In Interview kollidieren ein Journalist und ein B-Movie-Sternchen. Schon bald werden die Leitplanken dieses journalistischen Formats eingerissen.
In Interview kollidieren ein Journalist und ein B-Movie-Sternchen. Schon bald werden die Leitplanken dieses journalistischen Formats eingerissen.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Arthaus.
Pierre Peders (gespielt von Steve Buscemi, auch Regie) ist ein gefallener Politreporter. Spürte er in seinen besseren Tagen den Prestige-Geschichten in Washington nach, setzt ihn seine Redaktion mittlerweile auf seichte Personality-Stücke an. Heute wartet ein Interview mit Schauspielerin Katya (Sienna Miller) auf Pierre. Oder besser gesagt: Pierre wartet auf Katya. Die B-Film-Darstellerin erscheint viel zu spät zu dem vereinbarten Treffen in einem hippen Restaurant. Eine Demütigung, mit der Katya verdeutlicht, dass sie lieber woanders wäre. Doch Pierre ist keinen Deut professioneller. Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, die Filmografie seiner Gesprächspartnerin zu googeln. Es reicht ihm zu wissen, dass Katya „regelmäßig ihre Tittengröße ändert“, um die Aufmerksamkeit der Klatschmedien auf sich zu ziehen.
Katya, schlagfertiger als von Pierre gedacht, stellt wiederum dessen Eignung als Reporter infrage: „Komisch. Sie sind Journalist? Sie sind ja gar nicht neugierig“, kontert sie. Das Interview, das nie eines war, gerät zur Farce. Die bestellten Getränke sind gerade erst serviert, da räumen die beiden schon ihren Tisch. Durch eine Wendung geht das Frage-Antwort-Spielchen jedoch in die Verlängerung. In Katyas Loft liefern sich der Reporter und die Prominente einen wortreichen Tanz. Dabei wiegen sie sich zwischen der Verletzung des jeweils anderen und der Preisgabe eigener Verwundungen. Uns als Beobachtende fällt es schwer, Haltungsnoten zu verteilen. Nie können wir uns sicher sein: Was von dem, was gesagt wird, ist wahr? Welche Antworten sind ungefiltert? Welche vorgefertigt – und damit Teil eines Manövers?
Zwei, die nicht aus der Haut ihrer Profession können
Nachdem Steve Buscemi 2006 in dem Independentfilm Blitzlichtgewitter (OT: Delirious) einen Paparazzo spielte, widmete er sich im Jahr darauf erneut dem medialen Sensationalismus. Interview ist Buscemis vierte große Regiearbeit und die US-Adaption des gleichnamigen Films des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh. Der 2004 ermordete Filmemacher wird in der Amerikanisierung seiner Vorlage gleich mehrfach geehrt – unter anderem auf einer Fotografie in Katyas Appartement sowie in Form eines Schriftzugs auf einem Umzugswagen.
In seinem 80-minütigem Kammerspiel lässt Buscemi zwei Menschen aufeinanderprallen, die nicht aus der Haut ihrer Profession fahren können, und das sowohl in der Fremd- als auch in der Eigenwahrnehmung. Sie bleibt in seinen Augen immer das mediengeile Starlet, das es mit nackter Haut in schlechten Filmen zu „Ruhm“ gebracht hat; er der schmierige Aasgeier, der Profit aus den privaten Pikanterien anderer schlägt. Beide bemühen sich im Laufe dieses Abends zwar, mehr als nur das Abbild ihres beruflichen Images zu sein. Doch immer dann, wenn das Gespräch zu heikel, zu persönlich wird, bietet die eigene Rolle auch eine willkommene Rückzugsmöglichkeit. Inmitten eines Seelenstriptease wird sich Reporter Pierre seines Auftrags gewahr. „Ich muss doch was schreiben!“, fleht er die junge Frau an. „Erfinden Sie doch etwas“, entgegnet Katya abgebrüht, „das machen die anderen doch auch“. In diesen Dialogen schimmern die Mechanismen der Skandal-Medien durch.
Der perfekte stereotype Journalist: Steve Buscemi
Steve Buscemi, der den männlichen Part in seinem Film gleich selbst übernahm, ist perfekt in der Rolle des stereotypen Reporters, der in Ungnade gefallen ist. Pierre ist ein weißer, mittelalter Loser-Typ, der viel von sich und seinem geschliffenen Intellekt hält, in der eigenen Wahrnehmung zu Unrecht gescheitert ist und deshalb mit einer zynischen Weltsicht hausieren geht. Wäre er allerdings ehrlich zu sich selbst, wüsste er, dass er seinen Abstieg mit dieser leidenschaftslosen Attitüde überhaupt erst eingeläutet hat. Als geübte Zuschauer:innen verstehen wir sofort: Typen wie diesen ist in Filmen kein persönliches Glück beschieden.
„Untermalt“ wird diese schmierige Charakterzeichnung vom markanten Antlitz Steve Buscemis. Buscemi sieht nun mal aus wie ein Creep. Was keinesfalls despektierlich gemeint ist, schließlich hat ihm dieses Aussehen zu einigen denkwürdigen Rollen (Fargo! The Big Lebowski! Con Air!) verholfen. Wenn sich der einstige Star-Reporter Peders vergisst und die alternde Gesichtsflausche Pierre unbeholfen der hübschen Katya aufdrängt, kann man sich kaum einen geeigneteren Schauspieler vorstellen als Steve Buscemi.
Überhebliche Journalist:innen gibt es im Kino zuhauf
Buscemis Darstellung ist ein Paradebeispiel einer gern rezitierten Trope (die durchaus mit echtem Medienmisstrauen und konkreten Vorwürfen korreliert, der Journalismus gebe auf belehrende Weise Denkrichtungen vor und ignoriere bestimmte gesellschaftliche Gruppen): Überhebliche Journalist:innen gibt es im Kino wie Lettern auf dem Broadsheet. Gerade in Nebenrollen fallen sie gleichgültig wie Heuschrecken über ihre Opfer her. Wahlweise sind es Prominente, aber auch „einfache“ Menschen, die nicht wissen, wie das Spiel mit der Aufmerksamkeit funktioniert – vorgeführt zum Beispiel im hervorragenden Intolerance aus Japan oder Der Fall Richard Jewell (wenngleich der Film in der Darstellung der Reporterin ziemlich problematisch ist).
In Hauptrollen sind sie bestens geeignet, eine „Vom Saulus zum Paulus“-Geschichte zu erzählen: Ein Skandalreporter, der alles für eine gute Auflage tut, erfährt eine Wandlung zum seriös recherchierenden und/oder anwaltschaftlich agierenden Journalisten. Beispiele finden sich in Jodie Fosters Money Monster oder Stephen Frears‘ Philomena. Letzterer basiert auf der Geschichte von Martin Sixsmith, der – nachdem seine Karriere im politischen Ressort eine Delle erfährt – den Wechsel ins Human Interest-Fach vollzieht und einen systematischen Kinderklau in der Katholischen Kirche Irlands aufdeckt.
Ein empfehlenswerter Verbal-Thriller Interview
Ohne zu viel zu verraten: In Interview fällt der Wandel nicht ganz so eindeutig aus. Dies ist einer der interessanten Aspekte in einem ohnehin empfehlenswerten Indie-Flick, der die Beißreflexe in einer auf Skandale konditionierten Mediengesellschaft zwar benennt, die Druckstellen allerdings nicht zu genau unter die Lupe nimmt. Dafür ist Interview letztlich zu sehr Verbal-Thriller, dem es mehr auf die Botschaft ankommt: Leute, lasst Euch nicht von der Fassade blenden – achtet lieber auf den Menschen dahinter.
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