In Baphomets Fluch jagen der Anwalt George Stobbart und die Journalistin Nico Collard einer Tempelritter-Sage hinterher.
In Baphomets Fluch jagen der Anwalt George Stobbart und die Journalistin Nico Collard einer Tempelritter-Sage hinterher.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Revolution.
Das Spiel
1996 erfasst Baphomets Fluch die Point & Click-Fangemeinde. Der Titel des französischen Entwicklerstudios Revolution markiert den Auftakt einer inzwischen fünfteiligen Reihe, die zu den erfolgreichsten ihres Genres zählt – insbesondere abseits der großen Adventure-Schmieden LucasArts und Sierra.
Teil 2, Die Spiegel der Finsternis, erscheint bereits im darauffolgenden Jahr und wird heute rückblickend als eines der letzten großen Highlights einer goldenen Ära betrachtet, bevor Shooter wie Half Life die Aufmerksamkeit des Videospielmarktes auf sich ziehen. Um grafisch mit der Zeit zu gehen, wagt das Studio mit weiteren Ablegern wie Der schlafende Drache (2003) und Der Engel des Todes (2006) später den Sprung in die dritte Dimension. In den Augen von Fans und Kritikern erreicht die Serie aber nie wieder die Klasse der ersten beiden Abenteuer.
Ein Fluch im Director’s Cut
Im Fokus dieser Betrachtung steht der Ur-Fluch, jedoch in seiner nicht ganz unumstrittenen Form als Director’s Cut, der ab 2009 für verschiedene Plattformen (u.a. iOS und Android) erscheint. Umstritten deshalb, weil diese Neuauflage die Originalfassung entschärft: Konnte die Spielfigur im ursprünglichen Baphomets Fluch in bestimmten Situationen sterben – ein in Point & Click-Adventures nicht unbedingt beliebtes Konzept –, umschifft die überarbeitete Fassung hingegen sämtliche Todesfallen.
Dafür wartet der Director’s Cut mit zusätzlichen Spielszenen auf, in denen vor allem die journalistische Figur, Nico Collard, aufgewertet wird. Wir erfahren mehr über ihre Familiengeschichte und ihre Verwicklung in den Fall.
Die Handlung
Baphomets Fluch lebt, wie seine Nachfolger, von einer mysteriösen Story, die Historisches und Reisen in ferne Länder verwebt. Wer sich frappierend an einen gewissen Archäologen mit Hut und Peitsche erinnert fühlt: Eine Nähe zu Indiana Jones ist nicht von der Hand zu weisen. Im Gegenteil: Baphomets Fluch spielt mit einem Easter Egg sehr direkt auf sein berühmtes Vorbild an.
Der erste Teil beginnt mit einem Bombenattentat in einem Pariser Café, das George Stobbart, ein US-Anwalt auf Europa-Reise, hautnah miterlebt. Zuvor hat ein verdächtiger Clown (!) das Lokal betreten und wieder verlassen, und weil die Polizei entsprechende Hinweise ignoriert, entschließt sich George, die Ermittlungen in eigene Hände zu nehmen.
Von Tempelrittern und toten Medienmachern
Im Zuge seiner Nachforschungen lernt er schon bald die einheimische Journalistin Nicole „Nico“ Collard kennen, die wiederum im Mordfall Pierre Cochan recherchiert. Der Letzte, der den einflussreichen Medienunternehmer lebend traf, war als Pantomime verkleidet. Also kommen George und Nico zu dem gemeinsamen Schluss, dass ein kostümierter Killer sein Unwesen treibt. Nicht nur das: Die beiden stoßen auf eine Spur, die zu einem Geheimbund führt, der in Verbindung zu legendären Tempelrittern steht. Obendrein erfährt Nico, dass ihr verstorbener Vater irgendwie in die Aktivitäten dieser geheimen Gesellschaft verwickelt war…
Die Figur: Nico Collard
Auch wenn Nico in der Ur-Fassung des Spiels als Nebenfigur eingeführt wird, so ist die Reporterin wichtig für die Serie. In weiteren Auftritten reift Nico zur vollwertigen Protagonistin heran. Und auch der Director’s Cut von Baphomets Fluch wertet ihre Rolle nachträglich auf.
Insbesondere in den ersten Spielstunden verfolgen wir gemeinsam mit ihr Hinweise, die in eine große, weltumspannende Verschwörung führen. Später jedoch, wenn der Plot sich weitet und George Stobbart Schauplätze in Irland, Syrien oder Spanien aufsucht, tritt sie in den Hintergrund. Dadurch ist Nicos Vorgeschichte eindeutig als solche zu erkennen, der Subplot um ihren Vater wirkt doch etwas „angeflanscht“. Was George selbst irgendwann auffällt. „Wie hilfst DU uns eigentlich?“, fragt er als er Nico, nachdem er sie zum x-ten Mal stoisch an ihren Schreibtisch sitzend in ihrem Apartment antrifft.
Wie heißt dieser Preis für Journalisten nochmal?
Womöglich wartet sie darauf, dass ihre Karriere endlich zündet. Es gibt Anzeichen für eine längere Phase des Misserfolgs. „Manchmal weint sie sich in den Schlaf“, meint eine neugierige Nachbarin zu wissen. Dabei mangelt es Nico nicht an Selbstbewusstsein. In inneren Monologen lobt sich sie gerne für ihre „geniale“ Kombinationsgabe. Im Mordfall des Medienmoguls Pierre Cachon, den sie beinahe live miterlebt, sieht sie „die große Chance, auf die ich gewartet habe“. „Wenn ich noch wüsste, wie der Preis heißt, den man bekommt, wenn man ein Spitzenjournalist ist“, sinniert sie, „auf jeden Fall werde ich ihn dieses Jahr abräumen“.
Diese anfängliche Charakterisierung zeigt: Baphomet Fluch nimmt sich nicht allzu sehr ernst. Die vielen flapsigen Sprüche mögen im Kontrast zum grimmigen Verschwörungsplot stehen. Auf der anderen Seite haben wir es laufend mit skurrilen Charakteren zu tun: trotteligen Polizisten, irischen Saufnasen, schmierigen Kebab-Verkäufern und einem Killer in Clownshosen. Dass diese Figuren sehr grobschlächtig skizziert sind, ist den meisten von ihnen durchaus bewusst.
Nico Collard tritt wenig journalistisch in Erscheinung
So ist Nico etwa die Schablone einer Reporterin, die klassischen Journalismus mit der Ermittlungsarbeit halbseidener Privatdetektive verwechselt, wie man sie aus schummrigen US-Krimis kennt. Kaum ein Zugang ist regulär verschafft. Ob Tatort eines Mordes, Museum bei Nacht oder unterirdische Katakomben: Ständig bricht Nico irgendwo ein. Was sie mit einem Verweis auf ihre Jugend kommentiert: „Eine Erziehung auf der Klosterschule ist die beste Voraussetzung, um Schlösser zu knacken.“
Wie es um ihre journalistische Ausbildung steht, darüber erfahren wir nur wenig. Nico Collard stellt sich uns als freie Fotojournalistin vor, die „auch schreibt“. Allerdings trägt sie weder Kamera noch Schreibgerät im Inventar mit sich. Generell übt sie kaum Tätigkeiten aus, die auch nur ansatzweise als journalistisch zu kennzeichnen wären – sieht man davon ab, dass sie ständig Querverbindungen zieht, was in Geschichten wie diesen zumindest als journalistische Super-Power durchgeht. Ein angesetztes Interview mit Pierre Cachon fällt aus fatalen Gründen aus. Spätestens als Nico an Cachons noch warmen Körper herumnestelt („Manche Leute ekeln sich davor, Leichen zu durchsuchen. Mir macht das nichts aus.“), ist allen klar: Gewöhnliche Schreibtischarbeit fällt heute aus.
Der Traum von einem Ausweg aus dem journalistischen Prekariat
Somit erfüllt Nico auf ihre Weise das Klischee der Reporterin, die für eine gute Story über Leichen geht. Allerdings ist Nico keine skrupellose „Aasgeierin“. Zwar geht es ihr um den publizistischen Erfolg und ihre Reputation. Vor allem will sie jedoch beruflich voran- und dem journalistischen Prekariat entkommen.
Denn das Bild, das das Spiel von Nicos Berufsumfeld zeichnet, ist nicht rosig. Neben der niedrigen Bezahlung spiegelt sich die geringe Wertschätzung ihrer Arbeit in der Behandlung durch ihre Stammredaktion wider (offensichtlich ist sie eine „feste Freie“, es ist von einer Tageszeitung namens „La Liberté“ die Rede). An einer Stelle klagt sie: „In der Autorenzeile steht nur mein Redakteur, ich mache nur die Drecksarbeit“. Einige Szenen später klingelt der Chefredakteur durch, um ihr einen Job anzubieten: „Ich brauche noch jemanden, der die Fernsehspalte schreibt. Ist mies bezahlt. Aber das kennst Du ja!“ Er ist es auch, der Nico anweist, die Recherchen im Mordfall Cachon einzustellen.
Die Zeitung ist nicht mehr das, was sie mal war …
Hinter dieser Anweisung verbirgt sich natürlich eine große Verschwörung, die weit in die Pariser Zirkel reicht. Aber nicht nur: In Dialogen wird angedeutet, dass wirtschaftliche Überlegungen (Auflage! Auflage!) die wichtigste Triebfeder ihrer Zeitung sind. Die Wahrheit ist maximal sekundär. Nico selbst hält Details in dem Fall zurück, weil sie ihr privates Leben betreffen. Wie sie im Epilog verrät, schreibt sie eine Story, „die nicht die wahre Geschichte erzählt, aber genug Halbwahrheiten enthält, um einen Monat meine Miete zu bezahlen.“
Dass schließlich doch etwas mehr für Nico herausspringt, erfahren wir erst zu Beginn von Baphomets Fluch 2: Die Spiegel der Finsternis. Dort wird sie als eine gestandene Reporterin vorgestellt, die sich einen Namen gemacht hat und einer Bande von internationalen Drogenschmugglern auf der Spur ist. Zum Happy End des ersten Teils gehört außerdem, dass sie und George ein Paar werden – eine Liaison, die sich im Laufe des Spiels zwar anbahnt, aus meiner Sicht allerdings nicht glaubwürdig entwickelt. Es sei denn, man lässt den alten Spruch „Was sich neckt, das liebt sich“ als unumstößlichen Liebesbeweis durchgehen.
Irgendwie Sympathisch, auch dank der Vertonung
Dennoch: Dieses Glück sei Nico Collard gegönnt. Trotz ihrer etwas zusammengewürfelten Art, die auch die Darstellung ihrer Profession umfasst, taugt die sarkastische Reporterin durchaus als Sympathieträgerin.
Großen Anteil daran hat die tolle Vertonung: Im Deutschen wird Nico von der leider bereits verstorben Franziska Pigulla gesprochen. Pigulla war unter anderem bekannt als deutsche Stimme von Dana Scully (Gillian Anderson) aus Akte X. Ein Jahr vor Baphomets Fluch war sie zudem in einem anderen Adventure „journalistisch“ tätig. In LucasArts’ The Dig ist sie in der Rolle die Reporterin Maggie Robbins zu hören. Ihr Auftritt bildete seinerzeit den Auftakt dieser losen Reihe über Pixel-Journalisten.
Warum heute noch spielen?
Machen wir es kurz: Der Zielgruppe muss man Baphomets Fluch nicht großartig schmackhaft machen. Point & Click-Fans kennen und schätzen das Spiel, wenngleich die Neuauflage nicht vorbehaltlos goutiert wird.
Wer neu ist im Genre oder/und alte Klassiker nachholen möchte: Der Director’s Cut macht das Ur-Spiel optisch wie spielerisch zugänglicher und für neue Plattformen kompatibel. Mir persönlich ist Baphomets Fluch jedoch zu geschwätzig. Mit seinem Hang zum Klamauk (nichts gegen humorvolle Adventures, wohl aber gegen platte Witze) reißt mich das Spiel ständig aus der an sich spannenden Geschichte. Gleiches gilt für einige Rätselketten (Stichwort: Klobürste), die die Handlung eher ausbremsen als vorantreiben.
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