Schulterblick in der Redaktion: Hinter den Schlagzeilen begleitet Investigativjournalisten der Süddeutschen Zeitung bei ihrer Arbeit.
Schulterblick in der Redaktion: Hinter den Schlagzeilen begleitet Investigativjournalisten der Süddeutschen Zeitung bei ihrer Arbeit.
Der Redaktionsbetrieb als Peepshow: Journalistische Schaffensprozesse zu dokumentieren liegt im Trend. Man denke an Alexander Nanaus oscarnominierten Film Colectiv, der die Enthüllung eines weitreichenden Medizinskandals durch eine rumänische Sportzeitung festhält. Oder an die Ende 2020 veröffentlichte Doku-Serie BILD.Macht.Deutschland?, die nie dagewesene Einsichten in den Boulevardjournalismus versprach, aber zum überlangen Infomercial eines sendungsbewussten Mediums geriet. Mit Hinter den Schlagzeilen kündigt sich der nächste Schulterblick an: Der Film begleitet Investigativjournalisten der Süddeutschen Zeitung bei ihrer Arbeit.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Real Fiction.
Wenn der Informationsvorsprung zur Last wird: 2018 gelangt das Investigativressort der Süddeutschen Zeitung (SZ) in den Besitz eines heimlich aufgenommenen Videos, das den österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache während eines konspirativen Treffens in einer Villa auf der spanischen Party-Insel Ibiza zeigt. Der FPÖ-Politiker hofiert eine vermeintliche, russische Oligarchin und signalisiert seine Korruptionsbereitschaft. Die Veröffentlichung dieser Aufnahmen im Mai 2019 löst ein politisches Beben aus.
Die Zeit von der Erstsichtung des Videos und bis zum finalen Scoop kommt einer emotionalen Berg- und Talfahrt gleich. Vom Gipfel der Recherchen betrachtet, wirkt die Aussicht auf eine Geschichte, die Sprengstoff birgt, euphorisierend. Im Tal der Tatsachen angekommen, hängen Zweifel wie dunkle Wolken über der Arbeit von Wochen und Monaten. Wann und ob die Fahrt fortgesetzt werden kann, scheint in diesen Momenten ungewiss.
Herausforderungen des modernen Investigativjournalismus
Hinter den Schlagzeilen setzt in einer Phase des Nicht-Vorwärtskommens ein. Weder liegt der SZ-Redaktion das Einverständnis des Whistleblowers vor, das Video zu veröffentlichen, noch ist die Echtheit des Materials bestätigt. Und selbst wenn beide Kriterien erfüllt wären, dann bleibt noch immer zu klären, inwieweit die verdeckte Videoaufnahme rechtskonform veröffentlicht werden darf. Mürbe reibt sich der Investigativjournalist Bastian Obermayer die Augen: „Mich nervt, dass wir seit Monaten von diesem Scheiß wissen – aber wir wissen nicht, ob wir die Geschichte machen können.“
Diese Ungewissheit zu zerstreuen, gehört zur Aufgabe von Investigativjournalist*innen. Wie schwer es ist, den gordischen Knoten einer Recherche zu zerschlagen, davon erzählt Hinter den Schlagzeilen. Der Film begleitet die SZ-Reporter Bastian Obermayer und Frederik Obermaier bei ihrer Arbeit, die von vielen Unwägbarkeiten, aber auch Abhängigkeiten geprägt ist. Gerade das Zusammenspiel von Journalist*innen und Whistleblower*innen ist für den investigativen Journalismus von elementarer Bedeutung. Doch: „Der Informant traut dem Journalisten nicht unbedingt und den Journalisten interessiert der Informant nicht mehr, wenn er seine Funktion erfüllt hat“, wird gleich zu Beginn erklärt. Und das nicht von irgendjemandem. Sondern vom bestmöglichen, weil prominentesten Testimonial, das diese Dokumentation wohl hätte gewinnen können: Edward Snowden.
Ein Werbefilm für die Süddeutsche Zeitung?
Von Minute eins ist klar: Bei der SZ werden journalistisch große Räder gedreht. Bevor böse Erinnerungen an die seriengewordende Profilneurose Bild.Macht.Deutschland? wachwerden: Nach diesem selbstzweckhaften Einstieg – Edward Snowden ward nicht mehr gesehen – bemüht sich der Film, sowohl Merkmale als auch Herausforderungen des modernen Investigativjournalismus herauszuarbeiten. Die zunehmende Komplexität unserer globalisierten Welt etwa, der Journalist*innen mit einer stärkeren Vernetzung sowie der Bildung von internationalen Recherche-Kollektiven begegnen. Die Enthüllung der Panama Papers, an der auch SZ-Journalist*innen beteiligt waren, ist ein Beispiel für den Erfolg einer redaktions- und länderübergreifenden Zusammenarbeit.
Gleichzeitig ist und bleibt der Journalismus ein Geschäft, das von exklusiven Geschichten lebt. So sehen wir Frederik Obermaier und seinem ARD-Kollegen Philipp Grüll dabei zu, wie sie Sicherheitskonferenzen in aller Welt abklappern, um Hintergründe über einen einflussreichen Waffenhändler in Erfahrung zu bringen, der in Verbindung mit dem iranischen Atomraketen-Programm stehen soll. Investigativer Journalismus ist ein Marathon, der Beharrlichkeit und Geduld erfordert. Und selbst bei aller Vorbereitung und Sorgfalt immer das Risiko des Scheiterns birgt.
Eine ermordete Bloggerin, ein Waffenhändler und ein korrupter Vizekanzler
Ähnlich ergeht es Bastian Obermayer, der auf Malta der Ermordung der Bloggerin Daphne Caruana Galicia nachspürt. Weil die maltesische Politik die Aufklärung nur halbherzig vorantreibt, scheint eine Drahtzieherschaft auf höchster Ebene zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen. Der Fall steht exemplarisch für die Gefahr, der sich Journalist*innen weltweit zunehmend ausgesetzt sehen. Medienkritische Narrative, geschürt durch nationalistische Stimmen, ließen Angriffe auf „unliebsame“ Reporter*innen wie „den nächsten logischen Schritt“ erscheinen. Zurück in der Münchener SZ-Redaktion, endet auch diese Episode offen.
Gut, dass es noch das Strache-Video gibt. Die Recherchen im Vorfeld und die Hochphase unmittelbar vor der Veröffentlichung nehmen den Löwenanteil der Dokumentation ein. Dabei geht es in Hinter den Schlagzeilen weniger darum, einen journalistischen Best Case zu zelebrieren, sondern viel mehr den Prozess und die Entscheidungen dahinter transparent zu machen. Denn die Veröffentlichung unmittelbar vor den Europawahlen 2019 rief auch Kritiker*innen, nicht zuletzt aus dem rechtskonservativen Lager, auf den Plan, die den federführend recherchierenden Medien – die SZ und Der Spiegel – Kampagnenjournalismus unterstellten. Auch löste die Affäre eine Debatte darüber aus, inwieweit Journalist*innen die Motive von Whistleblowern hinterfragen und im Zuge ihrer Berichterstattung berücksichtigen sollten. In Hinter den Schlagzeilen legen die handelnden Personen ihre Sicht auf die Dinge dar. Dass der Film auch als Fingerzeig an die Fake News-Fraktion zu verstehen ist, wird dabei ziemlich deutlich.
Der dokumentarische Stil von Hinter den Schlagzeilen
Inszenatorisch bricht Hinter den Schlagzeilen die Beobachterperspektive immer wieder mit Einspielern auf, in denen beide Reporter und andere Mitstreiter*innen aus dem Redaktionskosmos ihre Gedanken reflektieren. Die Einordnung ist den Porträtierten ein spürbar wichtiges Anliegen, und wenn sie uns an ihrer Gefühlswelt teilhaben lassen, dann verdienen sich diese Interviews ihre Daseinsberechtigung. Manchmal allerdings protokollieren sie nur das bereits Gesehene.
Wie in Colectiv gehören jene Momente zu den stärksten, wenn die Anwesenheit der Kamera ausgeblendet scheint. Die Nervosität im Augenblick eines entscheidenden Rückrufs, die Enttäuschung, wenn eine vermeintlich heiße Spur erkaltet, die Anspannung kurz vor Redaktionsschluss – kurz: der Druck, der auf den Journalist*innen lastet – wird greifbar. Die Protagonist*innen sind auf ihre Arbeit fokussiert, da bleibt keine Zeit für Inszenierungen.
Ein bisschen Werbung, ein wenig Krimi – macht eine empfehlenswerte Doku
Freilich: Hinter den Schlagzeilen ist Werbung für den Berufsstand und auch eine Visitenkarte des SZ-Investigativressort, fällt aber nicht durch übermäßiges Schulterklopfen auf. Regisseur Daniel Sager gelingt es, einen erzählerischen Bogen zu spannen, der auch Momente der Ra(s)tlosigkeit aushält. Keine Frage: Richtig spannend wird’s, wenn Ibizagate in den Mittelpunkt rückt und die Dokumentation zum Recherche-Krimi wird. Wir fiebern mit den SZ-Journalist*innen mit, obwohl der Ausgang bekannt ist. Die Stärke von Hinter den Schlagzeilen ist, dass der Film nicht der Versuchung erliegt, eine Heldengeschichte zu erzählen, sondern stets die Möglichkeit des Scheiterns vor Augen hält. Und so die wahren journalistischen Leistungen sichtbar macht.
Hinter den Schlagzeilen ist der Eröffnungsfilm des DOK.fest München 2021, das auch in diesem Jahr digital stattfindet. Am 5. Mai, ab 20.30 Uhr, ist der Film online abspielbar. Infos und Vorverkauf auf der Homepage des Festivals. Der Film wurde mir dankenswerterweise vom Presseteam des DOK.fest vorab zugänglich gemacht.
Mehr zu den Strache-Recherchen der Süddeutschen Zeitung:
- Themenseite Das Strache-Video.
- Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte nach dem Beben der Öffentlichkeit: “So sind wir nicht. So ist Österreich nicht.” Doch stimmt das? Der Geschichte politischer Korruption in Österreich geht der SZ-Podcast “Going to Ibiza” nach. Die erste Episode ist kostenfrei abrufbar.
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