Mass Effect verspricht maximale Entscheidungsgewalt. Darunter leidet die Presse in der Sci-Fi-Welt: ein Lagebericht aus einer fernen Galaxie.
Mass Effect verspricht maximale Entscheidungsgewalt. Darunter leidet die Presse in der Sci-Fi-Welt: ein Lagebericht aus einer fernen Galaxie.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Bioware/EA.
Zehn Jahre sind seit dem Release von Mass Effect 3 ins Land gezogen. Endlich habe auch ich es zur Party geschafft, um am mittlerweile reichlich abgestandenen Buzz rund um den kontroversen Abschluss der Sci-Fi-Trilogie zu nippen. Die Verdienstorden der Serienteile 2 und 1, nur echt in dieser Reihenfolge, zieren schon lange mein Revers. Um den finalen Einsatz allerdings drückte ich mich. Womöglich aus demselben Grund, weshalb ich mich nie ernsthaft an Lost heranwagte: Ich wollte mir von einem halbgaren Ende nicht das Erlebnis kaputtmachen lassen.
2021 erschien dann die Legendary Edition von Mass Effect und lockte mich zurück auf die Brücke der Normandy. Es war eine Rückkehr mit Höhen und Tiefen. Ich freute mich über das Wiedersehen mit alten Bekannten und ärgerte mich über mangelnden Gameplay-Feinschliff, den man von einer Portierung zum Vollpreis durchaus hätte erwarten dürfen. Ich durchlebte magic moments meiner Videospielkarriere erneut und schleppte mich durch den erzählerischen Leerlauf im Mittelteil des dritten Aktes.
Kalter Gaming-Kaffee: Das Ende von Mass Effect 3
Und doch konnte ich sowohl Spiel als auch Ende weitgehend genießen. Was auch daran lag – ich weiß nicht wie, aber es ist mir gelungen –, dass ich spoilerfrei durch die vergangene Dekade kam. Ich wusste wenig bis gar nichts. Mein Senf zum Schlussakkord? Ja, das Finale ist nicht überragend, es entlarvt, wie folgenlos bzw. beliebig viele der episch inszenierten Entscheidungen in Wahrheit sind. Und weil ich obendrein ziemlich bräsig bin, ließ ich meine Shepard ausgerechnet jene Auflösung wählen, die ich für ihre Geschichte am wenigsten vorgesehen hatte …
Aber egal. Ich bin nicht hier, um kalten Gaming-Kaffee aufzuwärmen. Sondern, ihr ahnt es, um mich über die journalistischen Nebenfiguren auszulassen, denen Shepard begegnet. Auffällig: Der Journalismus in Mass Effect ist ausnahmslos weiblich. Und obwohl jede der drei Figuren einen anderen Typus der Berichterstattung verkörpert, dienen sie einer gemeinsamen Agenda. Was aus der Vogelperspektive kein schönes Gesamtbild ergibt. Aber schauen wir uns die Journalistinnen zunächst in der 1-zu-1-Gegenüberstellung an.
Achtung: Wer, wie ich bisweilen, hinter dem Mond lebt und Mass Effect noch nicht durchgespielt hat, muss mit Spoilern rechnen!
Die Boulevardeske: Khalisah Bint Sinan Al-Jilani
Khalisah Bint Sinan Al-Jilani ist die berüchtigtste Reporterin innerhalb des Mass Effect-Universums. Was daran liegt, dass sie es (bzw. Shepards Umgang mit ihr) zum Internet-Meme geschafft hat. Al-Jilani ist die Schablone einer tendenziösen Sensationsjournalistin, die mit vorgefertigten Meinungen operiert. Entsprechend versucht sie, Shepard zu entlocken, was sie hören möchte, sie verdreht Worte und reißt Statements aus dem Zusammenhang. Früh kommt es zum Aufeinandertreffen. Während Shepard erstmals die Citadel besucht, eine Weltraumkonstruktion, die als intergalaktisches Zentrum fungiert, tritt sie unvermittelt an uns heran.
Die Story von Mass Effect zu rekapitulieren, führt an dieser Stelle zu weit. Fürs Verständnis reicht es – hoffentlich – zu wissen, worum es im Groben geht: Mitte des 22. Jahrhunderts entdeckt die Menschheit den Masseneffekt, ein technologisches Relikt einer alten außerirdischen Spezies, die Reisen in entfernte Galaxien ermöglicht. Damit erschließt sich den Menschen eine neue Welt, die von diversen Alien-Zivilisationen kolonialisiert und mit einer politischen Ordnung versehen wurde – und just bei Ankunft der Spielerin oder des Spielers auf die Probe gestellt wird. Eine fremde Macht in Gestalt der mysteriösen Reaper schickt sich an, die Galaxie auszulöschen. Wir werden von offizieller Seite mit den Nachforschungen betraut, als Exekutive der Menschheit schlägt uns aber auch ordentlich außerirdische Skepsis entgegen …
Das Geschäft mit der Angst funktioniert auch in Mass Effect
Die Ressentiments unter den Alien-Völkern sind wichtiger Bestandteil der Lore von Mass Effect. Mit ihrer Berichterstattung betreibt Al-Jilani gezielte Stimmungsmache. Denn unter dem Eindruck technologischer Anpassungsfähigkeit sowie militärischer Stärke fordern Teile der Menschheit politische Mitbestimmung ein. Die forschen Forderungen sind den arrivierten Spezies ein Dorn im Auge. Als Reporterin von Westerlund News ist Al-Jilani Sprachrohr dieses Aufbegehrens, sie möchte Shepard für die „gute“ Sache gewinnen. Immerhin repräsentieren wir den ersten Menschen, dem es gelang, in den Rang eines Spectres aufzusteigen. Ein Spectre ist in der Welt von Mass Effect eine Art Spezialagent mit nahezu uneingeschränkten Befugnissen. Ein besseres Testimonial kann man sich nicht ausdenken.
Je nachdem, wie wir unsere Figur anlegen, kann sich Shepard bei dieser Gelegenheit als Menschen-Hardliner outen oder aber, mit Blick auf die übergeordnete Bedrohung, an den Ausgleich zwischen den Völkern appellieren. Egal, wie wir uns entscheiden: Al-Jilani macht es uns einfach, sie zu hassen. Von Frage eins an zieht sie unsere Integrität in Zweifel, um uns in ein bestimmtes Licht zu rücken.
Ein Internet-Hit: Shepards schlagendes Dementi
Lassen wir sie gewähren, indem wir ihre Fragen so professionell wie möglich erdulden, kommt es im Spielverlauf zu weiteren Interviewsituationen, in denen wir wichtige Story-Entscheidungen rechtfertigen dürfen. Wir können aber auch jederzeit aus der Konversation aussteigen und stattdessen Fäuste sprechen lassen. Dann haben wir zwar keinen Einfluss mehr auf ihre Berichterstattung (die ja ohnehin vorgefertigt war), zumindest aber unsere Ruhe.
Brechen wir das Interview gewaltsam ab, zahlt dies auf unseren Renegade-Wert ein (Mass Effect arbeitet mit einem Gut-Böse-Moralsystem). Unangenehme Folgen oder gar spielerische Nachteile müssen wir jedoch nicht fürchten. Die Begegnung mit Al-Jilani ist nur eine unter vielen, jederzeit können wir problemlos auf den Pfad der Tugend zurückkehren. Das Spiel erlaubt es uns, der Versuchung zu erliegen. Wenn wir den Statistiken von Bioware glauben, dann haben sich Spieler*innen der Legendary Edition mehrheitlich dazu entschieden: Knapp 70 Prozent zeigten auf schlagende Weise, was sie von dieser Form der Berichterstattung hielten.
Ein Meme als Gefahr für die Pressefreiheit?
Das Fan-Feedback in Foren und Social Media ließ schon bei Erscheinen von Mass Effect 1 erkennen, welche Genugtuung Spieler*innen offensichtlich empfanden, wenn sie Al-Jilani mittels Ohrlaschen in die Schranken verwiesen. Daraus muss man nicht gleich die Verrohung unserer Gesellschaft oder eine Gewaltbereitschaft gegenüber Journalist*innen und/oder Frauen ableiten. Mass Effect ist ein Rollenspiel, das uns erlaubt, Dinge zu tun, die wir im echten Leben nicht tun dürfen. Dazu gehört, Arschloch-Charakteren wie Khalisah Al-Jilani eine Abreibung zu verpassen.
Problematisch wird das Ganze, wenn Entwickler Bioware aus der Prügelstrafe für eine lästige Reporterin einen Running Gag schustert. Tatsächlich bietet sich uns auch in den Nachfolgern die Chance, Al-Jilani per Schwinger aus dem Sendebetrieb zu knocken. Die Exit-Strategie ist immer dieselbe: Werden uns die Fragen zu bunt, können wir handgreiflich werden. Immerhin: Ziehen wir das Spielchen durch, ist Al-Jilani im dritten Teil vorgewarnt. Sind wir unachtsam, befördert sie uns auf den Boden der Tatsachen – doch: wer nicht gerade mit den Reflexen eines Faultiers hausieren geht, dürfte diese Schmach locker abwenden können.
Der intergalaktische Presserat schweigt
Aber: Durch das Déjà-vu dieses Schlagabtauschs verfestigt sich letztlich ein Bild, in dem Gewalt zum legitimen Mittel gegen unliebsame Berichterstattung erhoben wird. Über deren Einsatz mal hinweggesehen: Situativ mag es vielleicht die Richtige treffen, Al-Jilanis Absichten sind zweifelsohne unlauter. Die Gefahr besteht darin, dass Journalismus, aus einer bestimmten Perspektive betrachtet, fast immer als unliebsam wahrgenommen wird. Sei es, weil er Machenschaften aufdeckt, die andere geheim halten wollen. Oder weil die Fortsetzung unseres Lieblingsvideospiels in einer Rezension nicht so wegkommt, wie wir uns es gerne wünschen.
Auf dem Boden medienfeindlicher Narrative erntet ein solches Bild ungewollten Applaus. Kontraproduktiv ist auch, dass wir Al-Jianis boulevardesken Fledderei nur auf zweierlei Wegen begegnen können: Entweder wir fügen uns oder schlagen zu. Beide Optionen sind auf Dauer einfallslos wie unbefriedigend. Es muss ja nicht gleich die großangelegte Nebenquest um einen intergalaktischen Presserat sein, bei dem Shepard offiziell Beschwerde einlegt. Allerdings: Eine ambivalent angelegte Storyline, in der die Sensationsreporterin ihre Berichte reflektiert oder die uns in die Lage versetzt, ihre journalistische Herangehensweise nachzuvollziehen, hätte Al-Jilani definitiv verdient, wenn man sie schon als wiederkehrende Figur durch die Trilogie schleppt.
Die Investigative: Emily Wong
Natürlich kann man jetzt argumentieren: Das mit Khalisah Al-Jilani muss man nicht so eng sehen. Schließlich gibt es mit Emily Wong in Mass Effect einen positiv besetzten Gegenentwurf. Wong ist eine Investigativreporterin, die es sich nicht erlauben kann, haltlosen Gerüchten Glauben zu schenken. Weswegen sie sich – ebenfalls während unseres Erstbesuchs auf der Citadel – Hilfe suchend an Shepard wendet. Als Spectre steht uns „Top Secret“ schließlich förmlich auf die Stirn geschrieben.
Konkret können wir Wong dabei helfen, zwei Scoops an Land zu ziehen. Zunächst stehen kriminelle Strukturen auf der Citadel im Mittelpunkt ihres Interesses, haben wir ihr dabei geholfen, geht sie schließlich Unstimmigkeiten im Sicherheitsapparat der Raumstation auf den Grund. In beiden Fällen müssen wir sensible Daten aus dem regierungsnahen Umfeld sammeln. Freilich können wir uns dazu entscheiden, an den hehren Motiven der Journalistin zu zweifeln.
Commander Shepard wird zum Whistleblower
Weil wir uns spätestens nach der Begegnung mit Khalisah Al-Jilani ausrechnen können, dass uns Mass Effect ganz bestimmt keinen zweiten Aasgeier vorsetzen wird und eine Abfuhr unsererseits lediglich zur Konsequenz hat, dass wir Content verpassen, gibt es im ersten Spieldurchgang überhaupt keinen Grund, Emily Wong mit ihren Recherchen alleine zu lassen. Es sei denn, man verspürt eine tiefe Loyalität den intergalaktischen Obrigkeiten gegenüber. Ob wir nun den Abtrünnigen markieren oder in Diplomatenzungen reden: Da der Rat der Citadel ständig unsere apokalyptischen Warnungen in den Wind schlägt, wüsste ich jedoch nicht, woher derartige Gefühle stammen sollten.
Wie Emily Wong erst zur PR-Gehilfin, dann zur Märtyrerin wurde
Unterstützen wir Emily Wong, dient Shepard einem höheren Wohl und bekommt schließlich positive Karmapunkte gutgeschrieben. Für Emily Wong zahlen sich die Enthüllungen ebenfalls aus (wobei man über den ideellen Wert ihrer Belohnung geteilter Meinung sein kann, formal gesehen ist’s ein Karrieresprung). In Teil 2 tauscht Wong ihr Reporterinnen-Dasein gegen einen Studio-Job ein. Als Nachrichtensprecherin moderiert sie die Citadel News, kleine Video- und Sound-Schnipsel, die uns bei jedem Besuch der Citadel begleiten.
Das Finale erlebt sie nicht, nachdem sie von EA von der heldenhaften Reporterin zur PR-Erfüllungsgehilfin degradiert wurde: Für die Promotion von Mass Effect 3 ließ der Publisher die fiktive Figur via Twitter von einem Angriff der Reaper auf der Erde berichten. Einen Angriff, den sie, wie sich im Laufe sich überschlagender Kurznachrichten herausstellt, selbst provoziert: Die Feindschiffe werden durch die Wellen ihrer Übertragungen angelockt. In einem Akt der heroischen Verzweiflung steuert die Reporterin ihr Raumshuttle in einen Reaper.
Die Propagandistin: Diana Allers
Der Tod von Emily Wong macht in Mass Effect 3 den Weg frei für eine neue Journalistinnen-Figur: Diana Allers arbeitet für das Menschenmedium Alliance News Network als Krisenkorrespondentin. Sollte Allers tatsächlich einmal ernsthaft als Ersatz für die aufopferungsvolle Investigativreporterin Wong konzipiert worden sein, dann ist im Writer’s Room etwas gehörig schiefgegangen. Denn für eine Kriegsreporterin fällt sie mit einer verqueren, ja geradezu desaströsen Auslegung ihres Berufs aus.
Es geht schon bei der Annäherung – wo sonst? – auf der Citadel los. Allers tritt mit einem Vorschlag an Shepard heran, der sich für beide Seiten auszahlen werde. Nun klingen derartig ausformulierte Quid pro quo-Geschäfte im journalistischen Kontext grundsätzlich suspekt. Konkret sieht der Deal wie folgt aus: Für Kost und Logis und eine freie Mitreisegelegenheit zu den Brennpunkten der Galaxie verhilft Allers Shepard zu mehr Öffentlichkeit.
Ungewollte Schützenhilfe: Fragwürdige PR für Shepard
Journalistische Schützenhilfe, die vom Grundsatz her gut gemeint sein mag und sogar (zugegeben: rudimentäre) spielerische Auswirkungen hat: Schließlich ist sich die Galaxie, der Ereignisse der beiden Vorgänger zum Trotz, noch immer nicht der ultimativen Gefahr bewusst. Entsprechend könnte das All einen medialen Wachrüttler vertragen. Außerdem gehört es zu Shepards Zielen in Mass Effect 3, möglichst viele Kräfte für das letzte Gefecht zu mobilisieren. Lassen wir Allers aus dem Frachtraum der Normandy berichten, kann das die Kampfmoral unter den Menschen steigern.
Weil sich das aber nur in einem abstrakten wie lächerlich verschwindend geringen Zahlenwert äußert, ist die Galaxie im Umkehrschluss keineswegs dem Untergang geweiht, sollten wir von diesem journalistischen Kuhhandel Abstand nehmen. Dabei ist die Idee in der Praxis alles andere als unüblich. Im Grunde sucht Allers einen Weg, eingebetteten Kriegsjournalismus zu betreiben. Die Vorteile liegen auf der Hand: In Begleitung von Shepard genießt sie militärischen Schutz. Obendrein ist sie stets vor Ort, wo die Action spielt. Bilder für ihr Programm wird sie so immer generieren können. Ohne die wirtschaftliche Potenz ihres Auftraggebers zu kennen, behaupte ich mal: Allers wäre sonst wohl kaum in der Lage, einen Weltraum-Krieg zu covern.
Diana Allers macht es sich gemütlich im eingebetteten Journalismus
Den Chancen und Möglichkeiten des eingebetteten Journalismus stehen die Risiken gegenüber: Abhängigkeit von Truppenbewegungen, Gefahr von Einflussnahme. Hier gerät die Nummer in den falschen Hals. Obwohl diese Form der Kriegsberichterstattung schon lange existierte, wurde der „embedded journalism“ erst mit den US-Interventionen in Afghanistan und Irak zu Beginn der 2000er-Jahre zu einem feststehenden Begriff (eine etwas ausführlichere Geschichte des embedded journalism halte ich in meiner Filmbesprechung zu Whiskey Tango Foxtrot fest). Damals arbeiteten die USA mit einem festen Pool-System für Medienvertreter*innen, um die Macht über die Bilder zu wahren.
Nun ist es initial gar nicht Shepards Einfall, eine PR-Expertin an Bord der Normandy zu holen. Was die Sache umso schlimmer macht: Im vorauseilendem Gehorsam gibt uns Allers das, von dem sie glaubt, dass wir es im Sinn haben: die Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Das spielerische Prozedere ähnelt jenem, dem wir uns (also die meisten von uns) zuvor schlagend entzogen haben. Nach bestimmten Meilensteinen im Spielverlauf dürfen wir in kurzen Interviews Werbung für die eigene Sache machen. Wobei die beiden Enden des Spektrums möglicher Antworten noch immer dort liegen, wo sie von Al-Jilani in Mass Effect 1 fallengelassen wurden. Entweder wir beschwören die galaktische Einheit oder schwurbeln einen Allmachtsanspruch unserer Spezies hierbei. Das ist nach über 100 Spielstunden in dieser Welt nicht nur einfallsloses Writing, sondern Ausdruck eines erschreckenden Journalismus-Verständnisses.
Das Problem mit der Romanze
Vielleicht ließe sich der Karren aus dem Dreck ziehen, könnte man an irgendeiner Stelle medienkritische Bezüge entdecken. Falls es sie geben sollte, sehe ich sie nicht. Dieser Hurrapatriotismus, der im Angesicht des unvermeidlichen Endkampfes ja durchaus zum epischen Tenor beiträgt, ist gewollt. Und als ob die Figur nicht schon diskreditiert genug wäre, dürfen wir sie nach Sendeschluss zum Liebesspiel in die Captain’s Corner lotsen.
Zugegeben: Über den gesamten Spielverlauf hinweg gibt uns Mass Effect die Möglichkeit, mit einer Vielzahl von Charakteren kleine und größere Romanzen einzugehen. Warum sollte Diana Allers eine Ausnahme darstellen? Nun, vielleicht weil sie Journalistin ist, und der Austausch von Informationen gegen sexuelle Gefälligkeiten per se etwas Anrüchiges birgt. Vor allem aber, weil das Klischee von der Journalistin, die ihre Recherchen in der Horizontalen anfertigt, aus dem Baukasten schlecht geschriebener Frauenrollen verbannt gehört. Unschön: Das Spiel lässt es uns offen, Allers nach vollzogenem Schäferstündchen vor die Luke der Normandy zu setzen.
Eine echte Reporterin als Vorbild: Jessica Chobot
Um den Gipfel der Irritationen zu erklimmen, die die Figur in mir auslöst: Allers ist der echten Reporterin Jessica Chobot nachempfunden. Optisch wie auch stimmlich: Chobot vertonte ihr virtuelles Abbild gleich selbst. Ihre „Besetzung“ sorgte für eine Kontroverse, war sie seinerzeit für ihre Arbeit für die News- und Review-Seite IGN bekannt. Wer sich nur ansatzweise für Videospieljournalismus begeistert, der weiß, wie wenig es braucht, damit das Netz „Kupplungsgeschäft!“ raunt.
Sowohl Chobot und IGN als auch Bioware/EA mühten sich, den Verdacht zu zerstreuen, was längst nicht alle überzeugte – womit wir auch wieder bei einem gesteigerten Medienmisstrauen angelangt wären. Unabhängig davon: Ich würde gerne wissen, was Chobot wirklich über die Ausgestaltung der Figur dachte. In einem Interview mit Gamezone zeigte sie sich „pretty damn pleased“. Im selben Gespräch betonte sie aber auch, dass die kreative Hoheit über die Figur zu „100 Prozent“ bei Bioware lag.
Fazit: Sind die Journalistinnen in Biowares Mass Effect-Trilogie noch zu retten?
Was lässt sich zu den drei Reporterinnen in Mass Effect festhalten? Bis hierhin notiert der Spielbericht eine 1:2-Niederlage aus Sicht der journalistischen Integrität, eine ernsthaft recherchierende Journalistin steht zwei nutznießenden Kolleginnen gegenüber. Unterm Strich fällt die Schlappe deutlicher aus, als es das reine Ergebnis aussagt. Khalisah Al-Jilani mag noch als Standard-Type, als Nachrichtenverdreherin vom Dienst durchgehen. Die Figur der Diana Allers hingegen ist eine glatte Katastrophe. Wenn sich irgendjemand etwas dabei gedacht hat, dann schlummert in dieser Geisteshaltung eine verstörende Auffassung vom (Krisen-)Journalismus.
Umgekehrt ist das Positivbeispiel Emily Wong nicht mehr als das Abziehbild einer investigierenden Reporterin. Mass Effect erörtert in keinem Moment seiner Spielzeit, welche Funktionen diese Figuren eigentlich erfüllen. Nachrichten in dieser Welt sind nicht mehr als ein atmosphärisches Grundrauschen, ein Echo unserer Story-Entscheidungen, die uns eintrichtern sollen, wie tief die Fußspuren sind, die wir als Spieler*innen hinterlassen. Echte Auswirkungen haben diese Berichte nicht. Unsere Spielfigur wird weder bekannter, noch eilt uns ein besonders helden- bzw. zweifelhafter Ruf voraus.
Der Journalismus als Teil einer Illusion
Das ist okay. Schließlich sind wir hier, um die Galaxie zu retten. Da bleibt keine Zeit, das Beziehungsgeflecht zwischen medialer Berichterstattung und öffentlicher Wahrnehmung vor der Kulisse einer extraterrestrischen Mulitkulti-Gesellschaft zu entwirren. André Peschke und Jochen Gebauer vom Auf ein Bier-Podcast zeigen in ihrer epischen Analyse der Mass Effect-Trilogie auf, wie alles in dem Rollenspiel darauf ausgerichtet ist, die „Power Fantasy“ der Spieler*innen zu befriedigen.
Das journalistische Schaffen der genannten Reporterinnen stellt dabei keine Ausnahme dar. Was gesendet wird, ob überhaupt gesendet wird, ist einzig vom Goodwill Shepards abhängig. Selbst die fähige Emily Wong ist darauf angewiesen, dass wir die notwendigen Informationen beschaffen (wobei Whistleblower durchaus eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Investigativrecherchen sind). Andersherum müssen Angriffe auf die Pressefreiheit ungesühnt bleiben, wenn die Illusion einer spielerischen Allmacht gewahrt bleiben soll.
Khalisah Al-Jilani, Emily Wong und Diana Allers sind Lakaien dieser Illusion. Das schmälert die Spielerfahrung nicht. Mass Effect ist und bleibt eine der packendsten Space Operas der Videospielgeschichte, auch zehn Jahre nach dem viel diskutierten Abschluss der Serie. Doch was die tradierten Bilder vom Journalismus betrifft, entpuppt sich Mass Effect als trübe Dystopie.
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Teil 1 ist eine Masterclass in Sachen World Builing, Teil 2 überzeugt mit tollen Erzählungen rund um Shepards Crew, Teil 3 führt die Geschichte anständig zu Ende. Trotz eines fragwürdigen Journalismus-Verständnisses: Eine großartige Spieleserie. Wer die Trilogie nachholen oder grafisch aufgemotzt erneut leben möchte: Über den folgenden Affiliate-Link kannst Du das Spiel direkt bei einem großen eVersandhaus beziehen. Du zahlst nicht mehr als sonst, allerdings wird vom Kaufbetrag eine kleine Provision für mich abgezwackt. Was hier zusammenkommt, fließt in den Betrieb von journalistenfilme.de. Daher: Danke für deine Untersützung!
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