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Bürgerkrieg vor der Haustür: Civil War (2024)

Civil War entführt uns auf eine Reise durch die vom Bürgerkrieg zerrüttete USA. Die Reiseleitung übernimmt eine Gruppe von Kriegsreportern.

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Civil War entführt uns auf eine Reise durch die vom Bürgerkrieg zerrüttete USA. Die Reiseleitung übernimmt eine Gruppe von Kriegsreportern.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: DMC Film Distribution.

Road Movie durch eine amerikanische Dystopie, die nach dem Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 nicht mehr undenkbar scheint: Der namenlose US-Präsident (Nick Offerman, Parks and Recreation, Männer, die auf Ziegen starren) hat sich als waschechter Autokrat entpuppt und sich einer verfassungswidrigen dritten Amtszeit ermächtigt. Die Spaltung des Landes entlädt sich im amerikanischen Bürgerkrieg 2.0. Militär. Oppositionelle Truppen bekriegen sich bis aufs Äußerste. Eine Allianz – wer hätte das gedacht? – aus Texanern und Kaliforniern führt den Widerstand an und rückt auf die US-Hauptstadt Washington D.C. vor. Obwohl der Präsident offiziell anderes verlautbaren lässt, sieht es so aus, als seien seine Tage gezählt.

Die erfahrenen Journalisten Lee (Kirsten Dunst, Interview mit einem Vampir, Wag The Dog) und Joel (Wagner Moura, Narcos) brechen aus New York auf, um das womöglich letzte Interview mit dem Machtinhaber zu ergattern. Obwohl sich Lee zunächst sperrt, steigen noch die blutjunge Nachwuchsreporterin Jesse (Cailee Spaeny, Alien: Romulus) und der alte Hase Sammy (Stephen Henderson, Dune, The Newsroom) ins Auto. Während ihrer Reise werden sie Zeugen von Kampfhandlungen und Flüchtlingsströmen, willkürlichen Hinrichtungen und Attentaten. Alles das, was wir aus den Berichten aus Krisenregionen „gewohnt“ sind, erschüttert nun das demokratische Herz.

Lee (Kirsten Dunst) nimmt als erfahrene Journalistin die Nachwuchsreporterin Jesse (Cailee Spaeny) unter ihre Fittiche.
Lee (Kirsten Dunst) nimmt als erfahrene Journalistin die Nachwuchsreporterin Jesse (Cailee Spaeny) unter ihre Fittiche.

Intensive Bilder, erdrückendes Szenario …

Diese Verortung macht Civil War so beklemmend.* Der Film zeigt das Undenkbare. Wir kennen den Krieg zwar von den Bildern, aus den Geschichtsbüchern, aus dem Internet, aus dem TV im Wohnzimmer. Nun tobt er wahrhaftig vor der Haustür. In einer Szene stolpern die Reporter im wahrsten Sinne des Wortes in ein Massengrab (nicht umsonst ist die von Kirsten Dunst gespielte Hauptfigur nach der berühmten Kriegsfotografin und KZ-Dokumentarin Lee Miller benannt). Ohne zu spoilern: Die Begegnung, die sich um diesen grausigen Zwischenfall abspielt, gehört zu den intensivsten Momenten des Films.

* Die motivatorische Triebfeder von Civil War – das begehrte Interview mit dem Bösen – kennen wir aus anderen Kriegsreporterstreifen: In Live aus Bagdad  begibt sich eine Gruppe Korrespondenten um Michael Keaton und Helena Bonham Carter auf einen Road Trip durch den Irak, um Diktator Saddam Hussein vor die Kamera zu bekommen. Im indischen Film Kabul Express jagen die Protagonisten initial einem Interview mit den Taliban nach. 

Keine Frage, vor dem Hintergrund des Gezeigten ist Civil War ein Film, der nachwirkt. Es ist das Spiel mit dem Realismus: Regisseur Alex Garland knüpft seine Dystopie scheinbar unmittelbar an jene Szenarien an, die im Vorfeld der vergangenen US-Wahl an die Wand gemalt wurden, hätte Trump diese verloren und die Hardliner unter seinen Anhängern ihre umstürzlerischen Ankündigungen wahr gemacht.

… bei der Rolle der Medien bleibt Civil War oberflächlich

Tatsächlich erscheint Nick Offerman, der als etatmäßiger Komödiendarsteller deplatziert in der Rolle als US-Präsident wirkt, wie ein Trump-Epigone mit ausgeprägtem Faible fürs Post-Faktische. Seine Ansprache ans Volk spiegelt nicht in keiner Weise die Ereignisse wider, wie sie sich vor den Fenstern des Weißen Hauses abspielen.

Davon abgesehen vermeidet Garland reelle Bezüge zur politischen Landschaft. Er beschwört sogar eine Einheit von mehrheitlich republikanischen Texanern sowie demokratischen Kaliforniern, die sich in der vorrückenden „Western Front“ zusammentun. Wie genau das amerikanische Fass zum Überlaufen gebracht wurde, darüber schweigt sich der Film aus. Er wirft uns ziemlich unvermittelt in die Szenerie und auch im weiteren Verlauf erfahren wir kaum Details zu den Hintergründen des Konflikts.

Chaos auf den Straßen. Die Bilder, die uns Civil War zeigt, sind aufwühlend.
Chaos auf den Straßen. Die Bilder, die uns Civil War zeigt, sind aufwühlend.

Das Ringen um Deutungshoheit übertönt die Vernunft

Kritiker warfen dem Filmemacher vor, er würde sich so vor einer Positionierung im aktuellen politischen Klima drücken. Dass Garland seinen Bürgerkrieg weder erklärt noch einordnet, empfinde ich persönlich als Stärke. Denn im Grunde ist es egal, wer hier auf wen schießt. Es ist schließlich das ständige, laute und kompromisslose Ringen um Deutungshoheit, das einer Vernunftlösung im Wege steht.           

Viel schwerer wiegt – aus Sicht dieses Blogs – Garlands Versäumnis, dass er auch im Angesicht seines Kernsujets kaum Stellung bezieht. Zum Wesen des Krisenjournalismus jedenfalls weiß Civil War nicht viel Neues hinzufügen. Allenfalls die Ahnung, die Presse könnte das Chaos mit einer unkritischen Berichterstattung heraufbeschworen haben, wabert wie ein unheilvoller Bonus durch die Narrative.

Um erneut den Elefanten im Raum zu bemühen: Nach der ersten Wahl Donald Trumps meldeten sich Stimmen zu Wort, die den Aufstieg des Populisten auch auf ein sorgloses, effekthaschendes Reporting einiger US-Medien zurückführten. Im Zuge der zweiten Amtseinführung Trumps wurde ein Wandel der Presselandschaft beobachtet. So war zu lesen, dass sich mancher traditionell bissige Wachhund handzahm wie ein Schoßhündchen gebe. Wohl, um Scherereien mit der Administration zu vermeiden – Trump und seine Gefolgsleute kündeten davon, die US-Medien in Ordnung bringen zu wollen.

Der Kernkonflikt im Krisenjournalismus

Derartige Implikationen schweben über dem Film, werden aber nicht konkret ausgesprochen. Civil War versteckt sich hinter den Allgemeinplätzen des Genres. „Wir fragen nicht, wir zeichnen auf“, weist die erfahrene Lee die junge Jesse in einer frühen Szene zurecht.

Der Kernkonflikt in der Kriegsberichterstattung wird zwar adressiert. Sollte man, die Gewalt und die Ungerechtigkeit vor Augen, Partei ergreifen? Oder bleibt man einer vermeintlichen Objektivität verpflichtet? Vermeintlich deshalb, weil sich diese Objektivität aus ideologischen Prägungen und soziokulturellen Vorannahmen speist? Wir als Betrachtende ahnen bereits: Lees Postulat wird bald schon zu hinterfragen sein.

Die allermeisten Kriegsreporterstreifen bringen ihre Protagonisten und deren anfängliche Überzeugungen ins Wanken. Selbst die härtesten Hunde aus den 80er-Jahren, der Blütezeit des Krisenkinos, sind vor einem Sinneswandel nicht gefeit: Nick Nolte in Under Fire, James Woods in Salvador oder Mel Gibson in Ein Jahr in der Hölle.

Die Auswirkungen des Krieges sind überall sichtbar. Welchen Einfluss die Arbeit von Journalisten in dieser Situation hat, zeigt Civil War nicht.
Die Auswirkungen des Krieges sind überall sichtbar. Welchen Einfluss die Arbeit von Journalisten in dieser Situation hat, zeigt Civil War nicht.

Journalisten bewegen sich im medialen Vakuum

40 Jahre später ist die Zeit der Alleingänge vorbei. Civil War schickt ein News-Team auf die Reise – auch wenn sich dieses Team zunächst aus Individualisten rekrutiert. Die Wandlung der Figuren bleibt dabei plakativ wie eh und je. Natürlich ist die anfangs Unnahbare doch nicht so emotional abgestumpft, wie es scheint; der Harte nicht so hart, wie er sich gibt; das alte Eisen doch nicht so nutzlos und die ängstliche Anfängerin diejenige, die schließlich furchtlos ihren Dienst verrichtet.  

Früh deutet der Film seine finale Pointe an. „Würdest du den Augenblick fotografieren, wenn ich erschossen werde?“, fragt Jesse Lee als sie zu Beginn auf dem Joseph-Conrad-Gedächtnisdampfer gen Herz der Finsternis Platz nimmt. Was dieser Augenblick letztlich auslöst, mit dieser Frage lässt der Film uns allein. Unsere Reisegruppe bewegt sich in einem medialen Vakuum, losgelöst von der öffentlichen Meinung, auch gibt es keinerlei Kontakt zur Redaktion.

In Interviews betonte Alex Garland, wie wichtig der Journalismus als Kontrollinstanz sei. Wenn die Jagd nach dem Moneyshot ihren dramaturgischen Höhepunkt erreicht hat und der Abspann abfährt, könnte man durchaus zu einem anderen Schluss kommen. Man muss nicht immer alles ausdeklinieren. Aber gerade im Hinblick auf den Journalismus hätte der Film eine klarere Kante zeigen können.     

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Intensiver Film, der leider die Gelegenheit liegen lässt, das Wesen der Kriegsberichterstattung zu vermessen und auch die Rolle der US-Medien zu beleuchten. Sehenswert ist er dennoch. Wenn du Civil War sehen möchtest – über den folgenden Link kannst du den Film kaufen. Du zahlst nicht mehr als sonst, ich erhalte eine kleine Provision. Damit sichere ich den Betrieb dieser Seite. Wenn du journalistenfilme auf anderem Wege unterstützen möchtest, findet du hier einige Möglichkeiten. So oder so: Vielen Dank!

Civil War [Bluray]

3.0
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