50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Rechtsruck geht durch Deutschland, wie der israelische Journalist Yaron Svoray feststellt.
50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein Rechtsruck geht durch Deutschland, wie der israelische Journalist Yaron Svoray feststellt.
Svoray soll über die immer offener ausgelebte Ausländerfeindlichkeit berichten. Nach einem Neonazi-Angriff auf ein türkisches Café findet er sich in Polizeigewahrsam wieder – es gelingt ihm, das Vertrauen der mit inhaftierten Skinheads zu erwecken. Der Reporter driftet fortan immer tiefer in die Szene ab. Der Infiltrator fußt auf den Undercover-Recherchen, die der echte Svoray 1994 unter dem Titel In Hitler’s Shadow: An Isreali’s journey inside Germany’s neo nazi movement veröffentlichte.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Voulez Vous Film (Intergroove)
Die Welt gerät aus den Fugen. In Deutschland mehren sich die fremdenfeindlichen Attacken auf Türken und andere ausländische Volksgruppen. In den Vereinigten Staaten lodern die Kreuze des Ku Klux Klans wieder lichterloh. Im Vereinigten Königreich nehmen die Anhänger der rechtsextremen British National Party die Straßen in Beschlag. Frankreich hat Jean-Marie Le Pen, Südafrika die Apartheid. Willkommen in den 1990er-Jahren.
Das ist der wenig erbauende Lagebericht, mit dem uns Der Infiltrator empfängt. Sicher, bei dem Film handelt es sich um eine „Dramatisierung von realen Begebenheiten“, wie der Disclaimer voranschickt. Man könnte in den ersten Minuten allerdings auch leicht den Eindruck gewinnen, die 1930er-Jahre seien in Deutschland zurück. Nachdem der hiobsbotschaftliche Nachrichtenticker abgefahren ist, geht es gleich im Stechschritt weiter: Eine Gruppe von Neonazis macht eine deutsche Großstadt unsicher. Die Glatzen steigen auf Autos, überfallen Döner-Buden, urinieren auf ausländische Mitbürger. Deutschland den Deutschen, das ganze Programm. Untermalt von reißerischer Musik, die Guido Knopp vor Neid erblassen ließe.
Satanisten kicken nicht. Skinheads umso mehr.
Derweil in den USA: Der israelisch-stämmige Journalist Yaron lümmelt in seinem Appartement herum. Jobtechnisch geht gerade nicht so viel. Verzweifelt versucht Yaron seine Geschichte über Teufelsanbetungen an amerikanischen Elite-Universitäten unterzubringen. Doch Satanisten kicken nicht. Skinheads umso mehr. Ein Auftraggeber meldet sich per Telefon. Yaron kenne sich doch in Deutschland aus? „Meine ganze Familie kommt daher“, betreibt der Journalist Eigenwerbung. Ja, das mit den Skinhead-Idioten habe er mitbekommen. Eine Riesenschweinerei. Ob er aufgrund seines jüdischen Glaubens Bedenken hätte, für eine Reportage in das Land seiner Vorfahren zu reisen? „Kein Problem. Wenn jemand mit einer Hakenkreuz-Flagge wedelt, werde ich meinen Schwanz schon verstecken.“
Vom Verstecken hält Yaron allerdings wenig. Nach seiner Ankunft in Deutschland teilt der Adventure-Seeker (leicht schmierig: Oliver Platt) gleich mal aus. Als die rechte Front ein türkisches Lokal stürmt, mischt der Reporter in der anschließenden Schlägerei munter mit. Die Lage ist unübersichtlich, Yaron wird verhaftet und gemeinsam mit den verirrten Krawallos in den Laderaum eines Polizeitransporters verfrachtet. Die halten Yaron überraschend für einen der ihren. Erstaunt darüber, dass die deutsche Polizei den tobenden Mob ohne erkennungsdienstliche Behandlung wieder entlässt, fasst der Reporter den Entschluss, sich in die Szene einzuschleichen.
Yaron Svoray ist der Infiltrator
Die HBO-Produktion Der Infiltrator basiert auf den Recherchen des „echten“ Yaron Svoray. Svoray, geboren in Israel, schlug nach seinem Dienst als Fallschirmspringer bei den israelischen Streitkräften eine Laufbahn als Polizeiermittler ein, bevor er später ins Medienfach wechselte. Nach einem medien- und kommunikationswissenschaftlichen Studium fasste er in den Vereinigten Staaten Fuß als Lektor und Journalist. Heute ist Yaron Svoray vor allem als Nazi- und Schatzjäger bekannt – ein Image, das der Reporter mit aufsehenerregenden Recherchen zu pflegen weiß.
2007 etwa ging Svoray dem Verbleib jüdischer Habseligkeiten nach, die Plünderer während der Reichskristallnacht 1936 raubten – und stieß dabei auf eine mehrere Hektar große Abladestelle in einem Brandenburger Wald. 2013 kehrte er nach Ostdeutschland zurück, um das „Nazigold vom Stolpsee“ zu bergen. Ein SS-Kommando soll hier kurz vor dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches mehrere Kisten voll mit Gold und Platin durch Insassen des KZs Ravensbrück versenkt haben. Die sechsjährige Vorbereitungszeit und die intensive Suche vor Ort brachten der Expedition reichlich Publicity ein. Allein, der Schatz blieb verborgen.
Deckung vom Simon Wiesenthal Center
Svorays Ruf als Nazijäger begründet hat jene Recherchereise nach Deutschland Anfang der 90er-Jahre, von der auch Der Infiltrator erzählt. Aufhänger für diese Reise war allerdings nicht, wie der Film suggeriert, eine Reportage über die Auswüchse der Neonazi-Szene, sondern die Suche nach verschollenen jüdischen Diamanten, über die er Kontakte in die rechte Szene knüpfte. Gedeckt vom Simon Wiesenthal Center – in Der Infiltrator zieht sich die auftraggebende Redaktion aus Angst vor der eigenen Courage aus der Recherche zurück – gab sich Svoray als australischer Gönner aus und verschaffte sich so Zugang zum organisiertem Rechtsextremismus.
Im Film stößt der von Oliver Platt gespielte Yaron auf eine Organisation namens „Der rechte Weg“. Schnell wird deutlich, dass die eigentliche Gefahr von Demagogen im Hintergrund ausgeht. Die Schlägertrupps auf den Straßen sind das Symptom einer Ideologie, die Deutschland als „niedergeknüppelten Riesen“ wahrnimmt, gesät durch die propagandistischen Reden und Schriften der intellektuellen Rechten. Unter seinem Alias Ron Furey – und dem Vorwand, er repräsentiere einen potenten Unterstützer aus Übersee – macht Yaron Bekanntschaft mit führenden Neonazis, die die arische Idee mithilfe des Internets in die Welt hinaustragen wollen. Dem ansonsten so kontrollierten Strippenzieher Bielert (gespielt von Julian Glover, bekannt als Walter Donovan aus Indiana Jones und der letzte Kreuz und Großmeister Pycelle in Game of Thrones) wird ob der unbegrenzten Möglichkeiten der Digitalisierung ganz kribbelig: „Email – das ist die Zukunft! So erreichen wir Menschen, die niemals ein Buch lesen.“
In Post-NSU-Zeiten beinahe prophetisch…
Der Infiltrator wandelt auf dem schmalen Grat der Glaubwürdigkeit. Dass faschistoides Gedankengut in Deutschland nie aus der Mode gekommen ist, steht natürlich außer Frage. In Post-NSU-Zeiten, in denen wir zusehen können, welche Ernten der Rechtspopulismus einfährt, wirkt der Film beinahe schon prophetisch. In der Struktur, in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, ist der dargestellte Rechtsextremismus glaubhaft. Doch die effekthascherische Tonalität und die Verdichtung der Ereignisse unterlaufen den Eindruck einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema. Von einem Film, der eine solche Wehret den Anfängen!-Botschaft transportiert, erwartet man eine gewisse Gravitas, damit man ihn ernst nehmen kann. Der Infiltrator schafft es nie, sich von dem Verdacht der Sensationsgeilheit freizusprechen.
Besonders schwer wiegt in dieser Hinsicht eine Episode aus dem ersten Drittel des Films: Bevor Yaron in die „kultivierten“ Kreise der Szene aufsteigt, wird er zu einem Kinoabend eingeladen (mit einem lüsternen Sven „Der Clown“ Martinek als Filmvorführer). Plötzlich findet sich der Undercover-Reporter inmitten von masturbierenden Nazis wieder: Auf der Leinwand flimmert ein Snuff-Streifen, in dem ein Mädchen vergewaltigt und anschließend ermordet wird. Diese Szene ist keine reine Erfindung des Films, sondern findet – wie das allermeiste – seine Entsprechung in der Buchvorlage, die Svoray 1994 mit seinem Co-Autoren Nick Taylor unter dem Titel In Hitler’s Shadow: An Isreali’s journey inside Germany’s neo nazi movement (deutsch: In der Höhle des Löwen) veröffentlichte.
…wäre Der Infiltrator nicht so offensichtlich auf Sensationen aus.
Schon im Kontext des Buches zweifelten Experten die „Echtheit“ dieses Erlebnisses an. Seinerzeit gab es keine überzeugende Belege dafür, dass der Snuff-Film als kommerzielles Genre existiert. Dass Svoray ausgerechnet im Nazi-Milieu auf einen solchen Film gestoßen sein wollte, erschien „zu schön, um wahr zu sein“. Angestachelt von der Kritik machte sich Svoray auf, um das Phänomen Snuff zu ergründen. Sein „Enthüllungsbuch“ Gods of Death (1997) geriet zum Ermittlungsthriller mit morbidem Unterhaltungswert. Echte Beweise blieb Svoray allerdings schuldig. Bis heute gilt der „echte“ Snuff-Film als moderne Legende.
Unabhängig vom zweifelhaften Wahrheitsgehalt dieser Szene: Im Film kommt diese Entgleisung wie die perverse Tollkirsche auf einem verdorbenen, degenerierten Kuchen daher. Auch ohne dieses Topping wäre der Film schwer zu verdauen. So bleibt der Generalverdacht, Der Infiltrator nutze dieses wichtige und ernste Thema aus, um einen möglichst fetzigen, schockierenden und voyeuristischen Film zu erzählen. Ein Verdacht, der auf Svorays komplettes Schaffen abfärbt. Man darf zweifellos annehmen, dass Svoray seine Zielgruppe zu bedienen weiß. Sex, Gewalt und Nazis, diese Themen üben für sich eine Faszination aus. Svoray bietet den Dreiklang.
Betroffenheit statt Aufklärung
Aufmerksamkeit zu fördern, Wahrheiten in Sensationen zu verpacken, auf kalkulierbare (An-)Beißreflexe zu setzen – all das ist bis zu einem speziellen Grad nicht verwerflich, sondern ökonomisch. Der Infiltrator – in Deutschland unter dem entlarvenden DVD-Titel Skinhead Attacke erschienen – übertritt die Schwelle zur Exploitation, indem er uns Zuschauer durch ein Kabinett der Ungeheuerlichkeiten scheucht und die investigative Recherche des Protagonisten als eine Art jüdisches Schelmenstück inszeniert. An einer ernsthaften Aufarbeitung der Verhältnisse ist der Film zu keinem Zeitpunkt interessiert. Dass Svorays Recherchen nicht nur ein Sensationsbedürfnis stillten, sondern die Festnahme des Kriegsverbrechers Erich Priebke (siehe das Massaker in den Adreatinischen Höhlen) ebneten, verschweigt der Film. Stattdessen fährt Der Infiltrator zum Ende hin betroffen ein paar Texttafeln ab. Die Welt gerät aus den Fugen. Kennt man ja.
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