DIe US-Justiz wird zur Show-Unterhaltung. Klingt spannend? Denkste. Citizen Verdict ist eine der birnigsten Mediensatiren aller Zeiten.
DIe US-Justiz wird zur Show-Unterhaltung. Klingt spannend? Denkste. Citizen Verdict ist eine der birnigsten Mediensatiren aller Zeiten.
Ob Doku-Fiction à la Barbara Salesch oder echte Prozesse, live in die Wohnzimmer übertragen – in den 1990er- und 2000er-Jahren war Gerichts-TV ein Quotenbringer. Häufig unter dem Vorwand moralischer Wertevermittlung inszeniert, zielte das Genre nicht selten auf die Befriedigung voyeuristischer Bedürfnisse ab. Der Fernsehfilm Citizen Verdict treibt dieses Motiv auf die Spitze: Was wäre, wenn die Rechtsprechung den Spielregeln interaktiver Samstagabend-Unterhaltung unterläge?
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: E-M-S.
Wenn ein Film mit dem wehenden star bangled banner beginnt, begleitet von einem Kinderchor, der Teile der US-Verfassung aus dem Off krakeelt, dann ist klar: Hier und heute geht es um die glorreichen Werte der famosesten Nation auf unserem Erdball. In Citizen Verdict wird das amerikanische Justizsystem unter dem Deckmantel der Basisdemokratie ins Fernsehen verschleppt. Zur besten Sendezeit werden Mordfälle nicht nur live verhandelt. Per Tele- und Online-Voting entscheiden Millionen von Zuschauern, ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig ist. Mehr Jury geht nicht. „Wir bringen Gerechtigkeit wahrhaftig zurück – da müssen Sie dabei sein!“, posaunt die Stimme im Werbe-Trailer.
Natürlich ist die ganze Veranstaltung alles andere als blütenrein. Während das Marketing die Werbetrommel rührt, kungeln die Parteien hinter den Kulissen. Produzent Marty Rockman (Krawall-Talker Jerry Springer, fällt nach der Exposition nur noch Zigarre rauchend und Fellatio empfangend negativ auf) sichert sich die Unterstützung von Governor Bull Tyler (auf einen schnellen Gehaltsscheck aus: Roy Scheider, Der weiße Hai): Der Staat Florida soll die Macher von Citizen Verdict mit potenziellen „Teilnehmern“ versorgen.
Kein Zutrauen in die Denkleistung des Zuschauers
Das Publikum darf vorab aus drei Mordprozessen wählen, die Tatverdächtigen sind selbstredend allesamt sichere Kandidaten für den elektrischen Stuhl. Für Governor Tyler ist das die Grundbedingung: Am Ende der Show muss ein Todesurteil stehen, damit das System seine Funktionsfähigkeit unter Beweis gestellt hat. Da trifft es sich gut, dass sich die Interessen decken. Die Sendeanstalt plant nämlich schon mit den Einnahmen, die man mit der Hinrichtung als Pay-per-View erwirtschaften will. Alles läuft wie geschmiert, bis der alternde und zunächst auf Publicity geeichte Staranwalt Sam Patterson (Erfinder des duck face: Armand Assante, Judge Dredd) seinen Gerechtigkeitssinn wiederentdeckt.
Die Prämisse von Citizen Verdict liest sich nicht unspannend, doch scheitert dieser billige TV-Streifen an seiner eigenen Hasenfüßigkeit. Die Macher haben keinerlei Vertrauen in die Denkleistung ihres Publikums. So lotet der Film – und das ist zunächst einmal löblich – die Stärken und Schwächen des amerikanischen Strafprozessrechtes aus. Allerdings schafft es der Film nicht, Pro & Contra im Rahmen der eigentlichen Geschichte zu verhandeln.
Citizen Verdict gebärdet sich wie ein Blitzmerker
Stattdessen wird Citizen Verdict immer wieder von Interview-Sequenzen unterbrochen, in denen sich fiktive Zuschauer, mehr oder weniger passend, zur Situation äußern. Argumente und Stammtischparolen werden uns, den echten Zuschauern, stakkatoartig um die Ohren gehauen, in der Absicht, einen Meinungspluralismus vorzugaukeln. Doch weil sich die Handlung über mehrere Tage erstreckt, einzelne Interviewpartner aber immer wieder dazwischen geschnitten werden, ohne dass sie den Standort oder ihre Kleidung gewechselt hätte, funktioniert dieser Kniff nicht. Es kommt viel schlimmer: Er wirkt dadurch unfreiwillig komisch. Eine gute Satire muss nicht alles benennen, darf mit Auslassungen arbeiten. Satire darf uns ruhig etwas zutrauen. Citizen Verdict gebärdet sich lieber wie ein Blitzmerker – der Film spricht aus, worauf wir schon längst gekommen sind.
Getoppt wird die allgemeine Birnigkeit des Films – über die vielen kleinen Logiklöcher, die miese Charakterzeichnung und die Schwachsinnsszenen mit Jerry, die lediglich Laufzeit verlängernden Effekt haben, lassen wir uns an dieser Stelle mal nicht aus – von dem Unvermögen, einen spannenden Präzedenzfall zu erzählen. Der geübte Seher erwartet ein abgekartetes Spiel. Einen entsetzlichen Justizirrtum. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Tatsächlich ist der Fall sonnenklar: Der Angeklagte hat eine Promi-Köchin während eines ausufernden Geschlechtsaktes mit dem Messer getötet. Der einzige Twist, den uns die Verteidigung eröffnet: Der Einsatz der Klinge ging nicht vom Angeklagten aus, er wurde vom Opfer eingefordert. Für den Lustgewinn, versteht sich. Was nichts, aber auch rein gar nichts an der Tatsache ändert, dass der Beschuldigte seine Liebelei erstach, hiernach türmte und schlussendlich die Ermittler in die Irre führte.
Todesstrafe als mehr-minütiger Schauwert
Das Zaudern hat einen Grund: Einen Freispruch kann und will sich Citizen Verdict (im OT: Execution TV) gar nicht erlauben. Ansonsten fiele ja die Hinrichtung aus. Zum „krönenden“ Abschluss erklärt uns dieser kleine, schmierige und bigotte Fernseh-Flick also endgültig für bescheuert. Denn der Film kostet die Vollstreckung der Todesstrafe als Schauwert aus, und das mehrere Minuten lang. Eine Hinrichtung lässt sich schließlich nur dann genießen, wenn der Angeklagte mehr oder weniger schuldig ist. Oder zumindest ein uneinsichtiges Arschloch. Einen zu Unrecht verurteilten Sympathieträger auf dem Stuhl zu brutzeln, das wäre ja ein richtiger Schlag in die Magengrube gewesen. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, ganz ehrlich“, resigniert der Rechtswissenschaftler, der als Gegengewicht zu den vielen Wutbürgern in den Interview-Segmenten zu Wort kommen darf. Wir helfen gerne auf die Sprünge: Citizen Verdict ist ein Wolf im Schafspelz, keinen Deut weniger voyeuristisch als das Schmuddelfernsehen, das er vorgibt zu kritisieren. Fubar.
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