„Er ist kein normaler Mensch. Er ist der nächste verdammte Präsident der verdammten Vereinigten Staaten von Amerika.“ Spoiler: So weit kam es für
„Er ist kein normaler Mensch. Er ist der nächste verdammte Präsident der verdammten Vereinigten Staaten von Amerika.“ Spoiler: So weit kam es für Gary Hart nicht.
Dabei war Hart ein verdammt aussichtsreicher Präsidentschaftsanwärter. Seine Kandidatur für die Demokraten bei der US-Wahl 1988 schien ausgemacht. Der smarte Politiker weckte Erinnerungen an einen gewissen John F. Kennedy und ging als haushoher Favorit in die parteiinternen Vorwahlen. Bis eine mutmaßliche Affäre mit einer jungen Frau eine Welle der Berichterstattung auslöste, deren Wucht Hart nicht standhielt. Was aus heutiger Sicht wie ein natürlicher Medienreflex anmutet, war 1987 ein Novum. Nie zuvor war das Privatleben eines Politikers derart medial ins Kreuzverhör genommen worden. Der Spitzenkandidat erzählt von dieser Zeitenwende.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Columbia Pictures.
Schon bei den Vorentscheidungen zur US-Wahl 1984 hatte Hart keine schlechte Figur abgegeben. Als Senator von Colorado unterlag er nur knapp seinem Parteikollegen Walter Mondale. Der verlor das anschließende Rennen ums Weiße Haus gegen den amtierenden US-Präsidenten Ronald Reagan noch deutlicher als der damalige Amtsinhaber Jimmy Carter vier Jahre zuvor. Der Reagan-Revolution wenig entgegensetzend, steckten die Demokraten in der Sinnkrise. Gary Hart schien die erlösende Antwort aufs konservative Establishment zu sein. Ein eloquenter Reformer, der sich in früheren Jahren für die Aufklärung des Watergate-Skandals und des Reaktorunfalls im Kernkraftwerk Three Mile Island eingesetzt hatte. Durch den Rückgewinn der Senatsmehrheit 1986 und den Wirbel durch die Iran-Contra-Affäre wähnten sich die Demokraten 1987 im Aufwind.
Der Spitzenkandidat: Sein Privatleben ist Tabu
Der Spitzenkandidat setzt inmitten dieser Aufbruchstimmung ein. Das Wahlkampfteam um Chef-Stratege Bill Dixon (J.K. Simmons, spielt in Sam Raimis Spiderman-Trilogie den Daily Bugle-Chefredakteur J. Jonah Jameson) rotiert, doch Gary Hart (Ex-Wolverine Hugh Jackman, Scoop – Der Knüller) zahlt das Vertrauen und den selbstlosen Einsatz der freiwilligen Helfer*innen mit blendenden Auftritten und noch besseren Umfragewerten zurück. Amerika, so scheint es, hängt an den Lippen des bodenständigen, aber entschlossenen Pragmatikers. „Er hat das Talent, den ganzen politischen Bockmist so zu erklären, dass ihn jeder versteht“, schwört Dixon seine Mannschaft knurrend ein. Die Zuversicht ist beinahe grenzenlos. Wäre da nicht diese eine Schwachstelle: „Persönlich kann er überhaupt nicht“, erklärt jemand hinter vorgehaltener Hand.
Hart hält sein Familien- und Privatleben konsequent aus der Presse heraus. Es ist sein gutes Recht, Hart will für Inhalte stehen. Allerdings ist eine US-Wahl auch eine Personenwahl. Die USA lieben es, wenn es menschelt. „Die Leute wollen wissen, mit wem Sie es zu tun haben“, wird Hart von einem Jungberater erinnert, als eine Interviewanfrage des People Magazine ins Büro flattert. Der Spitzenkandidat der Demokraten bleibt konsequent: „Wenn ich mich darauf einlasse – was kommt als nächstes?“ Dass er mit dieser Abwehrhaltung erst recht Begehrlichkeiten weckt, will Hart nicht wahrhaben.
Der Bruch mit stillschweigenden Vereinbarungen
Dabei munkelt die Presse bereits. Es gibt Gerüchte, der Politiker sei ein Frauenheld, dazu eine kurze Phase, in der Hart und seine Frau Lee (Vera Farmiga, Nichts als die Wahrheit, Special Correspondents) getrennt voneinander lebten. Noch üben sich etablierte Medien in Zurückhaltung. In der Redaktion der altehrwürdigen Washington Post werden diese unbestätigten Meldungen zwar diskutiert, letztlich aber gesteht man Hart eine Privatsphäre zu. Ben Bradlee (Alfred Molina, Cronicas, Whiskey Tango Foxtrot) erinnert an eine alte, stillschweigende Vereinbarung zwischen Politikern und Journalisten: Auch Reporter seien keine Kinder von Traurigkeit, lässt der legendäre Redaktionsleiter der Washington Post mit Verweis auf gemeinsame Hotelabende mit hochrangigen Regierungsvertretern durchblicken.
Hart vertraut auf die Gültigkeit dieses unausgesprochenen Schwurs. Wer seinen Wunsch nach Privatsphäre respektiert, der darf sich einem Inner Circle zugehörig fühlen. Ein kleiner Pressetross begleitet seinen Wahlkampf auf Schritt und Tritt, die Stimmung ist kollegial. Einem jungen (wie fiktiven) Redakteur der Washington Post, A.J. Parker (Mamoudou Athie, Jurassic World: Ein neues Zeitalter), vertraut er offen seine Vorstellungen von einem liberalen Umgang mit der Sowjetunion an. Doch es wird auch deutlich, dass Hart Parker bevorzugt behandelt, wohl weil der Nachwuchsjournalist in die Fußstapfen der Wategate-Enthüller Bob Woodward und Carl Bernstein tritt. Während die beiden für alle sichtbar miteinander sprechen, erkundigt sich der Miami Herald-Reporter Tom Fiedler (Steve Zissis) nach einem Interview-Slot für seine Zeitung. Der Senator gebe derzeit keine Interviews, heißt es. Fiedler müsse sich bis zur Pressekonferenz gedulden. Ein Affront – den Fiedler noch nicht persönlich nimmt. Dafür ist er zu sehr von Hart überzeugt.
Nicht die feine Art: Reporter auf der Lauer
Seine Redaktion ist das weniger. Zurück in Miami, darf Fiedler einen Stimmungsbericht aus dem Hart-Lager verfassen. „Aber nicht mehr als 100 Wörter – mehr Platz haben wir nicht“, heißt es in der Redaktionskonferenz. Sein Glauben in den demokratischen Hoffnungsträger wird ins Wanken gebracht, als er einen nächtlichen Anruf erhält. Eine Frau gibt an, eine Freundin von ihr sei Hart auf einer Yacht vor der Küste Miamis nähergekommen und werde den Senator morgen Abend in Washington besuchen. Fiedler will diesen Hinweis als Wichtigtuerei abtun, er wird jedoch durch kurzfristige Terminänderungen im Wahlkampfprogramm Harts stutzig – der Senator befindet sich zur ankündigten „Tatzeit“ in der Hauptstadt.
Fiedler reist nach Washington. Mit zwei Kollegen im Schlepptau legt sich Fiedler vor dem Stadthaus des Senators auf die Lauer. Als Legitimationsgrundlage dient eine Aussage Harts, die der während eines Wahlkampftermins in einer Burgerbude tätigte. Nach seiner einjährigen Ehepause befragt, war der Politiker laut geworden. Er werde sich nicht zu privaten Angelegenheiten äußern. Man möge ihn ruhig beschatten. Dann werde alle Welt endlich begreifen, dass er ein langweiliges Privatleben führe.
Die Verhältnismäßigkeit von Sensationsberichterstattung
Was die drei Herold-Reporter an jenem Abend beobachten, spricht eine andere Sprache: Tatsächlich verlässt besagte Dame zu später Stunde das Domizil des Politikers. Als Hart einige Zeit später vor die Türe tritt, kommt es zu einem Wortgefecht, in dem er sämtliche Vorwürfe abstreitet – doch die Journalisten lassen sich nicht von ihrem Urteil abbringen. Noch am selben Abend übermitteln sie ihre Zeilen an die Redaktion, die Sonntagsausgabe wird auf den letzten Metern nochmal umgeschrieben. Hart greift seinerseits zum Hörer, kann seine Gattin aber nur noch vorwarnen. Die Sache ist in der Welt, und die Presse überschlägt sich: Ist Hart als überführter Ehebrecher überhaupt noch ein geeigneter Kandidat für das höchste Amt des Präsidenten? Der Heilsbringer der Demokraten muss sich von seinem Ansinnen, seinen Wahlkampf mit Inhalten zu bestreiten, verabschieden. Leidtragende sind aber vor allem Harts Gattin Lee und die gemeinsamen Kinder, die – belagert von einer Reporterschar – in ihrem Haus festsitzen.
Regisseur Jason Reitman (Juno, Thank You For Smoking) rekonstruiert die mediale Schnappatmung im Frühjahr 1987. Dabei wirkt die Dramaturgie des Spektakels vertraut, spätestens seit Bill Clintons Affäre mit Monica Lewinsky sind Sexskandale in der Politik zu Begleiterscheinungen geworden, die leider niemanden mehr ernsthaft überraschen. Bis in die Mitte der 1980er-Jahre hinein war das anders. Der Spitzenkandidat nimmt diesen Präzedenzfall der amerikanischen Polit- und Mediengeschichte zum Anlass, um nach der Verhältnismäßigkeit von Sensationsberichterstattung zu fragen.
Der Spitzenkandidat – nicht unrichtig, aber einseitig
Dass sich diese Form der Berichterstattung von Spekulationen nährt und im schlimmsten Fall in der Lage ist, ganze Biografien zu beschädigen – das ist common sense. Der Spitzenkandidat bemüht sich, tiefer zu bohren. Wo hört die Privatsphäre auf, weil sie einem öffentlichen Interesse im Wege steht? Ist diese Schwelle bei Personen des öffentlichen Lebens verschoben? Sind Schlüsse vom Privat- aufs Berufsleben überhaupt zulässig? Oder einfach nur bigott? „Deswegen wollen Menschen nicht in der Öffentlichkeit stehen. Weil sie Angst haben, dass irgendwer was ausgräbt, was irgendjemand mal vor 15 Jahren gesagt hat!“, ärgert sich Hart maßlos. Dabei wäre etwas mehr Maß durchaus angemessen – dazu gleich mehr.
Weder hält sich der Film mit den Antworten auf die obigen Fragen zurück, noch verhehlt er, wessen Partei er greift. Gary Harts Mitarbeiter*innen, allen voran Wahlkampfleiter Bill Dixon, mögen zwar, aufgewühlt durch die sich überschlagenden Ereignisse, über die Aufrichtigkeit ihres Frontmannes ins Zweifeln geraten. Der Spitzenkandidat jedoch inszeniert Hart als desillusionierten Idealisten, der sich zwar vor seiner Frau verantworten muss, öffentlich aber partout keine Veranlassung sieht, sich zu erklären – aus Prinzip, aber auch unter dem Eindruck einer nie dagewesenen Presseresonanz, die selbst die seriösesten Medien mitreißt. Die Antagonisten, das sind die Pressevertreter*innen, die den Politiker im Rudel angehen, ohne Rücksicht auf Konsequenzen, weder für Hart und dessen Familie, noch für dessen vermeintliche Geliebte Donna Rice (Sara Paxton), die diese Affäre allein schultern muss. Das ist alles nicht unrichtig. Aber auch einseitig.
Jason Reitman begeht nicht den Fehler, den er anprangert
Obwohl die Presse mit verhältnismäßig vielen Figuren ausgestattet wird, es sich nicht um eine anonyme Masse handelt, sind Schattierungen selten. Der fiktive Reporter A.J. Parker etwa hadert mit der Entscheidung seines Bosses Bradlee, von der bisherigen Linie – Privates bleibt privat – abzuweichen, weil dieser fürchtet, seine Zeitung könne es sich nicht erlauben, das öffentliche Interesse zu ignorieren. Bradlees Totschlagargument: „Wenn wir es nicht bringen, bringen es andere“. Dabei widerlegen Umfragen die Mär von der Nachfrage: Die Mehrheit befragter US-Bürger*innen gibt an, sie halte die Berichterstattung für unlauter, und lehnt die Schlussfolgerung, Hart habe sich mit diesem privaten Fehler beruflich diskreditiert, ab.
Eine andere Interpretation des Skandals legt eine weitere Post-Journalistin in einem kurzen Kaffeeküchengespräch nahe. Könnte es sich bei Hart um einen Typus Mann handeln, der seine Macht gegenüber Frauen missbraucht? Dazu passt: Nach eingehender Befragung (oder Unterrichtung?) – ausgerechnet durch die einzige sichtbar wahrnehmbare Frau in Harts Wahlkampfteam – wird Donna Rice wartenden Reporter*innen ausgeliefert. Doch diese Szenen sind nur Fußnoten in diesem Politdrama.
Warum Der Spitzenkandidat einen unausgewogenen Eindruck macht
Auch was die eigentliche Affäre angeht, bleibt Der Spitzenkandidat vage. Wir hören nicht, was Gary Hart Donna Rice (die wir nur von hinten sehen) auf der Yacht zuraunt. Wir sehen nicht, was sich hinter den Mauern von Harts Stadthaus abspielt. Die Reaktionen der Beteiligten bzw. der Gattin lassen erahnen, dass etwas passiert sein muss. Endgültige Gewissheit schenkt uns der Film nicht. Jason Reitman begeht nicht den Fehler, den er der Presse vorwirft: Es mit aller Macht wissen zu wollen. Was hinter verschlossenen Türen passiert ist, ist nicht das Thema des Films. Insofern lässt sich der inszenatorische Umgang mit der Affäre als Stärke des Films auslegen. Oder aber als Notwendigkeit: Weder Gary Hart, noch Donna Rice haben jemals öffentlich erklärt, was wirklich zwischen ihnen gelaufen ist. Das mag den Fakten entsprechen. Letztlich tragen diese Leerstellen aber dazu bei, dass Der Spitzenkandidat einen unausgewogenen Eindruck hinterlässt.
Monkey Business: Fehlende historische Details
Dafür blendet der Film historische Details aus, die das Bild von diesem Skandal hätten schärfen können. Der Spitzenkandidat thematisiert zwar die Gerüchte, die Hart von Beginn an umwehen, wischt sie aber als Grundrauschen im Politsektor beiseite. Dabei machten Harts Frauengeschichten bereits in den Vorwahlen 1983 die Runde, 1984 soll er eine zum Interview verabredete Journalistin sexuell belästigt haben, indem er sie im Bademantel empfing. So schrieb es der 2013 verstorbene Investigativjournalist Richard Ben Cramer in seinem Buch über die US-Wahlen 1988: What it Takes: The Way to the White House. Auch im konkreten Fall arbeitet Der Spitzenkandidat mit Auslassungen. So spart der Film aus, dass es ein Foto vom besagten Ausflug gab: Es zeigt Gary Hart und Donna Rice am Pier, sie sitzt auf seinem Schoss, er trägt ein Shirt mit der Aufschrift Monkey Business Crew – Monkey Business, das ist der pikante Name des Ausflugsdampfers.
Der Spitzenkandidat – ein Alibi für Gary Hart?
Dieser Hinweis auf unberücksichtigte Feinheiten soll den Medienexzess nicht relativieren. Doch: Indem Der Spitzenkandidat diese Details ausklammert, bewahrt er seine Hauptfigur vor einer kritischeren Betrachtung. Der Film tut so, als wäre Harts politisches Aus einem einzelnen Fehltritt zuzuschreiben. Ein bisschen so, als sei es persönliches Pech gewesen, dass er zur historischen Zielscheibe wurde. So, wie sich die Vorgeschichte darstellt, waren kritische Nachfragen, durchaus auch zur charakterlichen Eignung des Kandidaten (Stichwort: Machtmissbrauch) angebracht. Man darf es wohl so sagen: Zu einem gewissen Teil ist Hart auch über sich selbst gestolpert. Der Rest ist Kampagne.
P.S.: Womöglich hätte Der Spitzenkandidat leichteres Spiel gehabt, fänden sich Belege für jene Version der Geschichte, die der demokratische Politberater Raymond Strother im Herbst 2018 – als der Film bereits in den Kinos anlief – preisgab. Demnach hätten die Republikaner Gary Hart in eine Falle gelockt. Zumindest will ihm das Lee Atwater, berüchtigter Spindoktor im Dienste der Republikaner und Strothers direkter Konkurrent im Zuge der US-Wahlen 1988, schwerkrank und geläutert auf dem Totenbett gebeichtet haben. Atwater verstarb 1991. Beweise gibt es nicht.
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