Wohlfühl-Movie mit journalistischem Background: Ein skeptischer Reporter soll ein Porträt über einen amerikanischen TV-Liebling schreiben.
Wohlfühl-Movie mit journalistischem Background: Ein skeptischer Reporter soll ein Porträt über einen amerikanischen TV-Liebling schreiben.
Große Lust dazu hat er nicht. Auch weil er mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen hat. Doch das Wertekarussell nimmt durch den immer intensiver werdenden Kontakt mit dem ur-freundlichen Mr. Rogers an Fahrt auf. Der wunderbare Mr. Rogers ist ein wahrlich wunderbarer Film – der auf einer echten Freundschaft zwischen Moderator und einem Journalisten fußt.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Sony.
Lloyd Vogel (Matthew Rhys) arbeitet als Investigativ-Journalist für das US-Magazin Esquire. Als solcher hat er seinen Ruf weg. Denn wer mit ihm spricht, muss damit rechnen, dass er plötzlich in einem unliebsamen Licht steht. Weshalb seine Presseanfragen verstärkt ins Leere laufen. Man könnte meinen, als kritischer Reporter mache Lloyd alles richtig. Doch Chefredakteurin Ellen (Christine Lahti) findet immer seltener Verwendung für ihn. „Du solltest dein Image ändern“, rät sie ihrer mürrischen Edelfeder. Damit es nicht bei diesem Ratschlag bleibt, hat sie gleich einen passenden Rechercheauftrag parat. Für eine Sonderausgabe zum Thema amerikanische Helden soll Lloyd ein Porträt über Fred Rogers (Tom Hanks, Die Verlegerin) verfassen.
„Er ist ein Kindermoderator. Kein Michail Gorbatschow!“
Der rührige TV-Großvater und Moderator der langlebigen Kindersendung Mr. Rogers’ Neighborhood ist die Freundlichkeit in Person. Seine unerschütterliche Nächstenliebe und sein respektvoller Umgang mit Kindern haben Generationen gerührt und geprägt. Ein Vorbild, das sich unmöglich vom Sockel stoßen lässt. Selbst von Lloyd Vogel nicht. Oder etwa doch? „Ich schreibe keine Lobeshymnen“, protestiert der Investigativjournalist. Redaktionsleiterin Ellen duldet keinen Widerspruch. Rogers sei der Einzige auf der Liste, der sich auf ein Interview mit ihm einließe. „400 Wörter. Und sei nett“, komplimentiert sie Lloyd aus dem Büro hinaus.
Dessen Ehefrau Andrea (Susan Kelechi Watson) schließt sich der gutgemeinten Mahnung, es bloß nicht zu vermasseln, an: „Oh Lloyd, bitte zerstöre nicht meine Kindheit.“ Sie weiß: Unvoreingenommenheit gehört nicht zu den Stärken ihres Gatten, der sich jüngst eine handfeste Vater-Sohn-Prügelei auf der Hochzeit seiner Schwester geliefert hat. Mit ramponiertem Gesicht und einer gewaltigen Grundskepsis reist der Journalist nach Pittsburgh, um Mr. Rogers am Rande von Dreharbeiten zu interviewen. Der erweist sich als zuvorkommend, weicht aber den kritischen Fragen des Journalisten aus.
Mr. Rogers kehrt die Interviewsituation einfach um
So erkundigt sich Lloyd nach den Unterschieden zwischen dem Menschen und der Kunstfigur Mr. Rogers. „Ich verstehe die Frage nicht“, entgegnet der Moderator, der das Gespräch immer wieder auf Lloyds Gefühlswelt zu lenken versucht. Schließlich sind die Narben unübersehbar. Dem Journalisten ist die Umkehr der Interviewsituation sichtlich unangenehm. Und doch ist er entgeistert, als das Gespräch ein abruptes Ende findet. Nach nicht mal 20 Minuten – abgesprochen war ein Interview-Slot von einer Stunde – wird Mr. Rogers zurück ans Set berufen, ohne dass Lloyd seinem Gegenüber irgendetwas Erhellendes entlockt hätte.
Der Reporter vermutet einen taktischen Rückzug des TV-Hosts „Er ist der netteste Mensch, dem ich je begegnet bin. […] Ich bin mir nicht sicher, ob er das spielt“, kehrt er mit genährten Zweifeln nach Hause zurück. Was seine bessere Hälfte mit einem „Mein Gott Lloyd! Er ist ein Kindermoderator. Kein Michail Gorbatschow“, quittiert. Noch denkt Lloyd nicht daran, das Wadenbeißen einzustellen …
Ein Biopic, das keines ist und die Kraft der Vergebung
Der wunderbare Mr. Rogers ist ein Biopic, das ganz im Sinne des echten Fred Rogers (1928 – 2003) gewesen wäre. Star des Films ist zwar Tom Hanks, der den Moderator auf würdevolle, ja fast schon beängstigende Art und Weise zum Leben erweckt (dazu passt, dass Hanks und Rogers über einen gemeinsamen Vorfahren aus Deutschland miteinander verwandt sind). Die Show jedoch gehört den Werten, die der Film vermitteln möchte. Verpackt in der Geschichte des Journalisten Lloyd Vogel, der über den wiederholten Austausch mit Mr. Rogers seine eigene Vergangenheit aufarbeitet, ist Der wunderbare Mr. Rogers ein Film über die heilsame Kraft der Vergebung und ein Plädoyer für ein weniger zynisches Miteinander. Freilich kommt dieser Kniff nicht von ungefähr: Der Film beruht auf einem echten Esquire-Artikel aus dem Jahre 1998. In Can you say … Hero? berichtet der Journalist Tom Junod, wie eine Begegnung mit Fred Rogers seine Sicht auf das Leben veränderte.
Junod hatte sich zuvor mit einigen kontroversen Celebrity-Artikeln einen Namen gemacht, so hatte er Kevin Spacey „mehr oder weniger“ als homosexuell geoutet. 1997, zwanzig Jahre bevor der Schauspieler im Zuge von Missbrauchsvorwürfen seine Homosexualität öffentlich bekannt machte, legte der sich mit dem Esquire an und rief zu einem Boykott des Männer-Magazins auf. Mit dem Porträt über Fred Rogers aus der Feder Junods wollte die Redaktionsleitung des Esquire bewusst einen publizistischen Kontrast setzen, allerdings nicht, wie im Film gezeigt, aus Sorge um das Image des Autors. Die Geschichte wurde mit Junod als Autor gegen den Strich besetzt, weil man es intern für eine lustige Idee hielt.
Der wunderbare Mr. Rogers ist auch eine Reise ins Human Interest-Fach
So gesehen ist das Label Biopic ein in doppelter Hinsicht ungeeignet: Weder ist Der wunderbare Mr. Rogers ein Film über das Leben des TV-Lieblings, noch erzählt er die wahre Geschichte des Journalisten Tom Junod. Die konsequente Umbenennung des Journalisten in Lloyd Vogel ist ein untrügliches Indiz: Die gesamte Backstory, Lloyds Lebenssituation als frisch gewordener Papa, die durch das plötzliche Auftauchen seines eigenen Vaters (Chris Cooper) auf die Probe gestellt wird, ist fiktiv. Gleichwohl fußt die gezeigte Beziehung zwischen Journalist und Moderator auf wahren Begebenheiten. Die beiden pflegten von ihrer ersten Begegnung im Jahre 1998 an bis zu Rogers Tod 2003 eine Freundschaft.
Heute ist Junod überzeugt, die Beziehung zu Rogers habe ihn zu einem besseren Autoren gemacht. Auch sein filmisches Pendant, Lloyd Vogel, erfährt ein Erweckungserlebnis. Statt der geforderten 400, sprudeln 10.000 Wörter aus ihm heraus. Es sind die besten Zeilen, die er je zu Papier gebracht hat. Wir als Zuschauer*innen wissen bereits, dass er mit diesen Zeilen mehr als nur die Anerkennung von Familie und Kolleg*innen einheimsen wird: Der wunderbare Mr. Rogers steigt, nach einer Begrüßung durch den Protagonisten (siehe unten), mit einer Preisverleihung ein, bei der Lloyd für einen seiner Artikel ausgezeichnet wird. „Manchmal gelingt es nur mit unseren Worten, die Welt zu verändern“, deutet der Reporter in seiner Dankesrede voraus.
Nun gut, dieses Urteil ist mit Blick aufs journalistische Ergebnis vergleichsweise hochtrabend. Letztendlich haben wir es mit einer Selbsterkenntnis und einer persönlichen Hinwendung zum Human Interest-Fach zu tun. Ob Lloyd am Ende ein besserer Journalist ist, bleibt offen. Aber er ist ein besserer, weil nicht mehr verbitterter Mensch. Das ist auch schon viel wert.
Nostalgische Zeitreise ins Wohlfühl-Amerika vor 9/11
Ohnehin ist Der wunderbare Mr. Rogers mehr Feel-Good-Movie als Journalistenfilm. Eine nostalgische Reise zurück in die Wohlfühl-USA vor dem 11. September – die Zwillingstürme des World Trade Centers grüßen als charmante Retro-Miniaturen –, als das öffentliche Klima weniger vergiftet und gesellschaftliche Gräben noch überwindbar schienen. In einer Szene des Films besteigen Lloyd Vogel und Mr. Rogers eine New Yorker U-Bahn. Einige Schulkinder erkennen den prominenten Fahrgast. Doch keiner von ihnen traut sich, den TV-Märchenonkel anzusprechen. Stattdessen beginnen sie, das Titellied von Mr. Rogers’ Neighborhood zu singen. Wenige Takte später stimmt die ganze Tram in den Chor ein. Jung und alt, arm und reich, Menschen jeder Hautfarbe, sie alle sind für diesen Moment vereint. Durch den Wagon wabert der Schmalzgeruch Hollywoods. Doch ausgerechnet der kitschigste Moment in einem ansonsten gefühlvoll inszenierten Film basiert auf einer wahren Anekdote.
Auch wenn der Ausgang der Geschichte durch und durch vorhersehbar ist: Der wunderbare Mr. Rogers serviert Eskapismus fürs Herz. Ein schöner Streifen für Tage, an denen alles doof scheint. Regisseurin Marielle Heller lässt es gewaltig menscheln, ohne auf die Tränendrücker-Klaviatur zu hämmern. Umso mehr hat sich Der wunderbare Mr. Rogers jedes Tränchen im Auge verdient.
Lesetipp: Can you say … Hero? – Der Original-Artikel vom Tom Junod, Inspiration für Der wunderbare Mr. Rogers.
P.S.: Fans von Printerzeugnissen geht gleich zu Beginn das Herz auf. In der Exposition – die wie der Auftakt einer Episode von Mr. Roger’s Neighborhood aufgebaut ist – begleiten wir mit Mr. Rogers alias Tom Hanks die Entstehung eines Magazins. Ob Redaktion oder Layout, Druck oder Distribution, sämtliche Arbeitsschritte werden liebevoll kommentiert („Ein Magazin steckt voller interessanter Informationen.“ / „Das ist ein wichtiger Beruf.“). Selten wurde Zeitungsproduktion so herzlich zelebriert.
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