Toxic Avenger mit China Syndrom: In Atomic Reporter mutiert ein Journalist nach einem unfreiwilligen Bad im Abklingbecken zum Strahlemann.
Toxic Avenger mit China Syndrom: In Atomic Reporter mutiert ein Journalist nach einem unfreiwilligen Bad im Abklingbecken zum Strahlemann.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Pryceless Productions
The Toxic Avenger von 1984 ist Kult. Die Superhelden-Splatter-Klamotte um einen schmalbrüstigen Hausmeister, der sich nach einem Sprung in ein Giftmüllfass in einen radioaktiven Rächer verwandelt, gilt als Meisterstück der Schmotter-Schmiede Troma. 1989 folgten zwei Fortsetzungen in einem Abwasch, bei den Dreharbeiten zum zweiten Teil war so viel Material zusammengekommen, dass es gleich für zwei Filme reichte. Als Star einer Zeichentrickserie (Toxic Crusaders) avancierte Toxie zu Beginn der 90er-Jahre dann endgültig zum Maskottchen von Tromaville. Eine Figur mit solcher Strahlkraft lockt Nachahmer an, in diesem Fall die kanadische Billigproduktion Atomic Reporter.
Im Mittelpunkt von Atomic Reporter steht der Investigativjournalist Mike R. Wave. Passend zum Horror-Wonnemonat Oktober lernen wir ihn auf einer Halloween-Party kennen. Am Ende einer trostlosen Plan-Sequenz entlang eines schmierigen Tresens hocken wir mit Mike, dessen Freundin Richelle und seinem kleinen Bruder Joe in einer Sitznische. Zur Begrüßung droppt der Reporter ein paar Lepra-Witze, die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben möchte, aber später noch witzig … äh … wichtig werden. Gottlob sind die Schenkelklopfer flugs aufgebraucht. Mike faselt plötzlich etwas von einer „heißen Story“, mag aber nicht weiter ausholen. Verständlich, so eine lahmarschige Halloween-Feier ist nicht gerade der passende Rahmen für einen konspirativen Talk. Und auch sonst weiß der Film mit der saisonalen Verortung wenig anzufangen.
Der GAU ist vorprogrammiert
Daheim in trauter Zweisamkeit macht Mike seiner Angebeteten einen Antrag. Verliebt, verlobt, quasi verheiratet. Derart erfüllte Journalist*innen sind seltene Exemplare. Jedenfalls in Filmen, wo das Reportertum gerne mit privater Askese und zerrütteten Familienverhältnissen einhergeht. Als Gegenbeispiel fällt mir The Mothman Prophecies ein: In dem Mystery-Thriller genießt der Washington Post-Recke John Klein ein Leben fernab des journalistischen Prekariats, mit geräumiger Hütte und Herzensdame. Kein Wunder: Klein wird schließlich gespielt von Richard Gere, wer würde dem Hollywood-Beau schon einen sozial verkümmerten Einzelgänger abnehmen? Davon ab ist die anfängliche Idylle lediglich Mittel zum Zweck, ein Sprungbrett in den Abgrund. Diesen Anlauf versucht auch Atomic Reporter zu nehmen. Weil Mike-Darsteller David Scammell definitiv kein Richard Gere ist, sondern eine ziemliche Knallcharge, klappt das nur semi-erfolgreich.
Immerhin kommen wir inhaltlich voran. Kaum ist der Verlobungsring angelegt, wechselt Richelle das Thema: „Ich mache mir ernsthaft Sorgen um deine Story“, seufzt sie. Wie unromantisch. Da aber mit dem Eheversprechen große Verantwortung im Raum steht, rückt Mike ein paar Infos zur Beruhigung raus. Morgen werde er das örtliche „Nuklear-Zentrum“ aufsuchen, dort sei es „schweren Betriebsfehlern“ gekommen, mit erheblichen Folgen für die Umwelt. Nun müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. „Ich verlange Geständnisse“, mault Mike in der Tonlage eines trotzigen Schuljungen. Wir ahnen: Der GAU ist vorprogrammiert.
Spannungsabfall: Von Das China Syndrom zu Atomic Reporter
Die Ausgangslage von Atomic Reporter erinnert an Das China Syndrom. In dem prophetischen Klassiker – der Film erschien wenige Tage vor dem Reaktorunfall 1979 im US-Kernkraftwerk Three Mile Island – versucht die chronisch unterschätzte (weil weibliche) Reporterin Kimberly Wells (Jane Fonda), einen fahrlässigen Störfall publik zu machen. Zugegeben: Abgesehen von der Prämisse „Reporter*in stiefelt in ein Kraftwerk“ haben sich die Parallelen an dieser Stelle schon wieder erledigt.
In Das China Syndrom muss die Journalistin Quellen weichkochen und gegen Widerstände ihrer eigenen Redaktion ankämpfen, um die Dementis der Atomlobby auszuhöhlen. Atomic Reporter spart sich diesen Arbeitsaufwand. Der allwissende Mike wird direkt durchs Vorzimmer gewunken und aufs versammelte Kraftwerk-Konsortium losgelassen. Das besteht zum allgemeinen Amüsement aus einer Bande Zigarre schmauchender und fies frisierter Schmierlappen. Der CEO des Ladens heißt tatsächlich Dick Swell, was ich ja für einen genialen Einfall halte. Mike hingegen mausert sich zur Nervensäge. Plärrend holt er zum Rundumschlag aus: „Viele hier in der Gegend haben Krebs im Endstadium und auch die vielen Missgeburten sind kein zufälliges Missgeschick.“ Hat er das wirklich gerade gesagt? Er hat.
Atomic Reporter besitzt eine langweilige Halbwertzeit
Ich muss diese unbeholfene Kanonade an Vorwürfen erst mal verarbeiten. Dick Swell zuckt nicht einmal. Das seien alles haltlose Gerüchte, erklärt er, Mike möge sich doch persönlich vom vorschriftsmäßigen Betrieb der Anlage überzeugen. Mit dieser entwaffnenden Reaktion hat der Journalist so gar nicht gerechnet, weswegen er nun verdattert dreinschaut, die Führung aber annimmt. Dabei wirkt er dergestalt eingelullt, dass man meinen könnte, sein vorheriger Auftritt sei der reinste Bluff gewesen – wenn er doch hieb- und stichfeste Beweise hat, wieso braucht es dann noch eine PR-Besichtigungstour?
Dass Anzugträger, die die Umwelt vergiften und den Tod von tausenden Menschen billigend in Kauf nehmen, ganz sicher auch keine Skrupel besitzen, Zeugen diskret und für immer verschwinden zu lassen, darüber scheint Mike ebensowenig nicht nachzudenken. Aus dramaturgischer Sicht ist klar: Jeder Hauch eines Zweifels beim Protagonisten würde die Ankunft des titelgebenden Atomic Reporter nur verzögern. Und das kann nun wirklich keiner wollen, der Film ist auch so schon lang genug.
Joker-Gedächtnis-Moment im örtlichen Nuklear-Zentrum
Also verschwinden die beiden pronto in den Nebenraum, wo die atomare Suppe in einem offenen Becken brodelt. Dass diese Form der Zwischenlagerung natürlich nicht den Sicherheitsbestimmungen des Gesetzgebers entspricht, sehen selbst Betriebsblinde, und auch der Hausherr sieht nun keine Veranlassung mehr, aus seinem Herzen eine Mörderdeponie zu machen. Er breitet seine Umweltsauereien genüsslich aus. „Warum erzählen Sie mir das?“, will Mike wissen. Dick Swells Antwort? Ist pure Trash-Poesie: „Wo Sie hingehen, gibt es keine Schreibmaschinen.“ Während ich diesen Schwerenöter gedanklich in die Hall of Fame der coolsten C-Movie Villians aufnehme, landet unser Blitzmerker vom Dienst im Giftmüll-Bottich.
Endlich. Der Film löst sein geklautes Versprechen ein. Mike wird zum radioaktiven Rächer. Für eine Maske nach Toxies Ebenbild hat das Budget zwar nicht gereicht. Der Atomic Reporter sieht aus, als hätten Freddy Krueger und Darkman einen Nachkommen gezeugt, da macht jede Babyklappe dicht. Anstatt das Konsortium an Ort und Stelle zu massakrieren, trollt sich Mutanten-Mike wie das Phantom der Oper in den Untergrund. Was der Verschwörer-Runde wiederum Zeit verschafft, neue finstere Pläne zu schmieden. Schließlich hat sie Kenntnis von der Existenz Richelles erlangt, als Mike sie in seiner Anklage für Arme als Notfallkontaktperson outete
Joseph Merrick und ein kräftiger Mittelstrahl
Was folgt, ist eine absurde Debatte darüber, wie man die Mitwisserin möglichst effizient, sprich: kostengünstig und ohne viel Aufhebens, zum Schweigen bringt. Mehrere Vorschläge werden gedreht und gewendet, die Runde einigt sich schließlich auf „Vergewaltigung und schließender Erdrosselung“. Dass Mike möglicherweise Arbeitskollegen eingeweiht haben könnte, wird nicht diskutiert. Dabei liegen seine Recherchen, wie wir später noch erfahren, in der Redaktion, ordnungsgemäß abgeheftet und einsehbar für jeden, der sich wundert, warum Mike plötzlich keine Zeilen mehr abliefert. Doch die Bösen müssen die Vierte Gewalt nicht weiter fürchten, weil Mike offensichtlich eine Ein-Mann-Zeitung betreibt. Wie sonst ist es zu erklären, dass das Redaktionsumfeld verwaister ist als das Innere des Tschernobyl-Sarkophags?
Auch der journalistische Aufhänger hat nach dem Joker-Gedächtnis-Moment im Kraftwerk seine Schuldigkeit getan. Ohne klassischen W-Fragen steigt Mike Dick Swell und seinen Handlagern hinterher. Die Kills reichen von „genauso und nicht anders“ bis „WTF?“. Höhe- bzw. Tiefpunkt ist die Attacke auf die einzige Frau im korrupten Aufsichtsrat: Sie wird von Mikes radioaktivem Mittelstrahl dahingerafft. Reichlich Fremdscham-Momente, ein Cameo von Joseph Merrick und natürlich Dick Swell halten für die restliche Spielzeit bei Laune, und dennoch ist dieser Mummenschanz weit entfernt, ein vergnügliches Trash-Fest zu sein. Dafür ist Atomic-Reporter zu bemüht, nicht gaga genug. Der echte Toxie wischt mit diesem Imitat den Boden auf.
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