Peter Weir leistete mit Ein Jahr in der Hölle Pionierarbeit in Sachen Krisenkino. Dennoch wird der Film häufig unterschlagen.
Peter Weir leistete mit Ein Jahr in der Hölle Pionierarbeit in Sachen Krisenkino. Dennoch wird der Film häufig unterschlagen.
Der Krisenreporter im Kino – das ist wie die Patrone im Lauf. Aus dem Fundus filmischer Archetypen nicht wegzudenken. Kein Wunder: Heutzutage gibt es kaum einen Antikriegsfilm, der das Spiel mit den Bildern nicht zumindest anschneidet. Den Grundstein legten die Reporterdramen der 1980er Jahre: Filme wie Under Fire, Salvador oder The Killing Fields rückten den Krisenberichterstatter in den Mittelpunkt und begründeten damit ein Subgenre. Auch Peter Weir leistete 1982 mit Ein Jahr in der Hölle Pionierarbeit. Dennoch wird der Film häufig unterschlagen.
Von Patrick Torma. Bildmaterial: Warner Home Video.
Ehrlich gesagt: Ich kann nachvollziehen, warum Ein Jahr in der Hölle im Schatten der eingangs genannten Klassiker steht. Im direkten Vergleich ist dieser australische Beitrag ein Leisetreter. Ein Jahr in der Hölle verzichtet auf Elemente des Action-Kinos und allzu plakative Betroffenheit. Er ist weniger zynisch. Er pfeift auf klassische Schemata, noch bevor diese zur Genrekonvention werden. Regisseur Peter Weir (Der Club der toten Dichter, Truman Show) macht vieles anders.
Ein Jahr in der Hölle erzählt keine Post-Vietnam-Geschichte: Damit unterscheidet sich der Film von den meisten Beiträgen der 1980er-Jahre. Ob Under Fire (1983, Nicaragua), Volker Schlöndorffs Die Fälschung (1981, Naher Osten) oder Schrei nach Freiheit (1987, Südafrika) – diese Filme brachten uns einen zur Entstehungszeit mehr oder minder aktuellen Konflikt näher. Es ist das mediale Erbe des Vietnamkrieges, das in diesen Filmen durchschimmert.
Das mediale Erbe des Vietnamkrieges
Denn was von Vietnam im kollektiven Gedächtnis haften geblieben ist, ist das Versagen einer Nation, die mit der Hybris einer unbesiegbaren Supermacht in die Schlacht zog und traumatisiert zurückkehrte. Bilder von brennenden Mönchen, von Exekutionen auf offener Straße, von Napalm-Attacken und versengten Kindskörpern. Und die Erkenntnis, dass man den Mächtigen bei ihren Auslandsoperationen zukünftig genauer auf die Finger schauen sollte. Hollywood und Filmemacher aus aller Welt leisteten in den 1980er-Jahren ihren Beitrag.
Natürlich ist das mediale Erbe auch in Ein Jahr in der Hölle enthalten. Allerdings in geringerer Dosis. Peter Weirs Film ist kein „aktueller“ Arbeitsauftrag. Ihm geht es nicht darum, auf einen schwelenden Krisenherd oder fragwürdige Militärinterventionen hinzuweisen. Zumindest nicht primär. Indem er uns in das Jahr 1965 zurück katapultiert, löst er sich von den zeitgenössischen Diskursen. Er kann seine Themen viel universeller verhandeln.
Aus der Perspektive eines Australiers
Wir befinden uns in Indonesien. In dem von Armut geplagten Land rumort es kräftig. Kommunistische und islamistische Kräfte begehren auf. Ein Putsch droht. Diktator Sukarno setzt alles daran, seine Macht zu erhalten. Und das mit allen Mitteln. Die Weltöffentlichkeit schert sich wenig um das Schicksal Indonesiens: Sie blickt nach Vietnam – dort sind die Amerikaner an Stelle des Stellvertreters in den Stellvertreterkrieg eingetreten. Inmitten dieser aufgeladenen Atmosphäre wird der unerfahrene australische Journalist Guy Hamilton (Mel Gibson) als Korrespondent nach Jakarta entsandt.
Damit nimmt Ein Jahr in der Hölle eine ungewohnte Perspektive ein. Peter Weir schickt mit Guy Hamilton keinen „Imperialisten“ ins Feld. Keinen Amerikaner oder Briten, sondern einen Australier. Natürlich stehen die Australier im Kalten Krieg auf Seiten der USA, noch aber sind sie keine Global Player. Dadurch wird Hamilton zum doppelten Außenseiter: Er ist ein Journalist ohne Anbindung und Vertreter eines Landes, das seine Rolle in der Welt noch finden muss. Die Erzählperspektive erfährt einen zusätzlichen Neutralitätsbonus. Erneut befreit sich der Film von den ideellen Wertevorstellungen der damaligen Zeit – so weit es der geschichtliche Rahmen zulässt, versteht sich. Der Protagonist ist politisch interessiert, aber kein Hardliner.
“Nachrichten? Das waren Reiseberichte!”
Für Australien ist die Lage in Indonesien aufgrund der geographischen Nähe von besonderer Relevanz – deshalb steht Guy Hamilton früh unter Druck. Er muss abliefern. Bei seinem ersten Besuch im Präsidentenpalast wird er freundlich empfangen, sowohl von Sukarnos Entourage als auch von den ausländischen Kollegen. Als es vertraulich wird, schnappt er jedoch nicht mehr als ein paar nichtssagende Verlautbarungen auf. Der Rüffel from Down Under lässt nicht lange auf sich warten: „Das waren keine Nachrichten. Das waren Reiseberichte!“
Doch wie soll Hamilton ohne Kontakte an Insiderinformationen kommen? Von den anderen Korrespondenten kann er keine Hilfe erwarten. Die Reporter aus den USA und Großbritannien verhalten sich, sofern es um unverfänglichen Smalltalk geht, ihm gegenüber kollegial. Im Ernstfall steht aber letztlich jeder für sich. Abgesehen davon sind sie an keiner ernsthaften Aufarbeitung der Verhältnisse in Indonesien interessiert. Der Korrespondent der Washington Times sieht sein Indonesien-Engagement lediglich als Karrieresprungbrett nach Vietnam, der britische Kollege genießt das exotische Leben nach Gutsherrenart.
Mehr als kolonialistische Manifestationen
In diesen Figuren spiegelt sich die Geisteshaltung ihrer Herkunftsländer wider: Die Amerikaner konzentrieren sich auf Vietnam (1982 ist das wahre Ausmaß der CIA-Interventionen in Indonesien noch nicht bekannt), die Briten schröpfen ihr Empire, so lange es noch geht. Das klingt plakativ. Allerdings ist Peter Weir klug genug, diese Figuren nicht bloß als zynisch-kolonialistische Manifestationen dastehen zu lassen. Letztlich sind sie auch nur Menschen, die nicht wissen, wie sie mit den Gepflogenheiten und Verlockungen auf der gegenüberliegenden Seite der Erde umgehen sollen. Mensch und Politik sind überfordert.
Ein Jahr in der Hölle verzichtet auf Schwarz-Weiß-Malerei. Er könnte es bei der Konfrontation zwischen dem unerfahrenen, aber rechtschaffenen Journalisten und dem Unrecht auf dieser Welt belassen. Der Film führt jedoch eine Figur ein, die in ihrer Ambivalenz kaum zu übertreffen ist. Schon die äußere Charakterzeichnung ist eine massive Ansammlung von Gegensätzen. Billy Kwan ist ein Fotoreporter mit sowohl australischen als auch chinesischen Wurzeln, obwohl er klein gewachsen ist, wird er von jedem mit Rang und Namen in Jakarta wahrgenommen. Ein Mann, der sich aufgrund seiner asiatischen Herkunft dem leidenden Volk sehr verbunden fühlt und einzelnen Menschen immer wieder hilft, im nächsten Moment aber seine undurchsichtige, intrigante Seite zeigt und allem Anschein nach für den Geheimdienst tätig ist. Und als ob das alles nicht schon gegensätzlich genug wäre, wird die Rolle des Billy Kwan von einer Frau gespielt – ein verdienter Oscar für Linda Hunt.
Yin und Yang lassen grüßen…
Kwan ist es, der ein Yin und Yang ähnliches Konzept zum Leben erweckt und zum obersten Prinzips des Films erklären möchte – und zwar mit Hilfe eines poetisch anmutenden Schattenspiels: „Alles ist ausbalanciert. Gut oder Böse. Recht oder Unrecht. Wir im Westen wollen auf alles eine einfache Lösung. Es gibt solch’ einfache Lösungen nicht.“ Der umtriebige Fotograf bietet Hamilton an, als dessen „Auge“ zu fungieren und ihm so Zugang zu Land und Leuten zu verschaffen. Im Gegenzug dafür soll Hamilton über die wahren Verhältnisse in Indonesien berichten.
Hamilton zögert, denn er ahnt, dass Kwan eine eigene Agenda verfolgt. Tatsächlich sieht Kwan in Hamilton einen weißen Ritter, der – richtig (an-)geführt – die Fähigkeit besitzt, die Balance im Land wieder herstellen. Der junge Korrespondent entgegnet, dass ihm nicht zustehe, aktiv Partei zu ergreifen. Was Kwan wiederum als eine „typische Journalistenantwort“ abtut. Er appelliert an das Herz seines neuen Protegés, indem er ihn mit dem Elend in Indonesien persönlich bekannt macht. Der Interessenskonflikt, wie man ihn in vielen Kriegsreporterdramen findet, ist etabliert. Ein einzelnes Dilemma ist Ein Jahr in der Hölle allerdings nicht genug.
…bekommen aber nicht das, was sie wollen
Ein Jahr in der Hölle geht tiefer als viele andere Reporterfilme. Er betrachtet nicht nur den Krisenjournalisten. Er reflektiert das Leben. Denn wenig später bricht die Handlung auf: Billy Kwan vermittelt Hamilton einen Kontakt zur britischen Botschaftsangestellten Jill Bryant (Sigourney Weaver). Der Reporter und die Regierungsrepräsentantin verlieben sich ineinander: In das Spannungsfeld zwischen objektiver Berichterstattung und aktiver Partizipation mischt sich plötzlich die Frage nach der Work-Life-Balance. Wie können zwei Personen, die beruflich unterschiedlichen Seiten angehören, privat dasselbe Bett teilen? Und was hat Hamilton von seinem Leben, wenn er sich bei der Ausübung seines Berufes umbringen lässt? Was ist wichtiger: Die Story oder die Selbsterkenntnis?
Diese Fragen mögen vor der Kulisse des indonesischen Wahnsinns klein und nichtig wirken, und nicht wenige Stimme kritisieren Ein Jahr in der Hölle für diesen Bruch. Als mutiere der Journalistenfilm zum Liebesfilm. Dabei bleiben die innere und die äußere Erzählung eng miteinander verzahnt. Die politischen Zustände rücken nicht in den Hintergrund. Sie bilden den kontextuellen Rahmen, in dem sich das zarte Verhältnis entwickeln darf. Ohne zu viel zu verraten, aber ein Pulverfass wie Jakarta ist ganz sicher kein lauschiger Ort für Turteltauben.
Ein Jahr in der Hölle macht vieles anders
Erst recht, wenn einer der beiden frisch Verliebten permanent durch regimekritische Nachforschungen Aufmerksamkeit erregt. Hamilton muss existenzielle Entscheidungen treffen: Will er der weiße Ritter sein und Opfer erbringen? Oder hält er sich zurück, seiner eigenen Unversehrtheit willen? Egal, wie er sich auch entscheiden wird – ist es offensichtlich, dass die erstrebenswerte Balance aus Billy Kwans Schattenspiel nicht mehr als eine schöne Utopie ist.
Schlechte Aussichten für Weltretter und Glücksjäger. Bevor jetzt der Blues ertönt: Ganz so pessimistisch ist ein Ein Jahr in der Hölle dann doch nicht. Er sagt nur, dass nicht leicht wird. Das gilt für das Leben im Allgemeinen – aber auch für den Journalismus im Besonderen. Nachrichten werden von Menschen gemacht. Menschen wiederum unterliegen einer Reihe von Einflüssen, die sich auf deren Handlungen und Werteurteile auswirken. Absolute Objektivität wird dadurch zu einem Ideal.
Nichts, was man für sich genommen nicht schon mal gehört oder geahnt hätte. So gesehen fügt sich Ein Jahr in der Hölle ganz gut in die Reihe der Kriegsreporterdramen ein. In dem, was sie aussagen wollen, liegen die Filme nahe beieinander – allerdings erfolgt die Herleitung in diesem Fall nicht über den politischen Konflikt, sondern aus einem universellen Antrieb heraus. Das erklärt den weitestgehenden Verzicht auf Thriller- und andere Elemente des Spannungskinos. Peter Weir setzt stattdessen auf poetische Bilder – etwas, was man von einem Film, der die Hölle in seinem Titel hofiert, nicht unbedingt erwartet. Wie gesagt, Ein Jahr in der Hölle macht vieles anders. Schon allein deshalb ist er einen Blick wert.
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Ein spannendes Frühwerk von Peter Weir, das etwas anders tickt als die üblichen Beiträge zum Thema Kriegsberichterstattung. Wer den Film in seine Sammlung aufnehmen möchte – die Scheibe hinter dem folgenden Bildlink ist nicht ganz günstig. Aktuell bietet Amazon aber auch eine Streaming-Leih-Version an.
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