Messenger die Ereignisse erzählt, lässt er wenig Spielraum für Interpretationen.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Universal Pictures.
Nach einer wahren Geschichte: Gary Webb ist ein journalistischer Überflieger, der früh erste Meriten im investigativen Journalismus sammelt. Als er zu seinem ersten großen Scoop ausholt, ist er gerade Mitte zwanzig. Es gelingt ihm, die Verbindungen eines kalifornischen Kohlemagnaten zum organisierten Verbrechen aufzudecken. Für diese Enthüllung wird Gary Webb mehrfach ausgezeichnet. Mit dem Erfolg in der Praxis fühlt er sich seinem theoretischen Journalistikstudium entwachsen. Er verlässt die Uni nach vier Jahren ohne Abschluss. Schließlich geht’s auch ohne – und wie!
Die Türen zu den ganz großen Traditionsredaktionen bleiben ihm zwar verschlossen. Doch Webb findet eine Anstellung bei der Mecury News, einer regionalen Tageszeitung, die in der Bay Area rund um San Francisco erscheint. 1989, neun Jahre nach seiner ersten aufsehenerregenden Enthüllung, erschüttert das sogenannte Lomo-Prieta-Erdbeben die Region. Die Schäden sind immens, werfen allerdings auch Fragen auf – schließlich sollten Bauwerke in Kalifornien, wo die Erde des Öfteren rumort, etwas stabiler gebaut sein. Gary Webb recherchiert die Hintergründe des Zusammensturzes – und wird erneut ausgezeichnet. Diesmal ist es jedoch nicht irgendeine Auszeichnung. Sondern die begehrteste Trophäe für Journalisten überhaupt. Gary Webb erhält den Pulitzer-Preis – spätestens jetzt kennt jeder in der Branche seinen Namen.
Gary Webb und sein Faible für böse Buben
Gary Webb legt seine Finger in Wunden, die besonders schmerzen. Anfang der 1990 rumort es im Inneren der Vereinigten Staaten: Die Straßenkriminalität ist ein echtes Problem in den Städten, die Gewalttaten erreichen einen Höchststand. Allein in Los Angeles werden 1992 1.100 Menschen ermordet. Die Nulltoleranz-Strategie, die ab den 2000er-Jahren für mehr Sicherheit in den US-Metropolen sorgen wird, befindet sich noch im Konzeptstadium.
Gary Webb widmet sich der Gang- und Drogenszene an der Westküste, er beleuchtet die Strukturen der Unterwelt, die längst schon an der Oberfläche agiert, nimmt Drahtzieher und Hintermänner unter die Lupe. Der Journalist entwickelt eine Faszination für das kriminelle Milieu mit seinen eigenen Regeln und Wertegefügen. „Die Bösen sind ehrlicher als die Guten – und unterhaltsamer“, lässt der filmische Gary Webb (gespielt von Jeremy Renner, The Hurt Locker, Avengers), mit seiner schwiegermutterfreundlichen Bad Boy-Attitüde in Kill The Messenger verlauten. Was fehlt, ist ein Scoop, der die Karriere des Journalisten erneut anschiebt.
Der Journalist wähnt sich im journalistischen Daily Business gefangen, bis er eines Tages auf den Namen Oscar Danilio Blandon aufmerksam wird. Der Nicaraguaner, der einst unter dem letzten Präsidenten der berüchtigten Somoza-Dynastie arbeitete, wird 1992 in San Diego verhaftet. Die Behörden werfen ihm konspirativen Kokainbesitz vor – das heißt nichts anderes, als dass Blandon in dem Verdacht steht, Rauschgifthandel zu betreiben. Dass dieser Verdacht nicht aus der Luft gegriffen ist, wird kurze Zeit später deutlich. Während er im Gefängnis auf seine Verhandlung wartet, entschließt sich Blandon dazu, mit der amerikanischen Drogenbehörde DEA zu kooperieren.
Die Dark Alliance kommt ans Licht
1995 fallen Gary Webb Regierungsdokumente in die Hände, die bei Weitem nicht nur Blandon belasten. Sie enthalten Hinweise auf einen großangelegten Drogenschmuggel, die Spur führt von Kolumbien aus über Nicaragua und endet in den USA. Organisiert wird der Schmuggel offensichtlich von den nicaraguanischen Contras, die mit dem Drogengeld den Kampf gegen die Sardinistenadministration in dem lateinamerikanischen Staat finanziert. Was sogleich die Frage nach der Rolle der USA aufwirft – dass die CIA und damit die Vereinigten Staaten die Konterrevolutionäre unterstützen, um ein ungeliebtes Regime zu stürzen, ist spätestens seit der 1986 aufgeflogenen Iran-Contra-Affäre bekannt.
Tragen die USA etwa eine Mitverantwortung an der Kokain- und Crackschwemme im eigenen Land? Die Ära Ronald Reagans wäre um einen Skandal reicher. Der ehemalige Schauspieler hatte in seiner Rolle als US-Präsident Steuergelder in Milliardenhöhe bewilligt, um Amerikas Straßen von den Drogen zu säubern. Während die Contras unbehelligt ihren Stoff in die Staaten einfliegen durften?
Gary Webb geht dieser weißen Spur nach. Er reist nach Nicaragua, befragt Zeugen und fügt Indizien wie Puzzleteile zusammen. Ein Jahr dauern die Recherchen an. 1996 fasst Gary Webb seine Erkenntnisse in einer dreiteiligen Artikelserie mit dem Titel Dark Alliance zusammen (zitiert nach Wikipedia, die wiederum aus dem Beitrag von Gary Webb in dem Buch Zensor USA zitiert):
Gary Webbs Thesen zur Dark Alliance
- „Die von der CIA organisierten Contras hatten tatsächlich Kokain verkauft, um ihre Aktivitäten zu finanzieren. Diese Behauptung hatten die großen Medien und die CIA heftig bestritten, seit Journalisten Mitte der 1980er Jahre erstmals über den Drogenhandel der Contras berichtet hatten.
- Die Contras hatten in den Ghettos von Los Angeles Kokain verkauft, und ihr wichtigster Kunde war der größte Crack-Dealer von Los Angeles gewesen.
- Elemente in der US-Regierung wussten damals über die Aktivitäten des Drogenrings Bescheid und unternahmen wenig oder nichts, um ihnen ein Ende zu setzen.
- Der Drogenring spielte bei Entstehung und Aufrechterhaltung des ersten großen auf Crack basierenden Kokainmarkts in den USA eine zentrale Rolle.
- Die ursprünglich auf Los Angeles beschränkten Banden Crips und Bloods konnten mittels ihrer Gewinne aus dem Crack-Verkauf auch in anderen Städten Fuß fassen und den Crack-Missbrauch auch dort in den Vierteln der Schwarzen verbreiten, so dass aus einem schweren regionalen Problem ein schweres nationales Problem wurde.“
Webbs Enthüllungen schlagen ein wie eine Bombe. Natürlich, die Vorwürfe sind schwerwiegend. Dass die Thesen so heftig öffentlich diskutiert werden, liegt aber auch daran, dass sie sich rasant im Netz verbreiten. Die Mecury News veröffentlicht Dark Alliance auf einer gleichnamigen Internetseite, die in Spitzenzeiten 1,3 Millionen Mal pro Tag (!) aufgerufen wird. Ihr Inhalt wird vervielfältigt und kontrovers in diversen Foren diskutiert. Die Aufbereitung der Webb’schen Recherchen für das WorldWideWeb geht daher als einer der ersten Meilensteine in die Geschichte des Online-Journalismus ein.
Die Stimmung schlägt um
Die anfängliche Euphorie in der Öffentlichkeit über diesen gelungenen Scoop schlägt schnell um. Kritik an Dark Alliance wird laut. Einer der Schwachpunkte, der Gary Webb angelastet wird, ist die Tatsache, dass es ihm nicht gelang, konkrete Quellen innerhalb der CIA zu benennen. Arrivierte Zeitungen wie die Washington Post oder die New York Times drucken seitenweise „Gegendarstellungen“ ab, in denen Geheimdienstmitarbeiter die erhobenen Vorwürfe vehement dementieren. Die Platzhirsche im Blätterwald beginnen, Gary Webbs Integrität in Frage zu stellen. Sie stempeln ihren Kollegen als Verschwörungstheoretiker ab, indem sie seine Thesen verdichten und verfälscht wiedergeben. Plötzlich heißt es, Webb werfe der Regierung vor, den Drogenhandel gefördert zu haben, um die schwarze Community im Großraum Los Angeles gezielt in die Abhängigkeit zu treiben. Das Privatleben des Journalisten wird plötzlich zum Gegenstand der öffentlichen Debatten, es wird von den Medien bis in kleinste Detail durchleuchtet und ausgeschlachtet.
Der Druck auf Gary Webb nimmt unmenschliche Ausmaße an. Redaktions- und Verlagsleitung der Mercury News sind sich der Sache nicht mehr sicher und entsagen ihrem Mitarbeiter das Vertrauen. Das Blatt entschuldigt sich für die Veröffentlichungen, woraufhin Gary Webb kündigt. Seine Karriere als investigativer Journalist ist damit beendet. Er veröffentlicht 1998 noch ein Buch zum Thema, Mitte der 2000er-Jahre bereitet er einen Dokumentarfilm vor, in dem die Zeugen von damals zu Wort kommen sollen. Der Film wird nie realisiert.
Gary Webb, das Opfer einer Verschwörung?
Am 10. Oktober 2004 wird der inzwischen 49-Jährige tot aufgefunden. Todesursache Suizid. Dass Webb für seine Selbsttötung zwei Kopfschüsse benötigte, macht seine Anhänger stutzig – ist Webb das Opfer jener Verschwörung geworden, die er zeitlebens versucht hatte zu enttarnen? Hinweise auf Fremdeinwirkung gibt es nicht, im Gegenteil: Die Last der Indizien, die auf einen Selbstmord hinweisen, ist erdrückend. Der Familienvater war gegen Ende seines Lebens depressiv, litt unter existenzieller Geldnot und hinterließ einen Abschiedsbrief.
Der zuständige Gerichtsmediziner weist darauf hin, dass zwei abgegebene Schüsse zwar ungewöhnlich, aber nicht unmöglich seien: “It’s unusual in a suicide case to have two shots,” he said, “but it has been done in the past, and it is in fact a distinct possibility.” Doch selbst wenn niemand anderes außer Gary Webb den Abzug betätigt hat: Seine Befürworter sehen in der Berichterstattung nach der Veröffentlichung eine gezielte, von höchster Stelle gesteuerte und von den Medien bereitwillig unterstützte Kampagne, mit dem Ziel, Gary Webb im wahrsten Sinne des Wortes mundtot zu machen.
Der Film Kill The Messenger macht es uns schwer, dieser Darstellung nicht zu folgen. Michael Cuesta (zuvor im Seriensektor unterwegs und vor allem für Produktion und Regie der Terroristenhatz Homeland bekannt) zeichnet ein durch und durch sympathisches Bild seines Protagonisten. Gary Webb ist ein engagierter Journalist, der zwar mit einer gewissen Überheblichkeit segnet ist, welche jedoch derart luftig daherkommt, als dass man sie ihm verübeln könnte. Immerhin traut er sich an die ganz heißen Themen heran, die seine Kollegen nur mit der journalistischen Kneifzange anfassen – in diesem Metier ist ein solides Selbstbewusstsein sicher nicht von Nachtteil. Wie sonst soll man die Chuzpe aufbringen, um die gute, alte „Ich verfolge dich bis aufs stille Örtchen“-Nummer abzuziehen?
Identifikationsfigur trotz Fehler
Abgesehen davon ist Gary Webb ein dufter Kerl. Ein cooler Kumpeltyp, mit dem man gerne ein kühles Bier perlen lässt – und ein noch coolerer Familien-Daddy, der seinem Sohnemann zum Geburtstag einen heißen Ofen vermacht („Einzige Bedingung: Wir schrauben gemeinsam an dem Teil!“). Dass unter der Fassade dieser hippen Familienidylle auch unaufgearbeitete Konflikte schlummern, das werden wir noch erfahren. Aber hey – ein schlechter Mensch, geschweige denn ein schlechter Journalist, ist Gary Webb dadurch nicht. „Wenn Du es unter das Mikroskop legst, kannst Du aus jedem Leben eine Zirkusnummer machen“, rechtfertigt sich er, als ihn die mediale Schlammlawine trifft.
Natürlich besitzt der Gary Webb in Kill The Messenger seine Fehler. In der Vergangenheit ließ er sich mit einer anderen Frau ein. Eine Affäre, die seine ihn liebende Gattin bis heute nicht überwunden hat. Auch mangelt es ihm an Einfühlungsvermögen. Dass er seiner Familie durch seinen Umgang mit bösen Buben und die Reisen in Drogenanbaugebiete schlaflose Nächte beschert, diesen Vorwurf lässt er nicht gelten. „Was möchtest Du? Dass ich meine Brötchen anders verdiene?“, herrscht Gary Webb seine Sue am Ende einer emotionalen Unterredung an. Der investigative Reporter ordnet der Arbeit alles unter – auch die Liebsten.
Der Preis für die Wahrheit: mal wieder saftig
Auch wird anfangs nicht klar, woher Gary Webbs Antrieb rührt. Steht hinter der unnachgiebigen Jagd nach der „ganz großen Nummer“ das Ego eines Pulitzer-Preisträgers, das sich nicht länger mit journalistischen Lappalien herumplagen möchte? Oder ist es ein Minderwertigkeitskomplex, der den Regionalreporter zu investigativen Höchstleistungen pusht? Biographie des echten und Figurenzeichnung des filmischen Gary Webb legen diese Erklärungen nahe. Mit zunehmender Spieldauer rückt jedoch ein anderes Motiv in den Mittelpunkt. Ruhm und Ehre sind plötzlich nebensächlich.
Es gibt eine schöne Szene, in der Webbs Freunde und Familie die Internet-Veröffentlichung von Dark Alliance feiern. Während in der Hütte die Korken knallen, steht Gary Webb einsam auf dem Balkon. Wie einst Franz Beckenbauer nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 als Nationaltrainer stiert er gedankenversunken in die Ferne. Die Antwort auf die Frage nach Gary Webbs Motivation ist profaner – und damit ganz genretypisch: Der Journalist strebt nach der Wahrheit – und der Preis für die Wahrheit ist bekanntlich hoch. Dass Gary Webb bereit ist, diesen Preis zu bezahlen, mag man als sicherheitsliebender Familienmensch nicht unbedingt nachvollziehen – ringt einem aber, in Anbetracht der Widerstände, denen sich der Protagonist ausgesetzt sieht, ein gehöriges Maß an Respekt ab.
Trotz seiner Fehler ist und bleibt Gary Webb im Film eine Identifikationsfigur. Nicht zuletzt, weil es eine ganze Reihe schemenhafter Gegenspieler gibt, die den Journalisten in Isolation treiben. Die Machtverhältnisse sind alles andere als ausgewogen, und die Einschüchterungen fallen immer vehementer, immer bedrohlicher aus. Die Warnungen des Informanten Fred Weil (Michael Sheen), mit dem sich Gary Webb in Washington trifft, wirken anfangs noch wie der gut gemeinte Rat eines Vertrauten, der seinen Freund vor einer beruflichen Fehlentscheidung bewahren möchte. Dass eine nationale Angelegenheit für einen Lokalreporter aus dem fernen Los Angeles eine Nummer zu groß sein könnte, ist schließlich kein abwegiger Gedanke.
„Sie haben keine Ahnung, wo sie hier hineingeraten, oder? Andere Reporter sind auch in diesem Sumpf verloren gegangen. Erfahrene Reporter“, betont Weil. Wobei die Verwendung des Wörtchens „auch“ stutzig macht – auch, das hieße ja, dass Gary Webb bereits verloren ist. Tatsächlich bringt Martin Sheens undurchsichtiges Spiel den Betrachter in Schlingern. .„Sie stehen vor der wichtigsten Frage ihres Lebens: Teilen Sie Ihr Wissen? Haben Sie Familie?“, fragt er schon weniger unverbindlich. Wir fragen uns derweil: Wie aufrichtig ist dieser Fred Weil wirklich? Wo hört der gut gemeinte Rat auf und wo fängt die Drohung an?
Drohungen und Verleumdungen
Das konspirative Treffen in den Gärten des amerikanischen Machtzentrums kulminiert schließlich in der zu Beginn zitierten Warnung, die wie ein Damoklesschwert über Gary Webbs Nachforschungen hängt: „Manche Geschichten sind zu wahr, um sie zu verbreiten“. Was so viel heißt wie: Der Journalist ist auf der richtigen Spur. Sein Ziel aber wird er nicht erreichen. Offen ist, an welchem Punkt es ihn aus der Bahn wirft. Die Ungewissheit ist das Perfide an der Sache.
Gary Webb und seine Familie erfahren keine unmittelbare, physische Gewalt. Es gibt keine Überfälle auf nächtlicher Straße. Keine aufleuchtenden Fernlichter im Rückspiegel. Als die verbalen Einschüchterungsversuche aus CIA-Kreisen (!) nicht fruchten („Sie dringen in sensible Bereiche vor“ / „Ihren Kindern haben wir nie gedroht“), gibt es eine Hausdurchsuchung als kleine Demonstration der Macht, jederzeit in die Privatsphäre der Familie eindringen zu können. Viel mehr braucht es nicht. Den Rest erledigen die Medien, die nun Gary Webbs Geschichte zerpflücken, bis Arbeitskollegen und Familie von ihm abrücken. Eine willkommene Eigendynamik aus Sicht derjenigen, denen der Reporter zu genau auf die Finger schaute?
Wie viel Verschwörung in der Verschwörung steckt, das ist bis heute Gegenstand vieler Debatten. War es eine gezielte Rufmordkampagne oder machte sich Gary Webb unnötig angreifbar, indem er zu viele Herleitungen konstruierte? Noch heute betonen Kritiker, Webb habe die Folgen des nicaraguanischen Drogenschmuggels für die USA überhöht. „You must summarize the sometimes bewildering facts you have uncovered, however incomplete or contradictory, and synthesize them into a picture that makes sense. That is what Webb did. And he went too far“, schrieb etwa Jeff Leen von der Washington Post anlässlich des Kinostarts von Kill The Messenger. [Du musst [als investigativer Journalist] die manchmal verwirrenden Fakten, wie unvollständig oder widersprüchlich sie auch sein mögen, zu einem Bild zusammensetzen, das Sinn ergibt. Das ist es, was Webb tat. Und er ging zu weit. Übersetzung des Autors].
Die Fakten liegen schon lange auf dem Tisch
Gary Webbs Recherchen waren womöglich lückenhafter als es uns der Film glauben machen will. Wobei der Film die Kritik an Webbs Arbeit nicht völlig ausspart. Was Kill The Messenger thematisiert, ist das Fehlen eines Kronzeugen, der die Vorgänge aus US-Sicht bestätigt. Noch bevor Gary Webb richtig mit seinen Nachforschungen loslegt, meldet Redaktionschef Jerry Ceppos (gespielt von Oliver Platt, The Infiltrator) Bedenken an: als Regionalblatt von der Westküste verfüge man keine weitreichenden Kontakte nach Washington. Der Reporter wischt diese Bedenken beiseite. Sein journalistischer Ehrgeiz ist groß. Vielleicht etwas zu groß.
Was man Gary Webb jedoch nicht vorwerfen kann: Dass seine Herleitungen aus der Luft gegriffen wären. Die Verbindungen zwischen den Contras und den Drogendealern sind belegt, so wie sie in Dark Alliance beschrieben werden. Mehr noch: Sie sind bereits vor der Veröffentlichung von Webbs Artikelserie bekannt. Eine Untersuchungskommission des amerikanischen Kongresses bringt die von Webb festgehaltenen Fakten Mitte der 1980er-Jahre auf Betreiben des damaligen Senators und späteren US-Präsidentschaftskandidaten John Kerry ans Licht. Der Bericht bleibt in den Medien jedoch ohne Beachtung. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Dark Alliance, im Oktober 1998, bestätigten zwei Aufsichtsberichte der CIA nochmal die wesentlichen Fakten in Webbs Artikelserie. Für den Autor kommen diese Berichte zu spät: Sein Ruf als investigativer Journalist ist zerstört. Außerdem ist die amerikanische Öffentlichkeit zu sehr mit der Lewinsky-Affäre beschäftigt, wie Armin Wertz in seinem aufschlussreichen Hintergrundartikel zu Kill The Messenger anmerkt.
17 gegen einen – allein bei der L.A. Times!
Die Fakten liegen gut dokumentiert vor. Doch anstatt den Wahrheitsgehalt der Webb’schen Recherchen zu prüfen und diese gegebenenfalls mit weiteren Fakten zu unterfüttern, konzentrieren sich große Teile der Presselandschaft darauf, die Integrität des Journalisten Webb in Frage zu stellen. Die L.A. Times setzt allein 17 Reporter auf ihn an. Jesse Katz, einer dieser 17 Journalisten, wird später gestehen: „Wir haben wirklich nichts getan, um seine Geschichte zu unterstützen oder sie gar auszubauen. Es war geschmacklos und schäbig, was wir taten. Und es hat ihn ruiniert.“ [zitiert nach Armin Wertz.]
Ob Gary Webb auf Geheiß von oben verleumdet wurde? Sicher gab es Absprachen, ließ man Beziehungen spielen und wurden Dementis in den Block diktiert. Etwas anderes anzunehmen, wäre naiv. Zumal unliebsamen Berichterstattern der Liebesentzug droht – wer nicht im Sinne des Imperiums berichtet, den schneiden die handelnden Personen vom Informationsfluss ab. Gegen ein flächendeckendes Komplott spricht nach meinem Dafürhalten jedoch, was auch gegen viele andere Verschwörungen spricht: Das Problem der Verschwiegenheit. Je mehr Menschen in ein Geheimnis involviert sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitwisser plaudert. Es gibt sogar statistische Berechnungen für eine Wahrheitsformel. Ich glaube an andere Gründe – menschlichere Gründe. Was die Sache nicht natürlich besser macht. Im Gegenteil: Ließen sich Journalisten kollektiv vor den Karren der Regierung spannen, so hätte das System. Ein Multiorganversagen der Presse, das auf Eitelkeit, Bequemlichkeit und Patriotismus fußt, ist die weitaus unangenehmere Erklärung.
Multiorganversagen der vierten Gewalt
Wie sonst ist der besondere Ehrgeiz in der Gegenberichterstattung zu erklären? Die Liste der gekränkten Redaktionen ist jedenfalls prominent. Die große L.A. Times, die die Medienhoheit im Verbreitungsgebiet der Mercury News für sich beansprucht. Die Washington Post, Hauspostille im Zentrum der Macht – und doch ahnungsloser als ein kleines Recherche-Team von der Westküste. Und die New York Times, Zeitung mit den meisten Pulitzer-Preisen und den meisten Online-Lesern – plötzlich hat das Flaggschiff das Nachsehen. Der überwiegende Rest der Presselandschaft stimmt mit ein. Wenn die Alphatiereblöken, läuft die Herde eben hinterher.
Das Verhalten der Medien ist der eigentliche Skandal hinter der Geschichte. Dass Regierungen Dreck am Stecken haben, das kommt in den besten Häusern vor. Gerade deshalb sollten Journalisten den Regierenden genau auf die Finger schauen. Doch oft scheinen sie mit sich selbst beschäftigt zu sein. Der Fokus aufs Wesentliche gerät verloren. Die Berichterstattung auf sämtlichen Kanälen überschlägt sich, bis letztendlich niemand mehr weiß, woher die Aufregung überhaupt rührt.
Eine Eigenart, die die amerikanische Presselandschaft sicher nicht exklusiv für sich beansprucht, jedoch in der DNA der US-Medien verankert ist. Ebenso wie der Nationalstolz, den viele Medien sowohl in Ehrfurcht vor den Lesern als auch aus Taktgefühl ihrer großartigen Nation gegenüber zur Schau tragen. Die patriotische Nibelungentreue mancher Medien ist freilich kein Phänomen, das erst mit den Terroranschlägen vom 11. September deutlich wurde. Nach 9/11 lassen sich allerdings mehrere Fälle eines medial-vorauseilendem Gehorsams ausmachen – nicht zuletzt in der unkritischen Berichterstattung zur Legitimation des Irak-Krieges. Wenn es um die Sicherheit Amerikas geht, werden Überbringer schlechter Nachrichten ganz schnell zu Nestbeschmutzern.
Gary Webb ist kein Einzelfall
Man denke etwa an den öffentlichen Umgang mit Whistleblowern wie Bradley Manning (heute Chelsea Manning) oder Edward Snowden. Oder an die Journalistin Mary Mapes, die den Folterskandal in Abu Ghraib aufdeckte und im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 den Werdegang von George W. Bush beleuchtete, weil dieser sich offensichtlich um einen Einsatz in Vietnam gedrückt hatte. Wem Kill The Messenger gefällt, der sollte auch Der Moment der Wahrheit eine Chance geben. Der Film erzählt die Geschichte von Mary Mapes und ist thematisch nahe an Kill The Messenger dran, setzt aber weniger auf Paranoia. Er geht dezidierter auf die unterschiedlichen Kräfte ein, die auf den Journalismus heutzutage wirken. Kill The Messenger ist mehr Thriller, Der Moment der Wahrheit hingegen mehr Drama. Der direkte Vergleich zeigt aber auch: Gary Webb ist kein Einzelfall. Dahinter muss nicht gleich System stecken. Aber Verhaltensauffälligkeiten sind schon erkennbar.
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Was geschah mit Gary Webb? Der Film legt seine Sichtweise nahe. Die Geschichte jedenfalls ist spannend. Kill The Messenger gibt es bei Amazon – mit einem Klick auf den Bildlink gelangst Du zur entsprechenden Bezugsquelle.
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