In Die richtige Distanz deckt ein Nachwuchsreporter den Mord an einer einstigen Flamme auf. Vorher muss er journalistisch in die Spur kommen.
In Die richtige Distanz deckt ein Nachwuchsreporter den Mord an einer einstigen Flamme auf. Vorher muss er journalistisch in die Spur kommen.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Cineteca Luce.
Es beginnt mit einer peinlichen Schludrigkeit in der Regionalzeitung. Die Redaktion hat einen Bericht über eine lokale Leichtathletik-Heldin mit vermeintlich chinesisch klingendem Namen mit dem Foto einer echten chinesischen Sportlerin bebildert. Es ist nicht das erste Mal, dass die Zeitung so mit dem Stolz eines norditalienischen Provinznestes umgeht, also haut Giovanni in die Tasten. Seine Beschwerde-Mail bringt dem 19-Jährigen ein Treffen mit dem zuständigen Chefredakteur sein. Denn offensichtlich kann dessen Zeitung einen Insider aus der Gegend gut vertragen.
Doch wie in vielen anderen Verlagshäusern auch darf die redaktionelle Verstärkung nicht viel kosten. Als der Blattchef sieht, wer sich hinter den getippten Zeilen verbirgt, winkt der zunächst ab. „Du bist zu jung. Ich brauche einen Barmann, einen Apotheker. Keinen, der Karriere machen will. Irgendwann fängst Du an, Artikel und Geld zu wollen.“ Aber Giovanni lässt nicht locker. „Sie haben meine Schreibe gelesen“, wirft er ein. Damit hat der junge Mann einen Punkt, das sieht auch der Chefredakteur ein – und lädt zur zweiten Runde in ein Restaurant, wo aus dem Sondierungs- ein Einstellungsgespräch wird.
Journalismus als Geheimsache
Jeden Artikel werde er pauschal mit 20 Euro honorieren, erklärt der Redaktionsleiter im generösen Ton. Natürlich inhaliert er dabei reichlich Rauchwerk, vor ihm steht ein ausladendes Glas Bier, zu dem er immer wieder greift. Eine Sache noch, dann wird Giovanni in den Dienst der Zeitung gestellt: „Pass auf, dass Du nicht auffliegst!“ Hat er das eben wirklich gesagt?
Er hat. In Die richtige Distanz arbeiten Journalist*innen wie Geheimagenten. Sie geben sich nicht zu erkennen und veröffentlichen anonym ihre Zeilen. Ob’s daran liegt, dass die italienische Presse, nicht zuletzt, wenn sie über das organisierte Verbrechen berichtet, unter Druck steht? Darüber schweigt sich das Drehbuch aus. Wie dem auch sei: Schon der erste Artikel, den Giovanni übermittelt, wird zum Gesprächsthema Nr. 1 im Ort. „Jeder fragte sich, woher die Zeitung so detaillierte Informationen hatte“, kommentiert Giovanni aus dem Off. Die allgemeine Begeisterung spricht jedenfalls nicht für die bisherige publizistische Qualität seines Arbeitgebers.
Ein Dorf voller Gierlappen
Keine Frage, der Journalismus, wie ihn Giovanni kennenlernt, wirkt zweifelhaft – nur weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie bewusst der Film dieses Bild zeichnet. Eingangs scheint es jedenfalls so, als missbrauche der Film Giovannis Traumberuf, um seinen Hang zum Spannertum zu legitimieren. Schließlich fällt unser jugendlicher Protagonist in der nächsten Stunde einzig und allein dadurch auf, dass er den Mail-Account seines Schwarms Mara „hackt“, um in ihrer Korrespondenz herumzuschnüffeln.
Mit dieser Attitüde passt Giovanni perfekt in das Dorf voller Gierlappen, in das es die unglückselige Aushilfslehrerin verschlagen hat. Die richtige Distanz beginnt mit seinem Provinzcharme, den weiten Landschaftsaufnahmen und den skurrilen Figuren wie ein Krimi der Gebrüder Coen, wird aber schon bald richtig unangenehm. Vom ersten Moment ihrer Ankunft an stieren sämtliche Typen der schönen Frau hinterher, drängen sich auf oder lungern zu unchristlicher Stunde vor ihrem Haus herum. Mit letztgenannter Masche hat Hassan, Chef der örtlichen Autowerkstatt, in der Giovanni heimlich (mit Offenheit hat er es wirklich nicht so) an einem Mofa schraubt, sogar „Erfolg“. Mara und er werden ein Paar. Eines, das ein Ablaufdatum besitzt, denn Maras Engagement ist befristet und ihr Plan, anschließend für ein Projekt nach Brasilien auszuwandern, gefasst.
Wie wahrt man die richtige Distanz?
Als Mara eines Tages ermordet in einem Fluss aufgefunden wird, fällt der Verdacht natürlich direkt auf Hassan. Unsereins weiß: Jeder in diesem Dorf könnte ein Triebtäter sein. Aber Hassan ist nun mal der gekränkte Liebhaber UND Ausländer – und damit die naheliegendste Lösung des Falls. Das sieht auch Giovanni so, der nicht weiter investigiert. Immerhin hat ihm sein Chefredakteur beigebracht, was es heißt, die richtige Distanz zu wahren: „Die Regel ist: Nicht zu viel Distanz, sonst gibt es kein Pathos. Aber auch nicht zu wenig Distanz, verdammt nochmal! Journalisten, die ihren Gefühlen nachgeben, sind verloren“. Giovanni lässt Heimat und schmerzhafte Erinnerungen hinter sich, um einen Schreibtischjob in der Zentralredaktion anzutreten.
Es kommt, wie es kommen muss: Die Vergangenheit, der Mord an Mara, das bessere Wissen aus der schamlosen Lektüre fremder E-Mails , all‘ das holt Giovanni nochmal ein. Und auch die Gültigkeit der Regel von Giovannis großspurigem Vorgesetzten hinsichtlich der richtigen Distanz wird einkassiert: Der Nachwuchsjournalist löst den Fall, indem er seine Befangenheit akzeptiert. Weil er persönlich involviert ist, ist er bereit, weiterzugehen als die Konkurrenz, die nur für die schnelle Schlagzeile vorbeischaut.
Falsche Vorbilder und wahre Berufung
Kulturelle und soziale Vorbehalte, falsche Gewissheiten und gefühlte Wahrheiten: Die richtige Distanz erzählt davon, wie alte Muster die Sinne vernebeln. Giovanni sieht zu einem alten Hasen auf, weil es sich als Novize gehört, dem Lehrer zuzuhören. Eine Ehrfurcht, in der sich die Realität manch elitär geführter Redaktion widerspiegelt. Dabei hat er bereits erkannt, dass die(se) Zeitung alles andere als unfehlbar ist. Umso versöhnlicher, dass Giovanni feststellt, dass er sich das falsche Vorbild ausgeguckt, wohl aber die richtige Berufung gefunden hat. Denn er macht weiter: in Mailand. Bei einer „seriösen Zeitung“. Hoffentlich außerhalb der Einflusssphäre von Bunga-Bunga-Berlusconi.
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