Volker Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist die Verfilmung von Heinrich Bölls gleichnamiger Abrechnung mit der Springer-Presse.
Volker Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist die Verfilmung von Heinrich Bölls gleichnamiger Abrechnung mit der Springer-Presse.
Eine Frau im Fadenkreuz: Katharina Blum lernt auf einer Karnevalsfeier einen Mann kennen. Es knistert gewaltig, die beiden haben einen One-Night-Stand. Was sie nicht weiß: Ihre Bekanntschaft steht im Verdacht, terroristische Aktivitäten vorzubereiten. Über Nacht wird Katharina selbst zur Tatverdächtigen. Von den Behörden in die Mangel genommen, von den Medien als „Terrorbraut“ kriminalisiert, mutiert ihr Leben zum Spießrutenlauf.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Studiocanal/Arthaus – Titel: Criterion.
Westdeutschland zu Beginn der 1970er-Jahre: Die Studentenbewegung fördert radikale Kräfte zu Tage. Splittergruppen lösen sich von den anlassbezogenen Protesten und theoretisieren den Widerstand gegen den als reaktionär wahrgenommenen Apparat der noch jungen Bundesrepublik. Eine rigoros agierende Stadtguerilla löst die Spaßguerilla der außerparlamentarischen Opposition ab, Gewalt wird zu einem legitimen Mittel gegen die Repressalien des imperialistischen Kapitalismus erhoben: Die erste Generation der Roten Armee Fraktion bezieht Stellung. 1970 befreien Gudrun Ensslin und die Journalistin Ulrike Meinhof den Extremisten Andreas Baader, anschließend bereitet sich die Gruppe mit einer Grundausbildung im Schoss der palästinensischen Fatah auf ihr gewaltsames Wirken in der BRD vor.
1971 zündet die Baader-Meinhof-Gruppe die Vorstufe jener Eskalation, die als Deutscher Herbst in die Geschichtsbücher eingehen wird. Mit Banküberfällen und Fahrzeugdiebstählen stellen ihre Mitglieder unter Beweis, dass sie Willens sind, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Dazu gehört auch, Festnahmeversuche mit Waffengewalt zu beantworten. Am 22. Dezember 1971 erschießen die Terroristen während eines Raubes den Polizeibeamten Herbert Schoner – er wird damit zum zweiten Todesopfer der späteren RAF. „Baader-Meinhof-Bande tötet weiter“, titelt die BILD-Zeitung tags darauf. Zu diesem Zeitpunkt allerdings ist die Täterschaft noch nicht gesichert. Der Schriftsteller Heinrich Böll nimmt die Vorverurteilung zum Anlass für einen Essay, in dem er die journalistischen Methoden des Axel Springer-Verlages kritisiert.
„Das ist nackter Faschismus.“
Schon während der Studentenprosteste war die Springer-Presse zum verhassten Feindbild der intellektuellen Linke avanciert, weil sie in ihren Augen zu sehr mit den staatlichen Oberen kungelte und das konservative Bürgertum gegen die liberalen Kräfte aufhetzte. Auch Böll wirft der BILD vor, die Spirale der Gewalt mit ihrer reißerischen Berichterstattung anzukurbeln. Im Spiegel vom 10. Januar 1972 erscheint sein Text unter der Überschrift „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“. Darin hält der Autor fest:
„Das ist nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid, das ist nackter Faschismus. Verhetzung, Lüge, Dreck. Diese Form der Demagogie wäre nicht einmal gerechtfertigt, wenn sich die Vermutungen der Kaiserslauterer Polizei als zutreffend herausstellen sollten. In jeder Erscheinungsform von Rechtsstaat hat jeder Verdächtigte ein Recht, daß, wenn man schon einen bloßen Verdacht publizieren darf, betont wird, daß er nur verdächtigt wird. Die Überschrift »Baader-Meinhof-Gruppe mordet weiter« ist eine Aufforderung zur Lynchjustiz. Millionen, für die Bild die einzige Informationsquelle ist, werden auf diese Weise mit verfälschten Informationen versorgt.“
Bölls Essay wird zum Bumerang
Sieht man von der Art und Weise ab, wie Böll die Dinge beim Namen nennt, ist dieser Vorwurf gegen den BILD-Journalismus nicht neu. Allerdings gerät der Text zum doppelten Bumerang. Erstens ist der Schreib-Anlass unglücklich gewählt. Böll kritisiert die Zeitung dafür, die Baader-Meinhof-Gruppe für Straftaten verantwortlich zu machen, ohne dass ihre Täterschaft im Einzelfall zweifelsfrei belegt sei („Wo die Polizeibehörden ermitteln, vermuten, kombinieren, ist BILD schon bedeutend weiter: BILD weiß.“). Im Fall Schoner jedoch wird sich schon bald herausstellen, dass der Beamte sehr wohl durch die Waffe eines RAF-Aktivisten getötet wurde. Zweitens suggeriert der Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ eine gewisse Nähe des Autors zur Meinhof, da er sie mit ihrem Vornamen anredet.
Böll wird später anmerken, dass die Überschrift nicht aus seiner Feder stammte, sondern von der Spiegel-Redaktion ersonnen worden sei. Außerdem räumt er Schwächen in seinem Text ein. Er habe die Gruppe um Ulrike Meinhof relativiert (wenn gleich er sie in dem besagten Spiegel-Essay als fehlgeleitet charakterisiert), aber keineswegs verharmlost. „Ich habe versucht, die Proportionen zurechtzurücken. Nichts weiter“, schreibt er in einem weiteren Beitrag, der am 29. Januar in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wird. Die Erklärung kommt zu spät. BILD und konservative Kreise haben den Schriftsteller bereits als „geistigen Sympathisanten“ des Terrorismus abgestempelt.
Katharina Blum und die Reflexe der Medien
Böll leidet unter dieser Zuschreibung, er wird nicht müde, seine Positionen zu erläutern, wohl wissend, dass die Gegenseite für Argumente nicht besonders empfänglich ist. Er kanalisiert seinen Ärger im Schreiben, 1974 veröffentlicht er Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. In dieser Erzählung spitzt Böll seine Kritik an den Springer-Methoden auf polemische Weise zu (er nimmt den Kampf sozusagen mit den „Waffen der BILD“ auf) und verdichtet sie zu einer wenig subtilen Warnung. Allein der Titel lässt keinen Zweifel aufkommen, wen Böll für die Eskalation mitverantwortlich macht.
Wenig überraschend provoziert Böll mit seiner Prosa die Beißreflexe aus der Polit- und Presselandschaft. Für die Springer-Medien liefert die Erzählung nur einen weiteren Beleg für Bölls Sympathisantentum mit der RAF, im Deutschen Herbst 1977, aber auch davor und noch danach, brandmarken Kommentatoren ihn immer wieder als intellektuellen „Edelfan“, der zur „Hoffähigmachung der Bande“ beigetragen habe.
Von Trotta und Schlöndoff treten auf
Am bekanntesten ist wohl der Appell des späteren Bundespräsidenten Karl Carstens (1979 bis 1984), der sich in offensichtlicher Unkenntnis zum Buch äußerte: „Ich fordere die ganze Bevölkerung auf, sich von der Terrortätigkeit zu distanzieren, insbesondere den Dichter Heinrich Böll, der noch vor wenigen Monaten unter dem Pseudonym Katharina Blüm [sic] ein Buch geschrieben hat, das eine Rechtfertigung von Gewalt darstellt.“ Trotz – oder gerade wegen – der Negativpresse wird Die verlorene Ehre der Katharina Blum zum Erfolg. Kein Werk des Literaten geht häufiger über die Ladentheke. Wobei die kolportierten Verkaufszahlen stark schwanken. Zwischen sechs Millionen allein in Deutschland (nach Christiane Grefe: Wo ist Böll?, Die Zeit, Nr. 32/2007) und 2,7 Millionen verkauften Exemplaren (Wikipedia, nach Ralf Schnell) weltweit klafft eine eklatante Lücke.
Die Aufregung um das Buch hat sich noch nicht gelegt, als das Autorenfilmer-Paar Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta mit Adaptionsplänen an Böll herantritt. Böll hatte schon während des Schreibprozesses an eine mögliche Verfilmung gedacht und steht dem Vorhaben wohlwollend gegenüber. Der Dichter und die Filmemacher arbeiten gemeinsam an einem Drehbuch. Sie chronologisieren den fragmentarischen, aus verschiedenen Quellen zusammengesetzten Beginn der Erzählung, damit es dem Kinopublikum leichter fällt, in die Geschichte einzusteigen. Das Unheil soll sich in der fertigen Filmfassung noch stärker zusammenbrauen.
„Keine Unterstützung für die Filmadaption“
Die Realisierung, insbesondere die Finanzierung, fällt der Film-Crew deutlich schwerer. Vielen potenziellen Förderern ist der Stoff zu heikel, die rasselnden Begleitgeräusche zur Buchveröffentlichung hallen nach. Mehr noch: Laut Schlöndorff habe das Innenministerium gegen das Filmprojekt mobil gemacht. „Keine Unterstützung für die Filmadaption“, soll die Direktive gelautet haben.
Tatsächlich sieht sich das Team großen Schwierigkeiten gegenüber, gerade in der Beschaffung von authentischen Polizeirequisiten. Ob von oben instruiert oder nicht – Polizeidienststellen geben Waffen, Fahrzeuge und Uniformen nicht einfach so heraus. Mit Einfallsreichtum gelingt es, genügend Ausstattung zu akquirieren. Auch die Finanzierung steht: An dem 1,7 Millionen DM schweren Budget beteiligt sich unter anderem der Westdeutsche Rundfunk. 400.000 DM bringen die Produzenten auf, ein Filmförderdarlehen über 300.000 wird später über die Einspielkosten zurückgezahlt.
Die verlorene Unschuld des Uni-Centers
Teile der Dreharbeiten finden in Köln statt, unter anderem wird im erst zwei Jahre zuvor eröffneten Sülzer Uni-Center gefilmt. Im Deutschen Herbst 1977 wird der Y-förmige Hochhauskomplex zeitweise von echten Terroristen bewohnt. Das RAF-Mitglied Adelheid Schulz mietet eine Wohnung für konspirative Treffen an, Teile der Schleyer-Entführung werden hier geplant. Festgehalten wird der Arbeitgeberpräsident schließlich in der Kölner Umgebung. Das Kommando „Siegfried Hausner“ versteckt ihn zunächst in einem Wohnhochhaus in Erftstadt-Liblar, bevor er nach Den Haag und später nach Brüssel verschleppt und in Reaktion auf die „Todesnacht von Stammheim“ ermordet wird.
In Die verlorene Ehre der Katharina Blum liegt die Wohnung der titelgebenden Protagonistin im Uni-Center. Die Hauptrolle übernimmt Angelika Winkler, die vier Jahre später, 1979, in einer weiteren Schlöndorff-Romanverfilmung brilliert: als Mutter von Oskar Matzerath in der oscarprämierten Adaption von Grass‘ Blechtrommel. Winkler spielt die im doppelten Wortsinn Unschuldige: Der Vorname Katharina stammt aus dem Griechischen und bedeutet „die Reine“, der Nachname leitet sich von der anmutigen Blume ab. Darüber hinaus ist „Blum“ zwar kein genuiner, wohl aber ein häufiger jüdischer Familienname, der sie in rechten Kreisen „verdächtig“ macht. Ihr einziges „Vergehen“ besteht darin, dass sie nach einer Karnevalsfeier einen Mann namens Ludwig Götten (Jürgen Prochnow) mit nach Hause nimmt, den die Polizei aufgrund möglicher terroristischer Aktivitäten beschattet.
Polizei und Presse arbeiten Hand in Hand
Wie tief Götten in diese Aktivitäten verstrickt ist, bleibt fraglich. Umso perfider ist die Wendung, die Katharinas Leben nach dieser Nacht nimmt. Weil der Gesuchte den Beamten erwischt, gerät die Blum ins Visier der Fahnder. Noch am Morgen wird sie von der Polizei aufs Revier gezerrt und ins Kreuzverhör genommen. Der leitende Kommissar (Mario Adorf) macht keinen Hehl daraus, wie wenig er von der Unschuldsvermutung hält. Einen simplen, zufälligen One-Night-Stand gesteht er der jungen Frau nicht zu. Alles was sie sagt, macht sie zur Kollaborateurin.
Die Beamten demütigen und beleidigen sie, nötigen sie dazu, sich vollständig zu entkleiden, halten ihr Gesicht in die Kameras der lauernden Fotomeute, damit diese ihrer pressefreiheitlichen Informationspflicht nachkommen kann (letzteres ist Ulrike Meinhof bei ihrer Verhaftung in ähnlicher Weise widerfahren. Doch anhaften kann ihr der Kommissar nichts, weshalb er sie laufen lassen muss. Allerdings nicht ohne der Blum „noch einen mitzugeben“. Er füttert Werner Tötges (Dieter Laser), seines Zeichens Reporter des Boulevardblattes DIE ZEITUNG, mit seinen Vorannahmen.
Hetzjagd nach der Terrorbraut Blum
Katharina Blum wird zum Freiwild erklärt. Wie schon die Polizei ist die Presse primär daran interessiert, die bereits vollzogene Vorverurteilung zu untermauern. Dazu leuchten Journalisten jeden Winkel im Leben der „Terrorbraut“ aus. Ihr Chef, der große Stücke auf seine zuverlässige Mitarbeiterin hält, wird im Ski-Urlaub von einem Reporter abgefangen. Derart überrumpelt und in Unkenntnis der Vorwürfe, bittet er darum, keinen Kommentar abgeben zu müssen. Was der Fragesteller mit einem „Schweigen kann böse für Sie enden“ quittiert. Soll heißen: Wer nicht mitspielt, der wird – wie einst Heinrich Böll – von der Journaille als „geistiger Sympathisant“ des Terrorismus bekanntgemacht. Also stammelt der Chef etwas vor sich hin. Was genau, ist unerheblich. „Das genügt“, frohlockt der Lohnschreiber, der ohnehin nur das notiert, was er hören will.
Kein Einzelfall: Journalisten in Die verlorene Ehre der Katharina Blum sind ausnahmslos unehrenhafte Zeitgenossen, die für eine gute Geschichte ihre eigene Mutter verkaufen würden. Ihr Berufsethos glänzt mit Abwesenheit, Diffamierungen, Einschüchterungen und dreiste Suggestivfragen gehören zu ihrem Standardrepertoire der „Informations-beschaffung“. Sie treten wahlweise als ranzige Alkoholiker oder schmierige Lebemänner auf – wer in dieser Branche arbeitet, ist entweder ein Wrack oder hat jedwede Form von Skrupel ablegt. Wem Letzteres gelingt, dem winkt der Porsche. Werner Tötges jedenfalls lebt von seinen Lügengeschichten hervorragend – nicht umsonst ist er der Schlimmste von allen.
Schwarz-weiß im Sinne der Anklage
Tötges verdreht, wo er nur kann – aus der „sehr klugen und kühlen“ Katharina wird die „eiskalte und berechnende“ Blum. Weil Nachbarn von gelegentlichen Herrenbesuchen berichten, behauptet er in seinen Artikeln, Katharina Blum kenne Ludwig Götten bereits seit Jahren. Er verkleidet sich als Arzt, um Kathrinas schwer kranke Mutter auf der Intensivstation zu interviewen. Selbst ihr kaum wahrnehmbares Flüstern dichtet er in eine denunzierende Schlagzeile um. Nur wenige Stunden nach seinem Besuch verstirbt die Mutter. Der Film lässt gar keine andere Deutung zu: Werner Tötges hat die alte, arme Dame auf dem Gewissen.
Diese Charakterisierung des Journalismus ist reichlich schwarz, ganz im Sinne der Böll’schen Anklage. Moderation gibt es nicht, das Drehbuch sieht keinen ausgleichenden Charakter vor. Keinen Jungjournalisten, der die Arrivierten kritisch hinterfragt oder zumindest leichte Zweifel hegt, ob das, was seine Kollegen so anstellen, mit den moralischen Grundsätzen vereinbar ist. Die verlorene Ehre der Katharina Blum schert die berichtende Zunft über einen Kamm, versinnbildlicht in der Namensgebung des vermeintlichen Leitmediums. DIE ZEITUNG ist Sammelbegriff und Pseudonym zugleich: Für die zeitgenössische „Rechtspresse“ im Allgemeinen, für das Boulevardblatt mit den vier großen Buchstaben und dem übergroßen Sendungsbewusstsein im Speziellen.
Wie Gewalt entsteht und wohin sie führt
„Ähnlichkeiten mit gewissen journalistischen Praktiken sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“, heißt es im Anschluss an die letzte Szene des Films. Während die Erzählung mit der Inhaftierung Katharina Blums abschließt, endet der Film mit einer Beerdigung. Werner Tötges journalistische Übergriffigkeit hat ihn schlussendlich ins Grab befördert. Verabredet zum Exklusivinterview, trifft er Katharina Blum in deren Wohnung. Eine kleine Resthoffnung auf Rehabilitation durch eine Gegendarstellung glimmt in ihr, wird durch das impertinente Auftreten Tötges aber sofort zunichte gemacht. „Siehste, Blümelein, Du bist berühmt“, flötet Tötges und erwartet tatsächlich noch Dankbarkeit. Konfrontiert mit seinen Lügen stiehlt sich der Journalist aus der Verantwortung: „Ich liefere denen [in der Redaktion] Prima-Material und die machen so einen Dreck heraus.“ Es läge jedoch in seiner Hand, die Verhältnisse wieder geradezurücken. Voraussetzung sei allerdings, dass „wir erstmal ein bisschen Bumsen.“
Es ist Tötges‘ letzter Erpressungsversuch, Kathrina Blum erschießt den Journalisten auf der Stelle. Es ist Bölls Moral von der Geschicht‘, wie er sie im Titel seiner Erzählung „androht“: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann. Mit der eigens für den Film geschrieben Grabrede legt der Schriftsteller eine bittere Pointe nach. Im Nachruf heißt es, Katharina Blums Tat sei ein „Angriff auf die Pressefreiheit“. Ausgerechnet. Jene Pressefreiheit, die DIE ZEITUNG missbraucht und wie einen verlotterten Deckmantel notdürftig über ihre eigenen Hetz- und Rufmordkampagnen wirft.
Krieg gegen BILD
Der Schlusssatz im Film ist gegenüber der Buchvorlage (wo er der Erzählung übrigens vorangestellt wird) leicht abgeändert: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“
Im Film entfällt der direkte, namentliche Verweis auf die BILD, was einerseits wirtschaftlich-pragmatische Gründe hat. Potenzielle Geldgeber scheuen die Konfrontation mit dem auflagenstärksten Printmedium der Republik und auch dem WDR als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ist nicht ganz wohl bei diesem Gedanken. Andererseits versuchen die Verantwortlichen, möglichen juristischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Die direkten BILD-Bezüge im Buch hatten nämlich ein Nachspiel vor Gericht nach sich gezogen. In einem Schreiben erinnern die Springer-Anwälte das Regie-Pärchen von Trotta und Schlöndorff an ein gültiges Urteil des Hanseatischen Oberlandesgericht, nach dem es im Zusammenhang mit der Erzählung Die verlorenen Ehre der Katharina Blum nicht erlaubt ist, den Eindruck zu erwecken, „als handele es sich dabei um die Geschichte aus Bild oder habe Bild etwas mit der Geschichte zu tun“.
Späte Nicht-Einsicht und aktueller Bezug
Um welches Blatt es sich bei DER ZEITUNG handeln könnte, ist aber auch ohne Namensnennung unschwer zu erraten. Der Film zieht 1,2 Millionen Menschen (im Bonusmaterial ist von sogar 1,9 Millionen die Rede) in die deutschen Kinos und gilt als deutscher Erfolg im Kinojahr 1975 (Nr. 1 der Kinocharts ist übrigens Spielbergs Der Weiße Hai). Heute ist die BILD weniger zimperlich und beansprucht die Darstellung DER ZEITUNG in Buch und Film für sich, wenn auch nicht ganz uneigennützig und mit Fokus auf die eigene Legendenbildung. „Krieg gegen Bild“ titelte das Blatt anlässlich einer Rückschau zum 60-jährigen Bestehen. Von Einsicht natürlich keine Spur.
Über den Vergleich früheres und heutiges Gebaren der Zeitung lassen wir uns an dieser Stelle mal weniger aus, fragwürdige Methoden und die opportune Berichterstattung mancher BILD-Redakteure, Chefreporter und Thekenschwadronierer nehmen Medien wie BILDblog & Co. täglich unter die Lupe. Denn bei allem Kummer, den der Clinch mit der BILD verursachte (Bölls Sohn sagte einmal, er sei überzeugt, dass die BILD ihren Anteil am frühen Tod seines Vaters hatte), ist Die verlorene Ehre der Katharina Blum mehr als eine literarische Vergeltungsmaßnahme. Buch und Film veranschaulichen, wie dramatisch sich das Leben einer Person von einem Tag auf den nächsten verändern kann und wie schwer sich eine vorgefertigte öffentliche Meinung wieder einfangen lässt. Es geht um die Wahrung demokratischer Werte, Vorverurteilungen und die Empfänglichkeit der Menschen für einen bestimmten Typus von Nachrichten. Aktuelle Bezüge zur heutigen Stimmungslage finden sich in Die verlorene Ehre der Katharina Blum reichlich. Auch ohne die BILD.
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Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist ein polarisierender, intensiver Klassiker. Den Film gibt es bei Amazon*, es könnte sich lohnen, nach den Box-Sets von Studio Canal Ausschau zu halten, die ab und an im Angebot sind. So lassen sich weitere Schlöndorff-Verfilmungen wie Die Blechtrommel oder Homa Faber mitnehmen.
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