Was treibt Menschen an, aus Kriegen zu berichten und ihr eigenes Lebens auf Spiel zu setzen? Dying to Tell versucht, Antworten zu finden.
Was treibt Menschen an, aus Kriegen zu berichten und ihr eigenes Lebens auf Spiel zu setzen? Dying to Tell versucht, Antworten zu finden.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Netflix.
Afghanistan ist nicht der erste Krisenherd, den Hernán Zin hautnah erlebt. Seit 1994 bereist er die Welt, als Korrespondent und Filmemacher hat er einiges gesehen und mitgemacht. Doch knapp 20 Jahre Berichterstattung aus Extremsituationen fordern ihren Tribut. Die Psyche streikt, der Journalist leidet unter Depressionen. Als er 2012 während eines Einsatzes in Afghanistan von einer schweren Panikattacke erfasst wird, betätigt Zin die Reißleine. Er zieht sich zurück, um seinen Job und den persönlichen Antrieb dahinter grundlegend zu reflektieren. Auf der Suche nach Antworten spricht er auch mit Reporterinnen und Reportern, die Ähnliches oder noch Schlimmeres durchlebt haben.
In seiner Dokumentation Dying to Tell lässt Hernán Zin das Who is who des spanischsprachigen Kriegsjournalismus zu Wort kommen, Ehemalige wie Aktive. In ruhigen Interviewsequenzen, die immer wieder von Aufnahmen aus echten Einsätzen und verwackelten Nachrichtenbildern unterbrochen werden, erzählen sie von ihren Erfahrungen, ihren Gefühlen und ihren Bemühungen, das Erlebte zu verarbeiten, von der Rückkehr in ein normales Leben. Letzteres scheint beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, nicht zuletzt, weil Einige ihren Einsatz mit dem Leben bezahl(t)en. „Manche haben das Glück, rechtzeitig aufzuhören. Andere nicht“, heißt es immer wieder.
Dying to Tell erinnert an die, die nicht zurückkehrten
Die (Über-)Lebenden erinnern an die Toten. Etwa an Miguel Gil Moreno de Mora, der sich 1993 eine Auszeit von seinem regulären Beruf als Unternehmensanwalt nahm, um als Kameramann von den Kämpfen in Jugoslawien zu berichten, wo er sich zum Shooting Star der Kriegsberichterstattung aufschwang – und der 2000 durch einen Hinterhalt in afrikanischen Sierra Leone zu Tode kam. An José Couso, der 2003 in der irakischen Hauptstadt Bagdad durch den Beschuss eines US-Panzers starb. Oder an Julio Fuentes Serrano, der 2001 in Afghanistan – neben weiteren Journalistinnen und Journalisten – von den Taliban ermordet wurde.
Hörtipp: journalistenfilme.de – der Podcast #18: Kriegsberichterstattung im Film – Mythos und Realität, mit Kriegsreporterin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal.
Serranos Witwe Mónica G. Prieto, selbst lange Zeit als Kriegskorrespondentin tätig, gibt in Dying to Tell einen Einblick in ihr Innenleben. Sie ist erneut verheiratet, und zwar mit dem Kriegsjournalisten Javier Robles, der ebenfalls in der Doku zu sehen ist und davon erzählt, wie er 2013 in Syrien vom IS gefangen genommen und ein Jahr später erst wieder freigelassen wurde. Tragisch: Einzelne Reporter, die sich im Film vor den gefallenen Kollegen verneigen, wurden inzwischen vom Schicksal eingeholt. So wurden die Journalisten David Beriáin und Roberto Fraile 2021 in Burkina Faso von Extremisten getötet.
Wenig Pathos, aber auch wenig Erkenntnis
Die Ehrerbietung trägt Dying to Tell in gesetztem Ton, ohne viel Pathos, vor. Auch wenn alle ausnahmslos positiv von Verstorbenen sprechen, läuft der Film kaum Gefahr, in Legendenbildung zu verfallen und das Klischee vom kriegsberichtenden Adrenalin-Junkie zu bedienen. Allenfalls in den Erinnerungen an de Mora schwingt ein Hauch „Was für ein Teufelskerl!“ mit. Diejenigen, die zu Wort kommen, wirken nicht wie Hasardeure. Sondern wie Gezeichnete und Getriebene, Idealisten und pflichtschuldige Chronisten.
Womit wir bei der eingangs gestellten Frage wären: Was motiviert diese Menschen? Eine allgemeingültige Antwort gibt es wohl nicht. Die Erzählstruktur von Dying to Tell, mit ihrer Vielzahl an Interviewten, Geschichten und Kriegsschauplätzen, macht es nicht einfacher, einen schlüssigen Nenner zu finden. Klar ist am Ende nur: Dass Menschen aus Krisenregionen berichten, uns auf das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt aufmerksam machen, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Ergänzende Links
Dying to Tell zählt als Netflix-Produktion und ist daher auf der blogeigenen Übersicht Journalistenfilme auf Netflix zu finden.
Ähnlich therapeutischer Ansatz, filmisch etwas andere Hergehensweise: In Kandahar Journals arbeitet der Kriegsfotograf Louie Palu die seelischen Verwundungen auf, die er bei seinen Reisen nach Afghanistan erlitten hat.
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