Journalistenfilme gibt es wie Lettern auf dem Broadsheet. Doch wie in jedem anderen Genre gilt: Es gibt gute, mittelmäßige und schlechte Beiträge
Der Moment der Wahrheit (2015)
journalistenfilme.de-Bewertung: 9/10
Was? Die Journalistin und Abu Ghraib-Enthüllerin Mary Mapes stolpert im US-Wahlkampf 2004 gleich doppelt über ein Dokument. Es ist das Puzzlestück zu einer Geschichte, die den amtierenden Kriegspräsidenten George W. Bush als feigen Vietnam-Verweigerer entlarvt. CBS hat ihre Story gerade gesendet, da steht plötzlich die Authentizität des Papiers in Frage. Mary Mapes wird von Politik, Medien und Öffentlichkeit in die Mangel genommen.
Wer? James Vanderbilts Film wird 2015 – wie Spotlight – in der US-amerikanischen Öffentlichkeit breit diskutiert. Doch im Gegensatz zu Tom McCarthys Reporterdrama ist Der Moment der Wahrheit bei den anschließenden Oscarverleihungen kein Thema mehr. In den Hauptrollen: Cate Blanchett (Blue Jasmine) als Mary Mapes und Robert Redford (Die Unbestechlichen) als Moderatoren-Legende Dan Rather.
Warum? Ein möglicher Grund, warum Der Moment der Wahrheit bei den Oscars übergangen wird: Spotlight zelebriert den Journalismus, Der Moment der Wahrheit problematisiert ihn. Dass eine wache vierte Gewalt für das Funktionieren der Demokratie unerlässlich ist, daran lässt der Film keinen Zweifel aufkommen. Doch er zeigt auch, wie schwer es der Journalismus im Ringen um die Deutungshoheit hat. Das macht Der Moment der Wahrheit zu einem wichtigen wie aufrichtigen Genre-Beitrag.
Wo? Blogbeitrag: Journalismus im Schwitzkasten.
Bezugsquelle: Der Moment der Wahrheit
Natural Born Killers (1994)
journalistenfilme.de-Bewertung: 9/10
Was? Das Serienkiller-Pärchen Mallory (Juilette Lewis, siehe auch: Kalifornia) und Mick (Woody Harrelson, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri) ist außer Kontrolle, die Highways entlang ihres Roadtrips sind mit Leichen gepflastert. Die Medien jazzen das Duo zu einer neuzeitlichen Variante von Bonnie & Clyde hoch. Verkörpert wird die Hype-Maschinerie durch den skrupellosen Journalisten Wayne Gale (Robert Downey Jr., Zodiac – Die Spur des Killers, der Solist).
Wer? Wenn es einer drauf anlegt, dann Oliver Stone (Salvador, Talk Radio). Natural Born Killers ist Stones wohl kontroversester Film: Für die einen ein visuelles Meisterwerk, das der Bigotterie des Fernsehens den Spiegel vorhält, für die anderen menschenverachtender Schund, der seine Gewalt unter dem Deckmantel der Satire zelebriert.
Warum? Keine Überraschung, angesichts der Erwähnung in dieser Liste: Ich gehöre zur Fraktion derer, die Natural Born Killers – wenn auch erst nach einem zweiten, sehr späten Anlauf – für das, was er ist, schätzen. Die schier unglaubliche Fülle an Ideen, die vielen optischen Einfälle, die Spurwechsel in der Tonalität, der Soundtrack, die Dialoge – in Natural Born Killers gibt es verdammt viel zu entdecken.
Wo? Blogbeitrag: Wayne Gale in Natural Born Killers.
Bezugsquelle: Natural Born Killers
Network (1976)
journalistenfilme.de-Bewertung: 9/10
Was? Howard Beale (Peter Finch) hat keine Lust mehr. Nach jahrzehntelanger Loyalität zum Sender soll der Nachrichtenmoderator seinen Platz räumen. In seiner Ausweglosigkeit kündigt er vor laufender Kamera seinen Freitod an: In zwei Wochen werde er sich in seiner Abschiedssendung erschießen. Mit dieser Ankündigung im Rücken erreicht die Beale-Show plötzlich ungeahnte Einschaltquoten. Während Beale immer weiter in den Wahnsinn abdriftet, fallen bei den Programmplanern, allen voran Diana Christensen (Faye Dunaway, siehe auch: Der Fall Jesus), alle Hemmungen.
Wer? Network ist das Werk des großen Sidney Lumet (Die zwölf Geschworenen, Serpico). Peter Finch verstirbt Anfang 1977 an einem Herzinfarkt, für die Rolle des Howard Beale zeichnet ihn die Academy wenige Wochen später mit dem Oscar aus. Neben Heath Ledger (für „seinen“ Joker in The Dark Knight) ist Peter Finch einer von zwei Schauspielern, die den Oscar posthum erhielten.
Warum? Network startet im selben Kinojahr wie Die Unbestechlichen. Wenn Alan J. Pakulas Meisterwerk die Filmfibel für Journalisten ist, dann ist Network die Ur-Mutter aller Mediensatiren. Es geht um Profitwahn, die Boulevardisierung von Nachrichten und die menschenverachtende Natur von Trash-TV – viele Gedanken zu einem Film, der viele spannende Aussagen zur Funktionsweise von Fernsehen und Aufmerksamkeitsökonomien trifft. Und das über 40 Jahre vor unserer Zeit.
Wo? Unser Podcast zu Network – mit Gast Christian Genzel.
Bezugsquelle: Network (Stream)
Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis (2014)
journalistenfilme.de-Bewertung: 8/10
Was? Louis Bloom (Jake Gyllenhaal, Donnie Darko) verdient seinen Lebensunterhalt mit kleinen Gaunereien, bis er eines nachts ein Erweckungserlebnis hat: Er beobachtet einen Blaulichtreporter bei der Arbeit. Einmal angefixt, kratzt Bloom seine letzten Mäuse für eine Kamera zusammen: Der Quereinsteiger geht selbst auf die Jagd nach spektakulären Aufnahmen. Doch schon bald wird der Job zur Obsession, und gewöhnliche Unfallbilder kicken nicht mehr.
Wer? Nightcrawler ist Dan Gilroys (Die Kunst des toten Mannes) Regie-Debüt. Der Film brachte ihm eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch ein. Gibt schlechtere Einstände.
Warum? Wie Loius Bloom driften auch wir unaufhaltsam dem Nullpunkt entgegen. Nightcrawler entfaltet eine manische Sogwirkung, die uns in die zwiespältige Welt der Stringer hineinzieht. Am Ende fragen wir uns: Wollten wir das überhaupt sehen? Nightcrawler triggert die Schaulust in uns. Plus: Im Wettbewerb um die Krone des gruseligsten Filmjournalisten belegt Louis Bloom einen Treppenplatz. Mindestens.
Wo? Unser Podcast zu Nightcrawler – mit Gast Christian Genzel. Bezugsquelle: Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis
Schlagzeilen (1994)
journalistenfilme.de-Bewertung: 8/10
Was? Zwei Afroamerikaner werden im New Yorker Stadtteil Queens in Zusammenhang mit einem Mord an einen Banker verhaftet. Anscheinend nur pro forma, denn die Polizei deutet schon früh an, dass die Männer nichts mit dem Verbrechen zu schaffen haben. Die Pressemeute, getrieben vom Auflagendruck und nahendem Redaktionsschluss, weiß es besser und möchte die beiden vorverurteilen. Der Journalist Henry Heckett (Michael Keaton, Spotlight, Live aus Bagdad) vertritt eine konträre Meinung und zieht so den Zorn seiner Chefin Alicia Clarke (herrlich frustriert: Glenn Close, Die Frau des Nobelpreisträgers) auf sich.
Wer? Schlagzeilen ist Ron Howards erster Beitrag zum Genre der Journalistenfilme. 2008 legt er Frost/Nixon nach, einen Dialog-Krimi, der auf der berüchtigten Interview-Serie des britischen Talkmasters David Frost mit dem ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon beruht.
Warum? Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen in dieser Liste, kommt Schlagzeilen ohne realen Hintergrund daher. Tatsächlich ist die Rahmenhandlung belanglos, Hecketts beherztes Eingreifen eigentlich keine Leistung, sondern eine journalistische Selbstverständlichkeit. Und doch ist Schlagzeilen eine sehenswerte Komödie, die von den vielen kleinen, zwischenmenschlichen Geschichten im Redaktionskosmos lebt – und so, abgesehen von der ikonischen Slapstick-Rangelei zwischen Glenn Close und Michael Keaton im Druckhaus, den ganz normalen Wahnsinn im Journalismus porträtiert.
Wo: Blogbeitrag: Weil Journalisten auch nur Menschen sind.
Bezugsquelle: Schlagzeilen
COMMENTS
Tausend Milliarden Dollar
Hallo Winfried,
für einen Moment habe ich geglaubt, das wäre das Gebot für diesen Blog hier (würde ich natürlich nie annehmen).
Dann aber mal in die Google-Suche geschmissen: Kannte ich bislang überhaupt nicht, Tausend Milliarden Dank für den Tipp.
Wo bleibt Morning Glory? Hammermediensatire übers Frühstücksfernsehen. Gut besetzt und extrem unterhaltsam.
Hi Stephan,
klarer Fall von: bislang noch nicht gesehen. Schaue gerade auf der imdb und sehe, dass Rachel McAdams mitspielt – damit mausert sie sich zur Mrs. Journalistenfilm. Spielt ja auch in Spotlight und State of Play mit.
Kommt auf meine Watchlist. Ich verspreche aber nix 😉
Danke für den Tipp und deinen Kommentar!
Viele Grüße, Patrick
Zeuge einer Verschwörung
fand ich auch sehr gut.
Hallo Ina,
Auch ein guter Film, schlittert aber an dieser Liste vorbei. Hat grandiose Einzelszenen – das finale ist bestes Paranoia-Kino à la Pakula. Man merkt ihm aber zu deutlich die Schwierigkeiten in der Produktion an, wie ich finde. Gehe hier näher auf den Film ein: https://www.journalistenfilme.de/joseph-frady-zeuge-einer-verschwoerung/
Danke für deinen Kommentar!
Viele Grüße, Patrick
Zwei Filme ständen bei mir noch auf der Liste, wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit sie jetzt die Kriterien für das Genre Journalistenfilme erfüllen:
1. “Das Millionenspiel” mit Heck, Hallervorden und Pleva.
2. Das andere ist der zweiteilige Fernsehfilm “Welt am Draht” in der ganze Handlungsstränge dem Journalismus und Fassbinders Kritik daran gewidmet sind.
Eines der besten Zitate. “[…] Sie [die Reporter] bearbeiten kurze Meldungen, den Brühwürfel einer Nachricht sozusagen, lösen ihn auf, bringen die Story, die Hintergründe einer Nachricht – sofern vorhanden.”
Hi Joshua,
Danke Dir für deine Tipps, habe ich beide noch nicht gesehen.
Was die Kriterien betrifft, bin ich entspannt. Du findest hier auch Action- und Horrorfilme, die weit entfernt davon sind, Journalistenfilme zu sein. Hauptsache, es kommen Journalist*innen vor 🙂
Von daher: Habe ich mir vorgemerkt. Welt am Draht habe ich sogar hier, sträflicherweise in einer noch eingeschweißten Fassbinder-Box.
Das Zitat ist klasse!
Viele Grüße, Patrick!
Zodiac – die Spur des Killers
Grandioser Film und gehört meiner Meinung nach definitiv auf die Liste
Hey Christoph,
Hach, mit dem “definitiv” tue ich mich schwer.
Vom Grundsatz her finde ich Zodiac klasse (war auch einer der ersten Beiträge auf diesem Blog: https://www.journalistenfilme.de/zodiac/), und alle zwei, drei Jahre habe ich als Fincher-Fan auch richtig Lust drauf. Nach der Sichtung denke ich mir aber auch immer: Puh, das war jetzt anstrengend.
Nach der nächsten Sichtung werde ich nochmal in mich gehen…;)
Danke für deinen Kommentar!
Viele Grüße, Patrick