Der Moment der Wahrheit erzählt die Geschichte der Journalistin Mary Mapes, die einem blinden Fleck in der Biographie von George W. Bush nachgeht.
Der Moment der Wahrheit erzählt die Geschichte der Journalistin Mary Mapes, die einem blinden Fleck in der Biographie von George W. Bush nachgeht.
Ein Magazin erhebt Vorwürfe gegen den US-Präsidenten. George W. Bush soll sich als junger Mann vor einem Kriegseinsatz in Vietnam gedrückt haben. Ausgerechnet der Mann, der reihenweise Väter und Söhne nach Afghanistan und in den Irak entsendet – der amerikanischen Freiheit wegen. Die Geschichte scheint wasserdicht. Doch Der Moment der Wahrheit wird zum Bumerang: Am Pranger stehen nicht Bush und Konsorten, sondern jene Journalisten, die den Skandal an die Öffentlichkeit zerren.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Sony Pictures Classics.
Hierzulande lief er mit einiger Verspätung an, der zweite große Journalistenfilm des Jahres 2015. Sowohl Spotlight als auch Der Moment der Wahrheit (im Original: Truth) wirbelten in den USA medial mächtig Staub auf, beide Filme wurden gefeiert und kontrovers diskutiert. Doch während Tom McCarthys Reporterdrama über die Enthüllungen eines flächendeckenden Kindesmissbrauchs innerhalb der katholischen Kirche bei der Oscarverleihung 2016 abräumte (bester Film, bestes Originaldrehbuch), ging James Vanderbilts Film leer aus. Trotz Staraufgebotes und Cate Blanchett in der Hauptrolle. Nicht eine läppische Nominierung gab es für Der Moment der Wahrheit.
Das erklärt dann wohl den verzögerten und wenig beachteten Starttermin in Deutschland (2. Juni) – ohne Oscar-Buzz ist ein amerikanisches Thema eben nur schwer zu verkaufen. Dabei hätte der Film einen Teil der Aufmerksamkeit, die Spotlight hierzulande erfuhr, verdient gehabt. Schließlich entpuppt sich Der Moment der Wahrheit als ein wichtiger Beitrag im Genre der Journalistenfilme.
Mehr als die Chronologie einer Recherche
Um den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Filmen direkt herauszustellen: Spotlight besitzt den gesellschaftlich relevanteren, emotionaleren Aufhänger. Das Wohl von Kindern steht über das eines ohnehin umstrittenen Präsidenten, der dank seiner Kungel-Politik eine weitere Angriffsfläche bietet. Inhaltlich betrachtet beschäftigt sich Der Moment der Wahrheit allerdings viel eingehender mit der Materie Journalismus als Spotlight. Er geht über die nüchtern inszenierte Chronologie einer Investigativrecherche hinaus.
Obwohl beide Filme zu Beginn der 2000er Jahre spielen, liegen sie gefühlt weit auseinander. Spotlight wirft einen wehmütigen Blick durch die Nostalgiebrille, um uns daran zu erinnern, wozu der Journalismus in der Lage sein kann; daran was möglich ist, wenn man sich auf die journalistischen Basics zurückbesinnt. Ein richtiges und wichtiges, aber auch anachronistisch anmutendes Plädoyer: Spotlight präsentiert uns schließlich die Luxus-Variante des investigativen Journalismus. Der Film zeigt uns Journalisten, die in ihrer ganz eigenen Sphäre leben und arbeiten, nahezu unbehelligt von Sparzwängen, Recherchedruck und öffentlicher Meinung.
Zurück auf den Boden der Tatsachen
Der Moment der Wahrheit holt diese Journalisten auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Journalismus ist kein neutraler Beobachter, der sich von äußeren Einflüssen freimachen kann. Er ist Teil eines Systems, in dem heftiges Gerangel um die Deutungshoheit herrscht. Politik und Wirtschaft, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit – sie alle nehmen den Journalismus in den Schwitzkasten.
Dabei läuft Der Moment der Wahrheit wie ein typischer Journalistenfilm an. James Vanderbilt erzählt die auf echten Begebenheiten beruhende Geschichte der Journalistin Mary Mapes (Cate Blanchett), die im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl 2004 einen Beitrag für das berühmte CBS-Nachrichtenmagazin 60 Minutes produziert: Amtsinhaber George W. Bush und Herausforderer John Kerry liefern sich in den Umfragen ein enges Rennen. Es geht mit harten Bandagen zu. In diesem Personenwahlkampf werden Biographien von der jeweiligen Gegenseite bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet – in der Hoffnung, einen Fehltritt auszubuddeln, der den konkurrierenden Kandidaten entscheidend ins Straucheln bringt.
Bush vs. Kerry wird zu Bush vs. Mapes
Während Bush seine aggressive Politik als alternativlos predigt (wir wissen ja: der Irak schickt sich an, die Welt mit Atombomben einzudecken), inszeniert sich der spätere Außenminister im Kabinett Barrack Obamas als Kriegsgegner. Seine Wandlung vom hoch dekorierten Militärmann zum Friedensaktivisten, der noch während des Vietnamkrieges auf amerikanische Gräueltaten in Südostasien aufmerksam macht, ist einerseits PR-Gold. Andererseits liefert sie den konservativen Kräften Munition für eine Schmutzkampagne, die Züge einer amerikanischen Dolchstoßlegende annimmt: Kerry sei der Vater einer Lüge, die alle Vietnamveteranen als mordende, vergewaltigende und brandschatzende Amokläufer verunglimpft (Lesetipp an dieser Stelle: in diesem Beitrag versuche ich, die Rolle der Medien im Vietnamkrieg einzuordnen).
Angewidert von der konservativen Hetze, beginnt Mary Mapes damit, die Biographie von George Bush zu hinterfragen. Der Präsident war damals um einen Einsatz in Vietnam herumgekommen, weil er sich 1968 der Nationalgarde und damit der inneren Sicherheit verpflichtet hatte. So weit, so bekannt: Bush war nicht der einzige wohlhabende junge Mann, der von dieser Option Gebrauch machte. Nun aber tauchen Dokumente auf, die belegen sollen, dass George Bush unerlaubt seinem Dienst bei der Nationalgarde fernblieb. Damit würde der Kriegspräsident zum doppelten Drückeberger – Mary Mapes sieht die Gelegenheit, ein Gegengewicht zur diffamierenden Anti-Kerry-Kampagne zu schaffen.
Nicht ohne meinen Berufspathos…
Zusammen mit ihrem Team macht sie an die Arbeit. Ganz genretypisch sehen wir einer Gruppe von Journalisten dabei zu, wie sie Klinken putzen, Dokumente wälzen, Querverbindungen ziehen und Quellen doppelt prüfen. Angeführt vom legendären 60 Minutes-Moderator Dan Rather, der seine Kollegen mit väterlich-journalistischen Ratschlägen eindeckt. „Wenn man keine Fragen mehr stellt, wird das Volk zum Verlierer“, gibt Rather dem Nachwuchsreporter Mike Smith (Topher Grace) als Weisheit mit auf den Weg. Das ist der Pathos, aus dem Journalistenpornos geschnitzt sind. Da passt es gut ins Bild, dass Rather von Robert Redford gespielt wird. Von jenem Mann, der einst den Watergate-Enthüller Bob Woodward porträtierte, und zwar in jenem Film, an dem sich jeder Beitrag des Journalistenkinos messen lassen muss: Die Unbestechlichen.
In der ersten Hälfte wirkt Der Moment der Wahrheit noch wie eine Ehrerbietung an diesen übergroßen Klassiker. Vanderbilts Film lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Journalismus eine wichtige Säule einer demokratischen Gesellschaft darstellt – wenn er denn so funktioniert, wie wir es uns alle wünschen. Ohne Frage, es trieft ganz schön in der Der Moment der Wahrheit. Die Botschaft quillt aus allen Poren des Drehbuchs: Ehrlicher Journalismus lebt von Mut und Idealismus.
Bilderbuchjournalistin Mary Mapes
Die von Cate Blanchett gespielte Mary Mapes trägt beides im Herzen. Das macht sie zu einer Bilderbuchjournalistin. Jegliches Unrecht ist ihr zuwider: „Menschen, die ihre Macht missbrauchen – diesen Typus kann ich nicht leiden“, macht Mapes in ihrem ersten Gespräch unmissverständlich deutlich. Diese Frau ist meinungsstark. Oder wie man im Macho-Jargon zu pflegen sagt: Mary Mapes hat „ordentlich Haare auf den Zähnen“. Auch das ist Der Moment der Wahrheit: Die Geschichte einer Journalistin, die sich in einer von Männern dominierten Arbeitswelt durchzusetzen weiß.
Die Herren der Schöpfung rutschen unruhig auf ihren Stühlen herum. Ihre Gegenspieler im Film scheinen andere Verhaltensweisen vom weiblichen Geschlecht gewohnt. Sie werfen Mapes vor, sie sei „ultrafeministisch“. Natürlich ist das Quatsch. Ihr Antrieb ist nicht die Konfrontation mit dem Patriarchat, sondern die Wahrheit – dass es die Männer auf diesen Kampf ankommen lassen wollen, das ist deren Bier. Besonders deutlich wird dies in dem schwelenden Konflikt mit ihrem Vater. Dieser mag zwar ein psychologischer Trigger sein, in dem einer der Gründe für die kampfstarke Persönlichkeit der Protagonistin zu finden ist; die richtigen Fragen hat sie allerdings schon immer gestellt. Nicht weil, sondern obwohl Mary Mapes von ihrem Vater verprügelt wurde, wurde sie zur Journalistin. Sie stolpert nicht über die Fallen, die ihr die Männer stellen. Sie lässt sich weder in die Rolle des Opfers noch in die Rolle der ideologischen Feministin hineindrängen.
Journalisten im Rechtfertigungsmodus
Was nicht heißt, dass Mary Mapes unverwundbar oder unfehlbar wäre. Der nicht erwiderte Respekt ihres Vaters nagt an ihr und auch die Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sieht, erschüttern ihren Glauben. Und schließlich ist da der Turning Point in der Geschichte: Wo andere Journalistenfilme den Abspann abfahren, kommt Der Moment der Wahrheit erst richtig ins Rollen. Der CBS-Beitrag ist ausgestrahlt, da platzt im Internet die erste Bombe. Blogger bezweifeln die Echtheit des zentralen Dokumentes, auf dem die Recherchen beruhen. Der Redaktion gelingt es nicht, diese Zweifel zu entkräften. Im Gegenteil: Das Papier liegt nicht im Original vor. Die gesamte Indizienkette bricht auseinander. Gutachter knicken ein, Zeugen ziehen ihre Aussagen zurück. Waren die Spotlight-Rechercheure nach ihrer Veröffentlichung gefeierte Printhelden, stehen Mary Mapes und ihr Team nun in der Schusslinie.
Dass Journalisten den öffentlichen Druck zu spüren bekommen, erscheint uns mittlerweile normal, Medien- und Journalistenschelte zu betreiben ist ja geradezu en vogue. Für Journalisten und Journalistinnen wie Mary Mapes ist das zu Beginn der 2000er Jahre eine neue Extremerfahrung. Die Trennlinie zwischen Produzenten und Rezipienten verschwimmt immer mehr und mehr. Die, die sich lange als Gate-Keeper von Informationen verstanden, sehen sich nun mit dem Wissen einer Schwarmintelligenz konfrontiert. Allmählich wird ihnen bewusst, dass es immer jemanden geben wird, der mehr weiß als der Journalist selbst. Journalistische Arbeit wird transparent – und damit angreifbar. Das Ego bekommt plötzlich Dellen. Auch deshalb versuchen die 60 Minutes-Redakteure in den ersten Stunden, Blogger als „Wichtigtuer“ abzutun. Wer arbeitet schon gerne im Rechtfertigungsmodus?
Fragen stellen dürfen auch die anderen
Tatsächlich stehen Mary Mapes und ihre Kollegen in der Bringschuld. Angesichts der Faktenlage müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, sie hätten den Fall nicht sauber zu Ende recherchiert. Daran schließt sich eine ganze Reihe von Fragen an: Haben sich die Journalisten von einer persönlichen Antipathie George Bush gegenüber leiten lassen? Besitzt die Geschichte überhaupt genügend Relevanz, um sie zu einem Skandal aufzubauschen? Bush mag zwar der umstrittene Präsident der Vereinigten Staaten sein. Zum fraglichen Zeitpunkt war dieser gerade mal Anfang zwanzig. Kann man es einem jungen Mann verübeln, dass er keine Lust auf einen Krieg auf der anderen Seite der Welt verspürt? Wie sagte Dan Rather nochmal? „Wenn man keine Fragen mehr stellt, wird das Volk zum Verlierer.“ Das Recht auf Fragen ist kein journalistisches Exklusivrecht. Damit müssen Medienschaffende im digitalen Zeitalter leben.
Womit sie nicht leben müssen, sind die zunehmenden Anfeindungen. Man denke etwa an die ZDF-Reporterin Dunja Hayali, die mit Hasskommentaren überhäuft wird und während der Verleihung der Goldenen Kamera 2016 einen bewegenden Einblick in ihr Seelenleben zuließ. Im Film wird Mary Mapes zur Zielscheibe von rechten und frauenfeindlichen Hetzern. Das sind die Schattenseiten einer vermeintlich aufgeklärten Mediengesellschaft. Meinungen werden ungefiltert in den Äther der Sozialen Medien geblasen, und wenn die Sachebene nicht mehr ausreicht, geht es eben unter die Gürtelinie. Das Fatale an der Sache: Wenn die Gemüter erst einmal erhitzt sind, weiß niemand mehr, worum es eigentlich geht. Es kommt nur noch darauf an, wer die meisten Krakeeler auf seine Seite zieht.
Der Moment der Wahrheit: Ein Machtfilm
Andreas Kilb von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung trifft es genau, wenn er schreibt: „Der Moment der Wahrheit ist trotz seines Titels kein Film über Wahrheit. Es ist ein Film über Macht.“ Die aufgeheizte Stimmung macht es den Mächtigen leicht, Mary Mapes ins Kreuzverhör zu nehmen. In tribunalartigen Anhörungen muss sich die Journalistin rechtfertigen. Weniger für ihre Recherche, sondern für ihre vermeintlich anti-amerikanische Gesinnung. Dazu muss man wissen, dass Mapes und Rather die Regierung wenige Monate zuvor mit ihren Berichten zum Folterskandal Abu Ghuraib in Bedrängnis gebracht hatten. Jetzt ist die Gelegenheit günstig, zwei scharfe Kritiker mundtot zu machen.
Der Zuschauer ahnt: Diesen Kampf können die Journalisten nicht mehr gewinnen. Mary Mapes wird nie mehr fürs Fernsehen arbeiten, der verdiente Anchorman Rather wird in den unrühmlichen Ruhestand gedrängt. Bis heute ist nicht geklärt, ob Dokumente gefälscht und Zeugen eingeschüchtert wurden. Der Film legt diese Sichtweise nahe, schließlich basiert er dem Buch Truth and Duty: The Press, the President, and the Privilege of Power, das die echte Mapes im Jahr 2005 veröffentlichte. Die faktische Wahrheit bleibt im Verborgenen. Der titelgebende Moment der Wahrheit kommt an anderer Stelle zum Vorschein – in der Haltung der Mary Mapes.
Kein Film für eine (Oscar-)Party
Von der Öffentlichkeit angefeindet, ihren Vorgesetzten fallen gelassen und den Obrigkeiten schikaniert, lässt sie sich eines nicht nehmen: ihre journalistische Ehre. Das macht Mary Mapes zumindest zur moralischen Siegerin. Da ist er wieder, der Pathos. Und dennoch: Mit diesem Schlussakkord liegt Der Moment der Wahrheit näher an Insider (der ebenfalls eine 60 Minutes-Affäre behandelt) als an Spotlight oder Die Unbestechlichen – und damit näher an einer Ist-Beschreibung des Journalismus: Von vielen für wichtig befunden, von wenigen geliebt, oft zu Recht kritisiert, aber genauso oft unfair angegangen, stimmungstechnisch zwischen Resignation und Trotz gefangen. Verglichen mit Spotlight kommt Der Moment der Wahrheit wie ein fieser Party-Crasher daher.
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Der Moment der Wahrheit ist ein starker Beitrag, der hierzulande leider etwas untergegangen ist. Wer sich für die Geschichte von Mary Mapes interessiert – mit einem Klick aufs Bild kommt Ihr zu einer Bezugsquelle (Amazon).
COMMENTS
Nur eine Richtigstellung: Die Nationalgarde wurde schon lange vor Präsident Bush Jr. in Auslandseinsätze geschickt, u.a. auch in den beiden Weltkriegen. Auch im Vietnam-Krieg war ein kleiner Teil der Nationalgarde im Auslandseinsatz, aber da für den Vietnam-Krieg die Wehrpflicht eingeführt wurde, war der Einsatz der Nationalgarde nicht flächendeckend notwendig.
Danke für den Hinweis. Das stimmt, die Nationalgarde wurde schon vorher eingesetzt. Unter Bush jr. wurden die Auslandseinsätze allerdings forciert – im Zuge des Anti-Terror-Kampfes. Habe die Textstelle angepasst.
Vielen Dank für diese super Rezension. Hatte den Film gerade auf ARD Mediathek (!) angesehen, finde ihn großartig. Erschütternd wie das damals wohl abgelaufen ist. Wer Macht hat, gewinnt.
Lieben Dank für die Blumen. Hab gestern gesehen, dass der Film derzeit dort abrufbar ist – und habe da auch mal wieder Lust drauf. Wohl wissend, dass das Klima für eine solche Geschichte in den USA nicht unbedingt besser geworden ist …