Wa(h)re Verbrechen: In Dominic Senas Kalifornia schreibt der True Crime-Journalist Brian Kessler an einem Buch über Serienkiller.
Wa(h)re Verbrechen: In Dominic Senas Kalifornia schreibt der True Crime-Journalist Brian Kessler an einem Buch über Serienkiller.
Doch ihm fehlt der richtige Zugriff. Eine Reise zu den Schauplätzen berühmter Mordfälle soll seinem Vorhaben auf die Sprünge helfen. Bald schon kommt er mit dem Thema näher in Berührung als ihm lieb ist. Wobei er sich im Nachhinein nicht beschweren kann: Für Brians Buchprojekt erweist sich die Begegnung mit Serientäter Early als Segen.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Universal Pictures.
Zur Person: Brian Kessler (David Duchovny) ist jung, unangepasst und erfolgreich. Okay, das mit dem Erfolg ist etwas voreilig geurteilt. Brian muss noch unter Beweis stellen, dass sein Artikel über Serienkiller mehr als nur ein One-Hit-Wonder ist. Die Chance dazu bietet sich: Eine vielbeachtete Veröffentlichung hat dem Journalisten einen Bücher-Deal eingebracht. So ein Buch schreibt sich allerdings nicht von alleine. Im Magazin passten seine Recherchen auf vier Seiten, nun muss er etwas weiter ausholen. Doch alles, was der Journalist über Serienmörder zusammengetragen hat, stammt aus den Wälzern seiner Uni-Bibliothek. Dabei weiß Brian auch: „People don’t kill in libraries“.
Ein pilgerhafter Road-Trip durch die Staaten, vorbei an den Schauplätzen berühmter Morde, soll die nötige Inspiration fürs Erstlingswerk liefern. Brian muss durch seine Augen sehen, was die Killer sahen, um mehr über deren Psyche zu erfahren. Unterstützung erhält er von seiner Freundin Carrie (Michelle Forbes): Tatsächlich ist es die Fotografin, die ihrem Brian den finalen Ruck gibt, den dieser benötigt, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen – verbunden mit der Sehnsucht nach einem Neustart in Kalifornien. Im Sunny State erhoffen sich beide größere Anerkennung für ihre kreative Arbeit. Eine Hürde gilt es allerdings noch zu nehmen: Brians Vorschuss ist beinahe aufgebraucht. Um die Kosten zu halbieren, holt Brian das Pärchen Adele (Juliette Lewis) und Early (Brad Pitt) an Bord ihres Convertibles. Er ahnt nicht, dass Early ein ausgewiesener Kenner jener Materie ist, die er zu ergründen versucht…
Kalifornia: Brian Kessler ist der direkte Vorläufer von Fox Mulder
Der Film: Kalifornia ist ein kleine, fiese Thriller-Perle aus dem Jahre 1993. Hervorragend besetzt, standen alle vier Hauptdarsteller zum Zeitpunkt der Dreharbeiten am Anfang ihrer Karrieren.
David Duchovny startete noch im selben Jahr der Veröffentlichung von Kalifornia als Fox Mulder in der Mystery-Serie Akte X durch. Rückblickend gesehen steckt in der Rolle des Brian Kessler bereits eine Menge Mulder: Beide Figuren sind auf ihre Art Besessene, die die Wahrheit ans Licht zerren wollen. Dabei denkt Journalist Kessler weniger wie ein klassischer Reporter, sondern wie ein Profiler – Mulders ursprüngliches Beschäftigungsfeld beim FBI, bevor der in die Abteilung für Übernatürliches wechselt.
Michelle Forbes war 1993 vor allem Trekkies ein Begriff. In Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert war sie in mehreren Episoden als Bajoranerin Ro Laren zu sehen. Juilette Lewis hatte bereits als Teenager Filmerfahrung gesammelt – unter anderem als Filmtochter von Chevy Chase in Schöne Bescherung – und 1991 in Martin Scorcseses Kap der Angst auf sich aufmerksam gemacht. Für ihre Rolle der Tochter des Anwalts Samuel Bolden (Nick Nolte), der von einem rachsüchtigen Ex-Mandaten (Robert DeNiro) terrorisiert wird, war Lewis mit dem Golden Globe und einer Oscar-Nominierung ausgezeichnet worden.
Juilette Lewis und Brad Pitt brillieren als White Trash-Pärchen
Brad Pitt legte mit seiner Darstellung des unberechenbaren Killers Early den Grundstein für seinen Ruf als wandelbarer Charaktermime. Der heutige Superstar war damals dank seiner Auftritte in Ridley Scotts weiblichem Road-Movie Thelma & Louise und Robert Redfords Aus der Mitte entspringt ein Fluss (in dem Film arbeitet Pitts Figur zeitweise als Lokaljournalist) auf dem besten Weg zum Hollywood-Beau. Einen Weg, den er mit Filmen wie Interview mit einem Vampir oder Rendezvous mit Joe Black teilweise noch weiter beschritt. Daneben kultivierte er mit Rollen in 12 Monkeys, Fight Club oder Snatch sein Faible für abseitige Figuren.
Gerade das Zusammenspiel Pitt/Lewis – beide waren zu diesem Zeitpunkt auch im echten Leben ein Paar – macht Kalifornia zu einem unangenehmen Sehvergnügen. Das Unbehagen, das insbesondere Carrie empfindet, überträgt sich auf den Zuschauer. Wir wissen zwar von Beginn an, dass Early ganz sicher kein Philanthrop ist. Wie Pitt aber nach und nach die Fassade seiner Figur bröckeln lässt, immer mehr von seinem mörderischen Irrsinn preisgibt, ist beängstigend. Hinzu gesellt sich Adeles unerträgliche Naivität, die uns nicht vergessen lässt, dass wir es mit benachteiligten Individuen am Rande der Gesellschaft zu tun haben. Wir empfinden Abscheu, aber auch Mitleid für das White Trash-Pärchen. Zugegeben, das alles geschieht unter Zuhilfenahme des Holzhammers. Dennoch (oder deswegen) ist Kalifornia ein intensiver Film.
Kalifornia nimmt das Wesen einer Reportage an
Funktion: Brian Kessler ist nicht nur Hauptfigur, sondern gleichzeitig der Erzähler des Films. Als solcher ordnet er die Ereignisse ein, stellt Fragen, die noch zu beantworten gilt: Klassische Aufgaben eines Journalisten. Durch die Beförderung des Reporters zur narrativen Instanz nimmt Kalifornia das Wesen einer Reportage an. Inhaltlich nimmt die Erzählung jedenfalls das Buch vorweg, das Brian noch schreiben wird.
Eine Reportage zeichnet sich dadurch aus, dass der Reporter die Distanz der reinen Nachricht aufgibt und stattdessen eine gewisse Nähe zu seinem Gegenstand der Berichterstattung eingeht. Das kann schon ein bloßes „Dabeisein“, eine Anwesenheit zum Zwecke der Beobachtung, sein. Der Grad der Subjektivität schwankt, je nach Herangehensweise, von der Wahrung objektivierender Kriterien (es wird nur das wiedergegeben, was passiert) bis hin zur völligen Aufgabe jeglicher Sachlichkeit*. So oder so: Hinter der Darstellungsform der Reportage steckt die Idee, Erlebnisse und Erfahrungen anderer greifbar zu machen.
*Ein extremes Beispiel ist der Gonzo-Journalismus von Hunter S. Thompson. Siehe auch: Fear And Loathing in Las Vegas.
Der Ansatz ist fragwürdig, der Erfolg gibt Brian Kessler Recht
Brian Kessler passt seine Herangehensweise entsprechend an. Sein erworbenes Theoriewissen reicht nicht aus, um ein Buch zu Papier zu bringen. Jedenfalls keines, dass sich ordentlich verkaufen ließe. Weshalb sich der Journalist entschließt, in die Gedankenwelt von Serienkillern hinabzusteigen. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, inwieweit ein solches Unterfangen zu bewerkstelligen ist, erscheint Brians grundsätzlicher Ansatz zweifelhaft: Er verlässt sich darauf, Schauplätze „sprechen zu lassen“. Interviews, die wissenschaftlich anerkannt Aufschluss über innere Empfindungen und Motivationen geben könnten, stehen nicht auf der Tagesordnung. Was Brian auf diese Weise mit seinem Tonband festhalten kann, sind lediglich persönliche Sinneseindrücke sowie psychologische Annahmen. Oder: Nichts weiter als Spekulationen. Ausgerechnet der beschränkte Early entlarvt Brians Schwindel: „Tell me, big shot, how you gonna write a book about something you know nothing about.“
Brians Vergehen aus journalistischer Sicht ist, zu glauben, sein Buch schreibe sich im Vorbeifahren. Fairerweise muss man sagen: Wir wissen nicht, welche Vorarbeiten bzw. Nachbereitungen anfallen, völlig unvorbereitet sucht er Reporter die vielen Tatorte jedenfalls nicht auf. Je weiter er nach Westen vorstößt (die alte Goldgräber-Metapher), desto mehr verschiebt sich allerdings der Fokus seiner Berichterstattung. Die untersuchten Mordfälle rücken in den Hintergrund, zum Berichtsanlass wird mehr und mehr die Reise (ins eigene) selbst. Man könnte Brian vorwerfen: Der Journalist macht es sich leicht(er), als er merkt, dass er in einer Sackgasse steckt. Man könnte aber auch Brians „Glücksgriff“ mit Early neidlos anerkennen: Wer würde noch kilometerlange Recherche-Umwege fahren, wenn das Bestsellermaterial zu einem ins Auto steigt?
Kalifornia und die Probleme des True Crime-Genre
Und sonst? Kalifornia ist ein fiktives Stück über das True Crime-Genre, eine Gattung, die in den vergangenen Jahren besonders boomte. Man denke an die Welle der Crime-Doku-Serien, die Netflix’ Making a Murderer los getreten hat, oder aber an die Vielzahl der Magazine, Bücher und Podcasts zu diesem Thema. Der Film deutet an, welche Probleme dieses Genre birgt. So verläuft die Grenze zum Voyeurismus fließend, die Frage „Was für Menschen sind zu solchen Taten fähig?“ zielt darauf ab, Mördern ihre Menschlichkeit abzusprechen, während sie unsere moralische Überlegenheit betont – und doch üben diese Verbrechen und die Figuren, die sie begehen, eine morbide Faszination auf uns aus.
Brian und Carrie, von einem Hinterbliebenen, der die Vergangenheit einfach nur vergessen möchte, als „verdammte Ghule“ gebrandmarkt, versetzt die Konfrontation mit dem Tod derart sexuell in Wallung, dass sie übereinander herfallen. Später erwischt Carrie wiederum Early und Adele beim Sex auf der Rückbank ihres Autos. Sie ist auch deswegen schockiert, weil der Akt der beiden ihre eigene Erregung spiegelt. Denn das ist eine der zentralen Aussagen, die der – alles andere als unvoyeuristische – Film trifft: Dass der Grat zwischen Vernunft und Wahnsinn äußerst schmal iund jeder unter gewissen Umständen fähig ist, das Leben eines Anderen zu beenden.
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Kalifornia ist ein fieser, ungemein spannender Thriller. Wenn Du den Film auf Scheibe suchst: Die BluRay wird aktuell zu Schweinepreisen handelt. Vielleicht ist die Brad Pitt-Box (inkl. Fight Club, Thelma & Louise) einen Blick wert – die ist derzeit erschwinglicher. Mit einem Kauf über den folgenden Affiliate-Link unterstützt Du journalistenfilme.de.
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