In City of Lies schließen sich ein Ex-Detective und ein Reporter zusammen, um den Mord an The Notorious B.I.G. aufzuklären.
In City of Lies schließen sich ein Ex-Detective und ein Reporter zusammen, um den Mord an The Notorious B.I.G. aufzuklären.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Koch Media.
Man kann Darius Jackson (Forest Whitaker, Der letzte König von Schottland) vieles unterstellen, mangelnde Einsicht gehört nicht dazu. „Ich bin ein Schmierfink, der vergessen hat, was das Richtige ist“, weiß der US-Reporter von sich zu berichten. Zu seinen thematischen Steckenpferden gehört die legendäre Fehde zwischen Ost- und Westküsten-Rappern Mitte der 1990er-Jahre, die mit den tödlichen Schüssen auf Tupac Shakur und The Notorious B.I.G ihren traurigen Höhepunkt fand. Allerdings hängt dem Investigativjournalisten der Los Angeles Times ein publizistischer Schnellschuss nach, der bis heute Zweifel an der Integrität seiner Arbeit aufkommen lässt.
Stattdessen scheint Jacksons Typ dann gefragt, wenn es mit wilden East Coast vs. West Coast-Spekulationen Klicks und Kasse zu machen gilt. Auch 20 Jahre nach der Ermordung von Christopher Wallace, wie The Notorious B.I.G mit bürgerlichem Namen hieß, verlangt der Redaktionsplan immer neuen Content zum Mordfall. Weswegen Jackson nun vor der Tür des inzwischen pensionierten Ermittlers Russell Poole (Johnny Depp, Fear and Loathing in Las Vegas, The Rum Diary) herumlungert.
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Die erweist sich praktischerweise als offen, und so darf der Reporter gleich seine Fähigkeiten als Informantenflüsterer unter Beweis stellen. „Ich bin Journalist“, merkt Jackson entschuldigend an. Als sei das zwanghafte Eindringen durch nicht explizit verriegelte Einlässe Symptom einer schicksalshaften Berufskrankheit. „Natürlich sind Sie Journalist“, ist demnach die einzig zulässige Antwort, die Jackson erwarten darf. Mehr aber nicht. Denn der Fall Wallace ist der dunkle Fleck auf Pooles einst strahlender Karriere-Weste. Unter ehemaligen Kollegen gilt er als gefallener Vorzeige-Polizist, der sich erst in den vielen losen Enden der Ermittlungen verhedderte und später mit kruden Verschwörungstheorien zu befreien versuchte. Entsprechend hält sich seine Auskunftsfreude in Grenzen.
Nicht, dass Poole mit allem abgeschlossen hätte. Da in ihm die Resthoffnung glimmt, den Fall zu lösen und seinen guten Ruf wieder herzustellen, liegt es jedoch nicht in seinem Interesse, einen sensationshungrigen Aasgeier wie Jackson zu füttern. Der spielt sein gesamtes Repertoire aus, um Poole zum Auspacken zu bewegen. Er versucht es mit monetären Reizen („Ich bezahle Sie auch!“), schließlich mit Allgemeinplätzen, die seine journalistische Aufrichtigkeit unterstreichen sollen („Emotionen sind der Feind der Fakten. Fakten sind unvoreingenommen.“). Wir merken: Eigentlich weiß der Reporter, worauf es ankommt.
Verschwörungstheorie oder Realität: Ist das LAPD in den Mord verstrickt?
Noch allerdings erliegt Jackson der Verlockung des schnellen Ruhms. Ein Name würde ausreichen. Damit schriebe sich der Artikel von alleine. Der Ex-Detective erkennt, dass er seine Ruhe nur im Austausch gegen Informationen erhalten wird. Also liefert er: Der Mörder von Christopher Wallace sei ein gewisser Stanley Kirk Burrell, da gäbe es keinen Zweifel. Daraufhin kreuzt Jackson mit Pulitzer Preisen in den Augen in der Redaktion auf, wo ihn die Kollegen flugs auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Alles, was es dazu braucht, ist eine kurze Google-Suche – weswegen ich auch den Gag, sollte Euch der Name nichts sagen, unaufgelöst lasse.
Wichtig an dieser Stelle: Jackson wird sich dessen gewahr, dass Einsicht nicht alles ist. Grundvoraussetzung dafür, dass Journalist und Kriminaler fortan gemeinsam an der Lösung des Falls tüfteln. Wobei sich der Reporter mit der Rolle des Zuarbeiters zufrieden geben muss. Denn im Wesentlichen steht Pooles Theorie bereits. Hauptverdächtiger ist demnach Suge Knight, Gründer des West Coasts-Labels Death Row Records. Er soll Christopher Wallace nach dem Besuch einer After-Show-Party in L.A. umbringen lassen haben. Den Anschlag habe er mithilfe eines Personenkreises mit Verbindungen zum Los Angeles Police Departement (LAPD) geplant. Verbindungen, die Poole nicht habe aufdecken dürfen, weil Stadt und Behörden sozialen Sprengstoff fürchteten. In den 1990er-Jahren war die Stimmung auf den Straßen von Los Angeles extrem aufgeheizt. Die Stadt galt als Gang-Hochburg der USA. Außerdem war es nach der Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King durch Polizisten des LAPD 1992 schon einmal zu mehrtägigen Unruhen gekommen.
City of Lies entführt uns in das LAbyrinth von Randall Sullivan
Das ist der Stoff, aus dem City of Lies gemacht ist. Anhand von Rückblenden rekonstruiert der Film die Verdachtsmomente und zeichnet dabei ein Sittengemälde einer gärenden Metropole. Jacksons dramaturgischer Arbeitsauftrag besteht darin, sich die ganze Geschichte von Poole erzählen zu lassen. Das Drehbuch spendiert ihm zwar ein, zwei journalistische Heldenmomente. Diese erfüllen jedoch primär kathartische Funktionen, indem sie auf Jacksons zurückerlangte Reporterehre einzahlen.
Womöglich erklärt sich Jacksons Chronistenpflicht aus dem Quellmaterial heraus, das City of Lies zugrunde liegt. Das Ganze basiert auf einem 2002 erschienen Tatsachenroman mit dem bandwurmartigen Titel: LAbyrinth: A Detective Investigates the Murders of Tupac Shakur and Notorious B.I.G., the Implication of Death Row Records’ Suge Knight, and the Origins of the Los Angeles Police Scandal. Autor ist der Journalist Randall Sullivan, der im Film von der stark fiktionalisierten Figur des Darius Jackson vertreten wird.
Ein Theoriegebäude, zu perfekt konstruiert, um wahr zu sein?
Sullivans Buch stützt sich in weiten Teilen auf Interviews mit dem echten Russell Poole, der dem Autor Zugang zu unter Verschluss gehaltenen Dokumenten ermöglichte. Poole galt in seiner aktiven Zeit als ein aufrichtiger und unnachgiebiger Ermittler, der Ende der 1990er-Jahre einen schweren Fall von Korruption innerhalb der eigenen Behörde mit aufdeckte. Der sogenannte Rampart-Skandal gilt wiederum als Beleg für die Plausibilität von Pooles Theorie im Fall Christopher Wallace. Kritiker halten dem 2015 verstorbenen Fahnder hingegen vor, dass sein über die Jahre immer dichter gesponnenes Netz aus Indizien und Querverbindungen zu konstruiert sei, um wahr zu sein. Bis heute gelten die Kernpunkte seiner Theorie weder als bestätigt noch als widerlegt.
Bis heute ist ungeklärt, wer Christopher The Notorious B.I.G. Wallace umbrachte. Es gibt eine Vielzahl von Theorien, von denen sich City of Lies eine besonders verführerische herauspickt. In dieser Hinsicht ähnelt der Film David Finchers Zodiac. Auch Zodiac schießt sich auf einen „populären“ Tatverdächtigen ein und suggeriert so eine Deutungshoheit, die sich am Ende in einem Nebel aus „Nichts Genaueres weiß man nicht“ und „Aber so ähnlich wird es wohl gewesen sein“ verliert.
Parallelen und Unterschiede zu David Finchers Zodiac
Allerdings nutzt Fincher die vermeintliche Gewissheit um den Hauptverdächtigen, um eine andere Geschichte zu erzählen: Nämlich wie die ermittelnden Journalisten und Kriminologen an dem Fall verzweifeln, obwohl die Lösung wie eine einladend-reife Frucht über ihren Köpfen zu hängen scheint*. Zodiac ist ein Film über Obsessionen. Darüber hinaus spielen die Wechselwirkungen zwischen Medien und Öffentlichkeit eine wichtige Rolle.
* Weswegen Thomas von SchönerDenken den ungelösten Fall des Zodiac-Killers als Triumph des Rechtssystems bezeichnet. Wieso das, erklärt er in unserer epischen Podcast-Episode zu David Finchers Meisterwerk.
Diese Ebene geht City of Lies völlig ab: Trotz seines Abstechers in redaktionelle Gefilde bleibt Darius Jackson ein Einzelvertreter seiner Zunft, und wenn wir von der brisanten Gemengelage im Los Angeles der 1990er-Jahren erfahren, passiert das meist auf der deskriptiven Ebene. Obwohl City of Lies viele Themen adressiert, bleiben die Rückblenden immer nah am Kriminalfall. Forest Whitaker und Johnny Depp sind bemüht, ihren Figuren Tiefe zu verleihen, leider ist der Film nur bedingt an ihrem Innenleben interessiert. Anders als Zodiac geht es City of Lies vor allem darum, einer Theorie zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen. Kann man machen (und auch gucken). Ist dann aber auch reichlich eindimensional.
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City of Lies stellt viele Fragen, arbeitet sich aber vor allem an der Indizienkette des Quellmaterials ab. Zu eng in der Perspektive, reicht es am Ende für solide Krimi-Unterhaltung in einem spannenden Themenumfeld. Solltest Du Interesse haben, den Film zu kaufen: Über den folgenden Link gelangst Du zu Amazon. Du zahlst keine Penunze mehr. Für jeden verifizierten Verkauf erhalte ich jedoch eine kleine Provision, die mir hilft, Betrieb und Filmprogramm von journalistenfilme.de zu sichern.
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