Das Millionenspiel lässt Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. An diesem TV-Schauspiel sind auch echte Reporter*innen beteiligt.
Das Millionenspiel lässt Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen. An diesem TV-Schauspiel sind auch echte Reporter*innen beteiligt.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Studio Hamburg Enterprises / WDR.
Bernhard Lotz (Jörg Pleva) befindet sich auf der Flucht. Seit sieben Tagen versucht der Leverkusener, einem Auftragskiller-Trio, der sogenannten Köhler-Bande, zu entwischen. Treibende Kraft hinter dieser Menschenjagd sind der fiktive Privatsender TETV und die Initiative aktive Freizeitgestaltung, die einfache „Menschen zu Helden und Schurken“ stilisiert. Denn die Hatz ist das grundlegende Konzept einer Unterhaltungsshow namens Das Millionenspiel. Als 15. Kandidat steht Lotz kurz vor dem Ziel, das große Finale zur besten Sendezeit wird zum Straßenfeger. Die Republik fiebert nicht nur mit, sondern greift aktiv in das Geschehen ein…
Die Anekdote ist legendär: Nach der Ausstrahlung im Ersten sollen sich interessierte Zuschauer als Teilnehmer angeboten haben – so echt wirkte das, was am 18. Oktober 1970 über die Bildschirme flimmerte. Der Fernsehfilm Das Millionenspiel gilt als Meilenstein deutscher TV-Geschichte und als Husarenstreich eines Drehbuchautors, der zum Star wurde: Wolfgang Menge, auch bekannt als geistiger Vater von „Ekel“ Alfred Tetzlaff aus der satirischen Familienserie Ein Herz und eine Seele. Für das Buch von Das Millionenspiel ließ sich der gelernte Journalist von der Kurzgeschichte The Prize of Peril aus der Feder des US-Schriftstellers Robert Sheckley inspirieren.
Das Millionenspiel nimmt den heutigen TV-Voyeurismus vorweg
Das Millionenspiel nimmt inhaltlich nicht nur Motive aus späteren Filmen wie Running Man, The Condemned, Battle Royal oder auch Die Tribute von Panem vorweg (gleichwohl gibt es mit Das zehnte Opfer einen italienisch-französischen Beitrag aus dem Jahre 1965, der ebenfalls auf einer Geschichte von Sheckley beruht und eine morbide Gameshow in den Mittelpunkt rückt). Der Fernsehfilm erweist sich als visionär, indem er Entwicklungen des (Privat-)Fernsehens sowie TV-Voyeurismus vorzeichnet. Auch wenn uns die mörderische Komponente erspart geblieben ist: 50 Jahre später kennen wir genügend Beispiele für Show- und Reality-TV-Formate, die die Grenzen der Moral und des guten Geschmacks überschreiten.
Gerade weil Menschenopfer – im übertragenen Sinne – zum Zwecke der Unterhaltung keine Hemmschwelle mehr darstellen, hat der Klassiker nichts von seiner Wirkung einbüßt. Das Millionenspiel lässt die Grenzen zwischen Film und Fernsehrealität verschwimmen. Die zentrale Samstagabendshow wird mit Dieter Thomas Heck von einem echten TV-Gesicht präsentiert. Wir blicken hinter die Kulissen, wo die Produktionsverantwortlichen eine quotenträchtige Dramaturgie ausklügeln und den weiteren Verlauf der Ereignisse manipulieren. Es gibt Werbespots, in denen der omnipräsente Stabilelite-Konzern Produkte lobpreist, die allesamt auf das menschliche Bedürfnis der Selbstoptimierung abzielen. Die Höhepunkte der Jagd werden wie eine Sportberichterstattung zusammengefasst. Außenreporter begeben sich auf Stimmenfang, befragen Passanten zu ihrer Meinung zur Sendung und interviewen in ruhigen Momenten die Protagonisten der Show. Unheimliche Erinnerungen an journalistische Jagdszenen, wie man sie etwa während des Geiseldramas von Gladbeck erlebte, werden wach.
Mister Sportschau interviewt die Mörderbande Köhler
In diesen Einspielern sorgen erneut reale TV-Persönlichkeiten für zusätzliche Authentizität. Unter anderem sind echte Reporter*innen wie Gisela Marx, Werner Sonne oder Heribert Faßbender im Einsatz. Mister Sportschau darf in einer Szene am Kölner Hauptbahnhof die Köhler-Bande interviewen. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Maschinenpistole, die einer der Killer zur Schau trägt. „Für wie viel Personen würd’s ausreichen?“, fragt Faßbender. „Für 20 reicht’s dicke“, überschlägt Menschenjäger Witte (Josef Fröhlich). In den Augen des grimmigen Banden-Chefs, gespielt von „Diddi“ Hallervorden (!), ist das Frage-Antwort-Spielchen kurz vor Toreschluss ein lästiger Showstopper. Faßbenders Nachbohren hinsichtlich früher Arbeitsverhältnisse der Mordbuben quittiert er mit einem „Ich weiß jedenfalls, welchen Job ich nicht machen würde. Ihren.“ „Zumindest muss ich nicht schießen“, pariert Faßbender. Ein heuchlerisches Eigentor.
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