Eine Reporterin deckt die Machenschaften der Tabakindustrie auf. Eigentlich müsste Heather Holloway eine gefeierte Heldin sein.
Eine Reporterin deckt die Machenschaften der Tabakindustrie auf. Eigentlich müsste Heather Holloway eine gefeierte Heldin sein.
Stattdessen wird sie in Thank You For Smoking zur Rechenschaft gezogen. Weil sie mit ihrem Informanten ins Bett gestiegen ist. Fubar. Wie kann sie nur? Wir gehen auf Ursachenforschung.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: 20th Century Fox.
Wer sich mit der Darstellung von Journalistinnen im Film befasst (oder Stammleser auf journalistenfilme.de ist), der weiß: Heather Holloway ist nicht die einzige Filmjournalistin, die den Tauschhandel Infos gegen Sex vollzieht. Wann immer eine schöne Reporterin die Leinwand betritt, sind sexuelle Spannungen vorprogrammiert. Es muss nicht immer zum Äußersten kommen. Manchmal reicht das Anbandeln (wie bei Maddy Bowden in Blood Diamond). Aber irgendwas ist immer. Spontan fallen mir nur die großen Journalistenfilmen aus diesem Jahr ein, die ohne Bettgeschichten auskamen. In einem Film wie Spotlight, der den Missbrauch von Kindern thematisiert, wäre das aber auch äußerst pietätlos. Und Mary Mapes aus Der Moment der Wahrheit wird von ihrer Umwelt als “Ultrafeministin” wahrgenommen. Wer will da schon ran?
Vielleicht bin ich pingelig. Dass Frauen mit Männern und Männer mit Frauen ins Bett springen, ist nun mal so. Vor allem im Film. Das klassische Drehbuch, egal ob Action-Blockbuster, Komödie oder Drama, besteht aus Formeln. Und eine Formel besagt: Vergiss bloß nicht die Beziehungsebene zwischen männlicher und weiblicher Hauptfigur! Man kennt es ja. Gefühle machen alles komplizierter. Ergo interessanter für das Kinopublikum. Diese Formelhaftigkeit kann allerdings nicht die Entschuldigung dafür sein, dass man stark geschriebene Frauenrollen im Mainstream-Kino mit der Lupe suchen muss. Sie erklärt auch nicht, warum Journalistinnen in Filmen so häufig schlecht wegkommen. Wenn Reporterinnen Körpersäfte austauschen, dann meist aus beruflichen, weniger aus emotionalen Gründen. Nur um am Ende des Films abgestraft zu werden. Ein Motiv, dass wir nur allzu gut aus Horrorfilmen kennen: Die Schlampe bekommt ihr Fett weg. Gerade eine Serie wie House of Cards – die ich in der Darstellung der politischen Ränkespiele für hervorragend halte – kultiviert das Bild von der Kurtisane im Journalistinnen-Gewand. Als ob Journalistinnen nicht mehr in der Lage wären, Infos auf anderem Wege einzuholen.
Lesetipp zum Thema: Memo to Hollywood: Female Journalists Don’t Sleep With Their Subjects
Der “Sündenfall” Heather Holloway
Doch wie verhält es sich jetzt mit dem “Sündenfall” von Heather Holloway (Katie Homes) in Thank You For Smoking? Reiht sich Miss Holloway in die lange Reihe von ärgerlichen Journalistenfiguren ein? Oder greift der Film lediglich ein Klischee auf, damit wir mit der Nase darauf stoßen? Immerhin handelt es sich hier um eine Satire.
Wie alles andere in dem Film ist auch die Liaison zwischen Heather Holloway und Nick Naylor (Aaron Eckhart) gnadenlos überzeichnet. Als Pressesprecher des Forschungszentrums für Tabakstudien (siehe Infobox) – eine Einrichtung, deren “Sinn” darin besteht, den Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Lungenkrebserkrankungen zu verschleiern – ist es seine Aufgabe, die Medien im Zaum zu halten. Ganz im Sinne der großen Glimmstängel-Hersteller. Und er macht seine Sache gut. So gut, dass er jegliche Selbstzweifel über Bord geworfen hat. Zu Beginn des Films stellt er sich als “Pin-Up Boy der Zigarettenindustrie” vor. Naylor ist ganz eitler Pfau, der empfänglich für die Schmeicheleien seiner Umwelt ist. Seine geschiedene Gattin wird später zu ihm sagen: “Es war klar, dass eine Frau dein Verderben sein würde.”
Infobox: Vorlage und Realität
Thank You For Smoking basiert auf dem gleichnamigen Buch von Christopher Buckley aus dem Jahre 1994. Der Film nennt keine Jahreszahl, aber die Ereignisse müssten demnach Anfang der 1990er Jahre stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt existiert das Tobacco Institute noch, Vorbild für das Forschungszentrum für Tabakstudien im Film. Am Ende des Films wechselt Nick Naylor in die freie Beratung. Zum richtigen Zeitpunkt, wie er sagt. Denn wenig später hätten die Konzerne hohe Schadenersatzsummen leisten müssen. Tatsächlich trat 1998 das Master Settlement Agreement in Kraft: Gegenüber 40 Bundesstaaten verpflichteten sich die Tabakkonzerne zu Zahlungen in Höhe von 200 Milliarden Dollar. Der Journalistenfilm Insider erzählt die Geschichte des Whistleblowers Jeffrey Wigand, die ihren Teil zum Agreement beitrug.
Aus dem Bett ins Verderben
Dieses Verderben ist Heather Holloway von der Zeitung The Washington Probe. Nachdem wir Nick Naylor kennengelernt haben, schickt sie sich an, ein Portrait über den charismatischen Kippen-Advokaten zu schreiben. Die Freunde von der Waffen- und Alkohollobby, mit denen sich Naylor regelmäßig zum vertrauensvollen Plausch trifft, melden Bedenken an. Naylor winkt ab: Schließlich sei er Profi genug. Als solcher versucht er, Heather Holloways Interessen abzuklopfen. Ob sie bloß – wie alle anderen auch – wissen wolle, wie er ruhigen Gewissens schlafen könne?
Doch Holloway lenkt das Gespräch auf die positiven Eigenschaften ihres Gegenübers. Der Fisch zappelt am Haken. Cut. In der nächsten Szene treiben es die beiden in einem Kleiderschrank. War doch klar, dass es diese rehäugige Reporterin faustdick hinter den Ohren hat. Und es kommt noch dicker: Während sie verschwitzt auf dem Bett liegen – sie trägt das Hemd ihres Liebhabers – läuft im TV ein Interview mit Naylor. Sie stöhnt: “Ich will mit Dir vögeln, während Du im Fernsehen bist.” Fast so sexy wie Marla Singer in Fight Club: “Meine Güte. So bin ich seit der vierten Klasse nicht durchgefickt worden.” So was kann sich ein Mann wie Nick Naylor nur wünschen. Aus, aus. Das Hirn ist aus.
Reporterinnen verführen eben
Und so kommt es, wie es kommen muss: Eines Tages erscheint Heather Holloways Portrait, gespickt mit allerhand pikanten Details aus der Welt der Tabakindustrie. Nick Naylor fällt aus allen Wolken, wie ein Kind, das gerade feststellt, dass es die versprochenen Süßigkeiten von der Supermarktkasse doch nicht gibt: “Du hast mich benutzt!” Die Journalistin hingegen hat sämtliche Naivität abgelegt: “Wir beide machen, was wir lieben. Ich bin Reporterin.” Rumms. Der hat gesessen. “Und Reporterinnen verführen eben einflussreiche Männer.” Das sagt Holloway zwar nicht mehr. Aber man kann diesen Zusatz von ihren Augen ablesen.
Nick Naylor muss zusehen, wie er klarkommt. Seine Mitstreiter, von denen er glaubt hat, sie seien seine engsten Verbündeten, lassen ihn fallen. Sein Leben gerät aus den Fugen. Aber nicht für lange. Nach einigen Umdrehungen auf der Uhr holt er zum erwarteten Gegenschlag aus. Er macht die Beziehung mit Heather Holloway publik. Die Öffentlichkeit reagiert empört, Heathers Kollegen schauen sie angewidert an. Am Ende sieht man die junge Frau, wie sie während einer Live-Reportage von einem Wirbelsturm umgepustet wird. Die Schlampe bekommt ihr Fett weg.
Bewusstes Spiel mit dem Klischee?
So scheint es jedenfalls. So kam es mir auch während des ersten Sehens vor. Aber nicht vergessen: Thank You For Smoking ist Satire. Da wetteifern die Interessenvertreter von Alkohol-, Tabak- und Waffenwirtschaft beim Bier in der örtlichen Pinte darüber, welche Branche mehr Menschen auf dem Gewissen hat. 1.200 Tote täglich, allein in Amerika, gehen auf die Kappe der Zigarettenindustrie. Rechnet Nick Naylor selbst vor. Die Öffentlichkeit aber echauffiert sich lieber über die dreiste Informationsbeschaffungsmaßnahme der Journalistin. Typisch prüdes Amerika. Fragwürdige Kriege dürfen US-Präsidenten führen. Aber wehe, sie versuchen sexuelle Beziehungen zu ihren Praktikantinnen zu vertuschen. Dann droht die Amtsenthebung.
So oder so: Heather Holloway ist das Abbild eines verquerten Rollentypus. Die Frage ist nur: Wie bewusst spielt Thank You For Smoking mit dem Klischee der umgarnenden Reporter-Sirene? Vieles, nein alles, was sich zwischen der Journalistin und dem PR-Posterboy abspielt, schreit förmlich “in your face”. Andererseits: Thank You For Smoking ist kein Film, der mit der Realität bricht. Eine Anstalt, in der versucht wird, die Gesundheitsrisiken des Rauchens zu relativieren, ist keine fixe Idee. Sie existierte tatsächlich. So wie es auch Journalistinnen gab und gibt, die ihre Recherchen in der Horizontalen anfertigen. Irgendwo her muss dieses Klischee ja kommen. Problem: Um auf diesen Trichter zu kommen, bedarf es einer Denkleistung. Indem ein Film wie Thank You For Smoking zeigt, was die meisten Filme auch zeigen – das geht so weit, dass sich Filme, die dieses Klischee umschiffen, seltsam ungewohnt anfühlen – transportiert er ein Bild weiter, das diskriminierend ist. Story gegen Sex – so funktioniert der weibliche Journalismus nicht. Wenn es so wäre, wo sind dann die ganzen guten Insidergeschichten?
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Böse Satire auf der Feder von Jason Reitman (Juno, Up in the Air): Thank You For Smoking ist auf Amazon erhältlich. Wenn Du den Film über diesen Link bestellst, zahlst Du nicht mehr – aber ich erhalte eine kleine Provision, die ich in den Betrieb dieser Seite reinvestiere.
COMMENTS
Obwohl ich den Film schon mehrere Male gesehen habe, ist mir die sexistische Komponente dieser Figur bisher noch nicht so richtig bewusst geworden. Vielleicht hat man sich an problematisch geschriebene Frauenfiguren im Hollywoodkino inzwischen schon zu sehr gewöhnt. Danke für diesen Beitrag.
Hey Michael,
das ist eine Möglichkeit. Wenn man sich allerdings die Journalistinnen im Film genauer anguckt, vor allem in letzter Zeit, dann ist es eher andersrum: Dann fällt es sofort auf, wenn mal kein Sex im Spiel ist.